Raymond Queneau - Stilübungen
ØØØØØ
(Exercices de Style)
Suhrkamp (D 2007)
Wer schon immer der Meinung war, daß die Freiheit nicht nur über den Wolken, sondern auch zwischen den Zeilen grenzenlos sein muß, wird sich mit den "Stilübungen" des französischen Querdenkers in einem übermütigen Drahtseilakt wiederfinden. 22.01.2008
Now I´ve got my magic bus.
I drive my baby every day
Each time I go a different way.
(The Who)
... fahr ma, Euer Gnaden!
(Bratfisch, kaiserlich-königlicher Leibkutscher)
Raymond Queneaus "Exercices de Style" üben sich - zumindest, was den Titel betrifft - in verschämt unangemessener Bescheidenheit. Tatsächlich gleicht das Abenteuer, auf das der Autor die Leser mitnimmt, einer literarischen Kernspaltung.
Dabei ist der "Nucleus" schnell beschrieben: Ein junger Mann, der einen eigenartigen Hut trägt, fährt im Autobus S, bekommt Streit mit einem Fahrgast und trifft zwei Stunden später einen Freund, der ihm rät, einen Knopf höher nähen zu lassen. Diese relativ kurze Reise führt dann doch an achtundneunzig "Haltestellen" vorbei und gerät mit einem Wort aus wohlgeordneten Fugen, angetrieben durch einen "Reaktor", dessen Energieausstoß in "Queneau" zu messen wäre.
Wie eine überdimensionale ´pataphysische Schraube, die sich immer weiter aus ihrem angestammten Gewinde herausdreht, fährt der "S" seine Runden und entführt auf eine atemberaubende Reise, die in unerschöpflicher Vielstimmigkeit die Schönheit des vorgeblich Banalen enthüllt. Der Autor erzählt ein und dieselbe kleine Geschichte (siehe oben) gutgelaunt und meisterlich in 99 verschiedenen literarischen Stilen. Die Idee zu den "Stilübungen" hatte Queneau übrigens bereits in den 30er Jahren: Ein Bach-Konzert, bei dem verschiedenste Variationen zu einem Thema gespielt wurden, diente ihm als Inspiration.
Da Raymond Queneau in den Jahren 1924 bis 1929 viele surrealistische Veranstaltungen besucht hatte, war er in unterschiedliche Denkschulen eingeübt. Das erleichterte ihm die Arbeit an dem vorliegenden Werk, das er in den Jahren 1942 bis 1946 verfaßte und 1947 bei den Éditions Gallimard Paris veröffentlichte - die ihn außerdem mit der Direktion für die "Encyclopédie de la Pléjade" betraute.
Abgesehen von der alphabethischen Einteilung stellen sich die "Stilübungen" durchaus ebenfalls als kleine, aber sehr feine "Enzyklopädie" dar. Die oben beschriebene Alltagsanekdote entwickelt Queneau beispielsweise zu einem schillernden Wirbel von "A" wie "Alexandriner" bis "Z" wie "Zögern". Dazwischen gibt es allerhand Metaphorisches, Überraschendes, Verdoppeltes, Telegraphisches, Parteiisches, Gespenstisches, Philosophisches und Ungezwungenes - bis hin zum von jeglichem literarischen Fleisch abgelösten "Knochen" der Lautmalerei: 99 ausnahmslos kleine Kunststücke eines beseelten Handwerkers und waghalsigen Experimentierers - eine selten geglückte Kombination. Queneau hielt diese Anzahl im übrigen für zufriedenstellend, betonte aber, daß sich die Liste noch endlos weiterführen ließe.
In diesem Sinn muß auch die äußerst gelungene Übersetzung von Eugen Helmlé und Ludwig Harig verstanden werden, deren Geschichte - eng verbunden mit der experimentierfreudigen Aufbruchsstimmung der Nachkriegspoesie - bis in die fünfziger Jahre zurückreicht. Zur vorliegenden Neuauflage hat Harig ein ausführliches Nachwort beigesteuert, aus dem seine immer noch anhaltende Begeisterung für die "Stilübungen" herauszulesen ist.
Daß sich Suhrkamp für eine Neuauflage entschieden hat, spricht zu Recht für eine ungebrochene Modernität des Werkes. Also, worauf warten Sie noch? Einsteigen, bitte!
Raymond Queneau - Stilübungen
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(Exercices de Style)
Suhrkamp (D 2007)
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