Print_Lee Child - Way Out

Koffeinentzug

Für großartigen Kaffee kann man ruhig auch einmal von der gewohnten Routine abweichen - denkt sich Jack Reacher und sucht das Straßencafé vom Vorabend noch einmal auf. Prompt steckt er (Überraschung!) mitten in einem neuen Abenteuer. Das freut den Leser.    20.10.2009

Daran gibt es nichts zu rütteln: Jack Reacher, der Ex-Militärpolizist, der einsam durch die Staaten streift, genießt Kultstatus. (Lesen Sie dazu unser ausführliches EVOLVER-Porträt.) Und ja, der Autor dieser Zeilen gibt zu: Auch er gehört zu seinen Fans - allerdings nicht von Anfang an. Die ersten Reacher-Thriller, "Größenwahn" und "Ausgeliefert", waren stupide, martialische, stilistisch grottige Wälzer, in denen Reacher ohne Sinn und Verstand von einer Action-Szene zur nächsten Gewaltorgie stolperte. Nebenbei eroberte er (natürlich) noch das Herz einer Frau, tötete am Ende (selbstverständlich) alle Gegner und spazierte (wenig überraschend) alleine dem Sonnenuntergang entgegen.

Zum Glück hat Reachers Schöpfer Lee Child seitdem einige verdammt gute Kaffees getrunken. Reacher ist besser, intelligenter, reifer geworden. "Sniper" war zweifelsohne eines der Thriller-Highlights 2008, das - sprachlich ausgefeilt - mit glaubwürdigen Charakteren und raffinierten Wendungen überzeugte. "Way Out" knüpft, mit einer kleinen Einschränkung, nahtlos daran an.

Der zehnte ins Deutsche übersetzte Reacher-Roman (in den USA sind bereits 13 erschienen) beginnt an jenem ersten Abend in einem Straßencafé in Manhattan. Bei einem Espresso beobachtet Reacher die Leute, den Verkehr, das Pulsieren im Big Apple. Die Atmosphäre gefällt ihm so gut, daß er am Abend darauf mit seinen Vorsätzen bricht. Halte dich nie zweimal am gleichen Ort auf.

So kommt es, wie es kommen muß: Ein finsterer Kerl, der ihn anquatscht, läßt Reacher wissen, daß er gestern unbewußt Zeuge einer Lösegeldübergabe geworden sei. Aus diesem Grund möchte der Milliardär Edward Lane mit Reacher reden. Dessen Ehefrau wurde entführt, und obwohl Lane alle Forderungen der Kidnapper erfüllt hat, ließen die seine Gattin nicht frei. Weil er den Cops nicht über den Weg traut, nimmt Lane die Sache mit Hilfe einer Truppe firmeneigener Söldner selbst in die Hand.

Schnell merkt Lane, daß Reachers geschultem Blick kein noch so winziges Detail entgeht. In seiner Verzweiflung bietet er ihm eine Million - vorausgesetzt, Reacher findet die Ehefrau. Der Untergrund-Ermittler beginnt mit der Arbeit, doch je mehr er forscht, desto undurchsichtiger wird die Entführung. Wor Jahren kam nämlich bereits Lanes Ehefrau Nummer eins durch Kidnapping ums Leben. Und überhaupt: Wer ist die Privatschnüfflerin, die sich hartnäckig an Lanes Fersen geheftet hat? Ganz klar, da ist irgendwas faul. Bloß was? Und an wem?

Geschickt fädelt Child seinen cleveren Plot ein, lockt den Leser auf falsche Fährten, wirft immer wieder neue Fragen auf, stellt wiederholt die Antworten auf den Kopf und bietet somit eine rasante, spannende Geschichte. Perfekt! Bis er die - zugegeben - überraschende Auflösung präsentiert und auf einmal in alte, vergessen geglaubte Muster verfällt: Die Story endet mit einer öden, phantasielosen Ballerorgie. Da fragt man sich doch, ob dem Autor auf den letzten Metern etwa der gute Kaffee ausgegangen ist ...

Wir wissen es nicht. Leider ein Punkt Abzug!

Marcel Feige

Lee Child - Way Out

ØØØØ

(The Hard Way)

Leserbewertung: (bewerten)

Blanvalet (München 2009)

 

Photo  © Jerry Bauer

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Kommentare_

Alexander - 26.05.2011 : 17.29
Ich fand "Way Out" auch richtig gut. Besonders hat mir die atmosphärisch dichte Darstellung von New York City gefallen und dass das letzte Drittel des Buches in England gespielt hat.
Alexander - 07.06.2011 : 18.36
Anmerken wollte ich noch, dass ich manche Reacher-Thriller von Lee Child auch etwas zu actionlastig finde. So zum Beispiel die ersten zwei, die Hr Feige erwähnt hat, und den "Janusmann". Diesen fand ich zudem auch noch viel zu brutal und flach.
Hier ist meine persönliche Top-Fünf der Reacher-Romane:
1.The Enemy/Die Abschussliste, 2.The Hard Way/ Way Out, 3.The Visitor (Running Blind - US-Titel)/Zeit der Rache, 4.Gone Tomorrow/noch nicht in Dtl. erschienen, 5.61 Hours/ ebenfalls noch nicht in Dtl. erschienen.

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