Musik_Wagner & Verdi - nicht total
Loudness Rulez!!
Eigentlich sollte hier eine Rezension mit dem Titel "Wagner und Verdi total" stehen. Doch die Konzeptlosigkeit eines Regisseurs und die eher eigenartige musikalische Interpretation beider Veranstaltungen haben den EVOLVER-Klassikexperten veranlaßt, sein Konzept umzuwerfen - und Lorin Maazel denkwürdiges Schönbrunner Konzert gesondert zu rezensieren. Es ist besser so ...
10.06.2013
Fangen wir also mit der szenischen Entstellung des "Il Trovatore" durch den deutschen Regisseur Phillip Stölzl an. Was er vielleicht als nette Effekte sieht, ist für manchen Zuseher geradezu eine Belästigung. Die Grundidee, die Handlung in einem schrägen und offenen Würfel spielen zu lassen, wobei ab und zu interessante Videos die Handlung vertieften, war sicher gut. Leider war das aber auch schon das einzig Beeindruckende an der Produktion.
Weniger beeindruckend waren manche Choreographien des Chors, vor allem die der Soldaten. Mit teilweise verkrampften, oft unkontrolliert wirkenden Bewegungen füllten die Herren den Bühnenraum aus. Im berühmten Soldatenchor "Or co´dadi, ma fra poco" glaubte man sich glatt in einer Zumba-Stunde, während der "Trainer" Ferrando schon fast einen Flamenco hüpfte.
Lästig waren auch die Stilbrüche: Während die Soldaten, Luna und Ferrando in spanischen Uniformen des 16. Jahrhunderts herumzogen, waren die Zigeuner um Azucena und Manrico nach Commedia-dell´arte-Manier gekleidet. Warum, das weiß vielleicht der Regisseur - schade, daß er die Zuseher nicht an seinem Wissen teilhaben ließ.
Normalerweise sollte bei Klassik-Reviews die musikalische Interpretation im Vordergrund stehen. Dank der szenischen Malaise ist es hier einmal umgekehrt. Die musikalische Seite des Abends war sowieso nicht wirklich berauschend, trotz des prinzipiell hohen Niveaus der Protagonisten.
Nach "Rigoletto" und "La Traviata" war diese Aufführung die mit Abstand schwächste des jungen Israelils Omer Meir Wellber. Nur auf Effekte bedacht, vergaß er völlig auf die feinen und subtilen Zwischentöne, die diese Partitur hergibt. Schade, denn das ORF-Orchester spielte äußerst qualitätsvoll.
Die Sänger standen dem Regisseur um nichts nach - ob Carmen Giannattasios Leonora, Marina Prudenskayas Azucena oder Yonghoon Lees Manrico. Mit Prachtstimmen sangen sie eher nur laut und undifferenziert; hier gab es keinerlei Schattierungen in der Musik. Bei der Prudenskaya glaubte man eher, daß sie Passagen aus einer Finanzverordnung als über den Horror der Flammen sang, in denen ihre Mutter verbrannte. Als einziger schaffte es der Bariton Artur Rucinski, in seiner großen Arie im zweiten Akt so etwas wie eine Interpretation hören zu lassen.
Ähnlich ging es am Tag darauf im Wiener Konzerthaus zu. Bei der konzertanten Aufführung von Wagners "Der fliegende Holländer" bediente sich der polnisch-französische Originalklangspezialist Marc Minkowski seiner Musiciens de Louvre und spielte mit ihnen die Pariser Urfassung von 1841, das heißt, ohne Pause und ohne Erlösungsmotiv am Schluß der Oper und am Schluß der Ouvertüre.
Minkowski knüpfte damit an sein Konzert von Jahresbeginn 2013 an und hinterließ auch jetzt wieder einen zwiespältigen Eindruck. Das Orchester spielt Originalklang immer auf Top-Niveau, doch dieses Mal hatte man noch mehr den Eindruck, daß vieles ungenau und unausgegoren war.
Bei Ingela Brimberg könnte man geradezu "A Star is born" sagen - wenn sie nicht viel zu oft viel zu monoton (laut) gesungen hätte. Offenbar gibt es in Schweden ein großes Reservoir an Wagner-Stimmen. Die Schwedin hat das Potential zu einem Weltstar; mit etwas mehr Schliff in der ausdrucksmäßigen Gesangstechnik kann sie locker mit ihrer Landsfrau Nina Stemme (und vielleicht sogar einmal mit Birgit Nilsson) mithalten.
Laustärken- und interpretationsmäßig stand ihr der Russe Evgeny Nikitin kongenial zur Seite. Gerade beim Duett Holländer-Senta hätten sie im Piano beginnen müssen; gesungen haben sie stattdessen im Mezzoforte bis Forte. Sehr gut waren auch Eric Cutler als Georg (Erik) und großartig (der beste des Abends) Mika Karès als Donald (Daland).
Die beiden Aufführungen zeigten, daß heute offenbar die geschätztesten Interpretationen die lauten und schnellen sind. Es werden nur Noten und Texte im Einheits-Sound gesungen; was dahintersteckt, ist offenbar vielen Sängern (und Dirigenten) egal.
Klar, daß viele jüngere Zuhörer dann annehmen müssen, daß diese Interpretation richtig sei. Nur so kann man oft mittelmäßige Interpreten zu Stars hochstilisieren ...
Herbert Hiess
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