Print_Elisabeth Herrmann - Zeugin der Toten

Jeder gegen jeden

Wer sagt, daß deutschsprachige Krimis langatmig und bieder sein müssen? Der vorliegende Roman ist ebenso brisant wie höllisch spannend.
Marcel Feige über ein preisverdächtiges Buch, das dieser Tage in den Handel kommt.    02.03.2011

Nach der Wende gerieten 381 Datenträger der ehemaligen Hauptverwaltung Aufklärung - des DDR-Auslandsnachrichtendienstes - unter bis heute nicht geklärten Umständen in den Besitz der CIA. Diese Informationen, mikroverfilmte Karteien, die als Rosenholz-Dateien bekannt wurden, gaben unter anderem Auskunft über Agenten, die in der BRD für die DDR-Auslandsspionage tätig gewesen waren.

Nachdem der amerikanische Geheimdienst die Daten bis Mitte der 90er ausgewertet hatte, übergab er sie an den deutschen Geheimdienst BND - allerdings mit einer Vielzahl gelöschter Namen.

 

Vor diesem realen Hintergrund zeichnet die Berliner Autorin Elisabeth Herrmann ein packendes Krimidrama. Denn schon 1985 sollen die westlichen Geheimdienste, so der fiktive Plot, in den Besitz dieser Daten zu kommen versucht haben. Doch die Übergabe an die CIA und den BND scheiterte. Die zwei fluchtwilligen Stasimitarbeiter - ein junges Pärchen, das der Hauptverwaltung Aufklärung die Unterlagen entwendet hatte - wurden enttarnt und von DDR-Schergen als Hochverräter getötet.

Nur ihre kleine Tochter wurde verschont und in ein Kinderheim in Sassnitz geschafft, wo die Erziehung des "asozialen" DDR-Nachwuchses Gewalt und Folter gleichkam.

Die psychischen und physischen Narben trägt Judith Kepler noch heute. Jetzt arbeitet sie, nach Jahren der Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit, bei einer Putzfirma als Reinigungskraft. Genauer gesagt: Als Cleaner. Sie säubert Verbrechenstatorte von den blutigen Hinterlassenschaften.

Bei einem dieser Jobs gelangt sie in den Besitz ihrer alten Heimakte. Doch was anfangs nach einem Zufall ausschaut, erweist sich schon bald schon als bewußte Manipulation. Ehe sie es sich versieht, findet sich Judith inmitten der gnadenlosen Ränkespiele deutscher, amerikanischer und russischer Geheimdienste wieder.

Sie hat keine Wahl: Will sie inmitten dieser Lügen überleben, muß sie selbst ermitteln und dabei ihrer eigenen, verdrängten Vergangenheit auf die Spur kommen. Nur leider steht sie dabei schon bald allein auf weiter Flur. Jeder spielt gegen jeden. Wem kann sie noch trauen? Wem will sie trauen?

 

Unglaublich: Von der ersten Seite an bis zur letzten Zeile hält die Autorin das Tempo, gönnt dem Leser keine Pause, und all das dramaturgisch und sprachlich auf bemerkenswert hohem Niveau.

Ich für meinen Teil habe die komplette Nacht durchgelesen, ich konnte mich der Geschichte und den fesselnden Figuren nicht entziehen. Immer wieder verschlug es mir den Atem angesichts der Unverforenheit, mit der die Nachrichtendienste seit Jahrzehnten unser tägliches Leben manipulieren; nicht nur die CIA, wie man es aus aberdutzenden Thrillern zur Genüge kennt, sondern auch die deutschen Behörden. Und mit welchem Mitteln sie noch heute versuchen, zwanzig Jahre nach Mauerfall, die schmutzige DDR-Vergangenheit - an der auch die BRD keine geringe Schuld trägt - unter den Teppich zu kehren.

 

Thriller wie diese - und genau das ist "Zeugin der Toten", auch wenn auf dem Cover "Kriminalroman" steht - ist man sonst nur aus dem angloamerikanischen Sprachraum gewohnt. Doch Herrmanns brisantes, höllisch spannendes Werk ist der beste Beweis dafür, daß Autoren hierzulande mindestens ebenso aufregend erzählen können.

Wenn dieser Roman nicht alle nationalen Krimipreise 2011 abräumt, dann ... dann steckt garantiert der BND dahinter. Soviel ist sicher!

Marcel Feige

Elisabeth Herrmann: Zeugin der Toten

ØØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

List Verlag (D 2011)

 

auch als Audiobook erhältlich
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Kommentare_

Alexander - 02.03.2011 : 12.15
Das klingt wahrlich nach einem spannenden und interessanten Buch. Gut finde ich auch, dass die Autorin die schmutzige BRD-Vergangenheit in Bezug auf die DDR aufarbeitet und das deutsche Autor/innen kein Problem mehr damit haben, Unterhaltung und Zeitgeschichte zu vermischen.
Ich werde das Buch auf jeden Fall lesen.

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