James G. Ballard - Crash/Die Betoninsel/Der Block
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Sammelband: Crash/Concrete Island/High Rise
Area Verlag (Erftstadt 2004)
Lieben Sie Ihren fahrbaren Untersatz? Schielen Sie auf grauer Autobahn sehnsüchtig zu grünen Verkehrsinseln? Hassen Sie Hochhäuser? Dann haben wir was für Sie! 08.11.2004
Der britische Science-Fiction-Autor James Graham Ballard interessiert sich nicht für hungrige Blobs oder durchtickende Supercomputer. Ihm geht es um die Veränderung oder den Zusammenbruch gesellschaftlicher Strukturen und sozialer Normen beim Zusammenstoß des Menschen mit seiner entfremdeten Umgebung in der Moderne. Oder so ähnlich. Jedenfalls: schwere Kost. Deshalb wird der Autor heute, Jahrzehnte nach dem SF-Boom, eher selten verlegt - der Serienschmarrn um Weltraumschlachten und TV-Soap-Helden zieht den Fans das Geld halt leichter aus der Tasche ...
Umso heldenhafter, wenn ein Bauchladen wie der Area Verlag gleich drei Romane als Sammelband zum Schleuderpreis von 9,95 Euro anbietet. "Crash" enthält alle Bände der "Dystopischen Trilogie/Beton-Trilogie", bestehend aus "Crash" (1973), "Die Betoninsel" ("Concrete Island", 1974) und "Der Block" ("High Rise", 1975).
Crash ist die Perle des Buches. Ein Autounfall stürzt Regisseur Ballard in eine Existenzkrise. Er gerät in eine Welt gefühlsverarmter Sex-Maniacs, die ihre Geilheit aus drohenden Autounfällen speisen und im namensgebenden Crash den totalen Orgasmus suchen. Wer der gleichnamigen Cronenberg-Verfilmung nachsagt, sie böte zu wenig Stoff für einen ganzen Film, wird bemerken, daß es das Buch war, daß nicht mehr hergab. Doch die lohnende Lektüre lehrt auch, daß der düstere Film eigentlich ein heiteres Video über Samstagnachmittags-Autowäscher ist. Jeder Satz in diesem harten, herzlosen und eiskalten Roman ist von kantiger Technik und dampfender Sexualität durchdrungen. Keine Beschreibung und kein Bild, in dem Körper und Maschine einander nicht penetrieren, im zufälligen oder gewollten Zusammenprall, materiell und sexuell. Maschinen, Metall, Plastik, Geschlechtsteile und Sperma befinden sich in ununterbrochener literarischer Kollision mit Tod, Zerstörung und Konstruktion. Trotz stellenweise spürbarer Übersetzung liest sich "Crash" wie eine Mischung aus Spannungsroman und Techno-Fetisch-Porno, dessen Szenen und Sprache sowohl Protagonisten als auch Leser gnadenlos ineinander verkeilt und erst nach dem Crash wieder freigibt, wenn auch zerschmettert, bestenfalls vernarbt. Eine Story ohne Airbag.
In Die Betoninsel kommt ein Mann vom Weg ab und fährt seinen Jaguar in den Graben. Der liegt inmitten eines Autobahnkreuzes und entpuppt sich als Mikrokosmos, in dem der schwer verletzte Anti-Robinson anfangs noch um Überleben und Entkommen kämpft, später dagegen nur mehr um Macht und Herrschaft über die anderen Gestrandeten. Die Idee ist gut, die Umsetzung zäh. Immerhin: Kein Leser wird jemals wieder während der Fahrt ein halbes Wurstbrot aus dem Fenster schmeißen, ohne einen Blick zu wagen, wer sich davon nähren mag.
Knackiger ist da schon Der Block: Die Bewohner eines neuen, vierzigstöckigen Hochhauses werden ihrer Luxus-Apartments schnell überdrüssig. Eingepfercht in technokratische Strukturen, entwickeln sie neue Gesellschaftsschichten, deren Tektonik an den Stockwerksgrenzen zu beben beginnt. Scheinbar unschuldigen Forderungen - etwa der, daß die Kinder aus dem 10. Stock nicht mehr im Pool des 30. baden dürfen - folgen bewußte Lärmbelästigungen und Schikanen auf dem Parkplatz. Schnell liegen alle im Krieg gegen alle. Müllschlucker, Aufzüge, Wasser und Strom fallen dem Vandalismus der Bewohner anheim. Ihrer verhaßten technischen Infrastruktur beraubt, tatsächlich von ihr "befreit", verschanzen sich die Menschen hordenweise in Wohnungen, vögeln lustlos kreuz und quer, verspeisen ihre restlichen Haustiere und vegetieren im eigenen Müll, Urin und Kot dahin. Ein wunderbare Story, auch wenn ihre sprachliche Umsetzung nicht ganz die grausam kalte Wucht von "Crash" erreicht.
Falls jemand Berührungsängste hat: Keiner dieser Romane enthält auch nur ein Fitzelchen SF-Material. Heute, ein Vierteljahrhundert nach ihrem Erscheinen, lesen sich Ballards Romane am ehesten wie Drehbuchvorlagen für Reality-Shows oder TV-Berichte aus der Betonwüste.
James G. Ballard - Crash/Die Betoninsel/Der Block
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Sammelband: Crash/Concrete Island/High Rise
Area Verlag (Erftstadt 2004)
Das Ende war verführerisch nah, aber leider geht die Welt schon wieder nicht unter. Irgendwie mindestens teilbedauerlich. Eine Bestandsaufnahme mit tagebuchartigen Einsprengseln und völlig unbegründeten Hawaii-Erwähnungen.
Einsames Aufräumen ist das gemeinschaftliche Feiern unserer Zeit. Entsprechend miste auch ich ununterbrochen aus - Medien zum Beispiel, weil die sowieso verzichtbar sind. Vor allem Bücher werden völlig überschätzt.
Einige wenige Wohlgesonnene, es werden wöchentlich weniger, warten seit gefühlten Äonen auf diese neue Kolumne - und dabei wird es auch bleiben, und ich rate sowieso ab.
Immer wieder ist von junger Literatur die Rede, und wenn davon die Rede ist, dann nicht von uns. Und das ist nur einer der vielen Vorteile des Alters, über die unser gealterter Star-Kolumnist Sie heute informieren wird.
Wenn Sie nicht wissen, was "Social Media" oder "K2-18b" sind, dann können Sie eigentlich gleich aufhören zu lesen. Aber auch sonst raten wir wie immer von der Lektüre dieser irrelevanten Kolumne ab, in der es zwar heute mal um was geht, aber um nichts Wichtiges.
Immer wieder fallen uns Sprachzombies mit halbverrotteten Phrasen an. Zumindest dieser einen sollten wir einen Headshot verpassen.
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