Musik_Wiener Festwochen 2012
Drei Damen auf der Suche nach dem Ich
Die Wiener Festwochen führten auch 2012 vor, wie mit relativ einfachen Mitteln Sternstunden geschaffen werden können. Im Sprechtheater bewies Filmstar Cate Blanchett, daß sie ihren Oscar mehr als verdient hat; musikalisch boten die Veranstalter eine begeisterungswürdige moderne Oper im Museumsquartier und eine grandiose "La Traviata" im Theater an der Wien. Wahrlich festlich.
11.06.2012
In der englischen Übersetzung des 1978 uraufgeführten Theaterstücks "Groß und Klein" des 1944 in Deutschland geborenen Botho Strauß dreht sich alles um die zentrale Figur der Lotte. Die erst kürzlich von ihrem Mann verlassene Frau ist in dem Werk auf der Suche nach sich selbst und findet statt Liebe und Zuneigung nur Oberflächlichkeit und Dummheit anstatt ehrlicher Hilfe. Das Drama ist trotz der vielen Schauspieler ein Einpersonen-Stück, in dem alles um Lotte zentriert ist.
Cate Blanchett verkörperte die Rolle wie keine andere. Sie spielte sie so intensiv, als hätte Strauß das Stück exklusiv für sie geschrieben. Die Oscar-Preisträgerin lebte sich derart in die Figur ein, daß sie ihre Bühnenkollegen sprichwörtlich "an die Wand spielte". Benedict Andrews, der Regisseur der australischen Schauspielergruppe, brachte mit einfachen und markanten Mitteln den ganzen Kosmos der Lotte auf die Bühne. Trotz der drei Stunden Spieldauer wurde dem Zuseher dabei keine Sekunde langweilig.
Àlex Ollé, eines der sechs Mitglieder der katalanischen Künstlergruppe La Fura del Baus, brachte im Museumsquartier die Oper in 13 Szenen, "Quartett", mit den gruppentypischen Mitteln zum Blühen. Ein käfigartiger Quader war im Bühnenviereck zentriert, und Ollé positionierte die beiden Figuren Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont in diesem Käfig. Das Liebespaar durchwanderte die Szenen mit immer stärker werdender Agressivität und Wahnsinn, die letztlich zum Tod der beiden führen.
Ollé untermalte die moderne und geistvolle Musik Luca Francesconis mit faszinierenden Videos und Farben. Dirigent Peter Rundel zauberte aus dem hervorragenden Kammerorchester der Accademia Teatro alla Scala die schönsten Klänge hervor, wobei er nicht nur sein Ensemble zu koordinieren hatte, sondern auch noch die zugespielten Klänge eines anderen Orchesters und Chors zusammenbringen mußte - was ihm großartig gelang.
Hut ab auch vor Allison Cook und Robin Adams als Sänger und Darsteller des vor der französischen Revolution lebenden Liebespaars. Unnachahmlich, mit welcher Schärfe und Intensität die beiden die bis zum Tode führenden Gehässigkeiten und Neurosen darstellten. Das waren äußerst harte und packende 80 Minuten Musiktheater!
Nach dem Rigoletto 2011 brachten die Wiener Festwochen 2012 mit "La Traviata" die Fortsetzung der Oper aus der "Triologia Populare" des italienischen Komponisten Giuseppe Verdi.
Angeblich wurde diese Produktion von einigen selbstgefälligen Feuilletonisten "verrissen"; die vom EVOLVER-Klassikexperten besuchte Aufführung entpuppte sich aber schlichtweg als Sternstunde. Trotz der eher farblosen Darsteller von Vater und Sohn Germont (Alfredo von Saimir Pirgu und dessen Vater Gabriele Viviani als Giorgio Germont) brachten die Moldawierin Irina Lungu als Violetta Valéry, Dirigent Omer Meir Wellber und vor allem die Regisseuse Deborah Warner eine fulminante Aufführung zustande.
Das mit Todesnähe erfüllte Vorspiel zeigte auf offener Bühne mit grellweißem Hintergrund das Totenbett der Violetta, die schon in ein Leichentuch gehüllt war. Großartig, wie Violetta plötzlich auf das Bett stieg und voll Neugierde das Leichentuch betrachtete.
Warner, die mit sympathischer Offenheit im Programmheft zugibt, daß sie von Opern wenig Ahnung hat und die Traviata eigentlich gar nicht machen wollte, überraschte mit einer unbeschreiblich einfühlsamen und mehr als berührenden Regie. Die Personenführung war intelligent gestaltet und wirkte nie aufgesetzt.
Irina Lungu als Violetta überzeugte von Anfang an mit einer zwar nicht vor Klarheit strotzenden Stimme, dafür jedoch mit einer umso intensiveren und berührenden Gestaltung der Hauptrolle. Ab dem zweiten Akt im Duett mit Vater Germont und dem brutalen Finale in der Festszene konnte man nur mehr Feuer und Flamme für die Sopranistin sein. Das Finale war von Dirigent, Lungu und der Regisseuse so gestaltet, daß die Festwochensponsoren statt ihrer Kugelschreibers eher Taschentücher hätten verteilen sollen ...
Der israelische Dirigent Wellber setzte mit "La Traviata" seinen Erfolg vom "Rigoletto" 2011 begeisterungwürdig fort. Die Wiener Symphoniker brachten die eher ruhig und leise gehaltene Musik Verdis aufs Feinste zum Klingen. Man kann sich also guten Gewissens auf "Il Trovatore" 2013 freuen!
Herbert Hiess
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