Musik_Gesualdo-Impressionen und Wagners "Ring"
Opern-Festwochen in Wien
Der erste Teil der Wiener Festwochen 2015 konnte mit großartigen Produktionen beeindrucken. Einerseits brachte die Intendanz eine Neuproduktion der zeitgenössischen Oper "Luci mie traditrici" auf die Bühne, andererseits war in der Staatsoper Wagners "Ring der Nibelungen" zu hören - mit dem Stardirigenten Simon Rattle.
12.06.2015
Der 1947 in Palermo geborene Salvatore Sciarrino ist vor allem für seine Kammermusik- und Musiktheaterwerke bekannt. Seine Oper "Luci mie traditrici" ("Die tödliche Lotosblume") handelt von einem zeitlosen Thema: der lebensgefährlichen Eifersucht zwischen Mann und Frau. Sciarrino vertonte hier die tragische Geschichte des Renaissancekomponisten Don Carlo Gesualdo da Venosa, der 1590 seine Frau und deren Liebhaber ermorden ließ.
Sciarrino setzte das kompakte Werk in eine berückende obertonreiche Musik, zu der eher lautmalerisch als mit Text gesungen wird - so werden Instrumente und menschliche Stimme eine Einheit. Der deutsche Regisseur Achim Freyer verwandelte die Oper auf seine Art in herrliche und phantasievolle Bilder. Er nützte jede freie Fläche in der nicht so großen Halle E des Museumsqartiers, ohne daß die Bühne je zu überladen wirkte. Passend zu dem Drama setzte er vor Beginn der Oper die Groteske (Pantomime) "Tag aus Nacht" ein, die ein ebenfalls letal endendes Liebesdrama in Commedia-dell´arte-Manier zeigte.
Alle Ausführenden waren exzellent - angefangen von Freyers Regie über das Klangforum Wien unter Emilio Pomàrico bis hin zu Anna Radziejewska und Otto Katzameier als Ehepaar; dazu kam noch die strahlend schöne Stimme von Esther Lee.
Ein eigener Schwerpunkt bei den heurigen Wiener Festwochen 2015 gilt dem berühmten britischen Dirigenten Sir Simon Rattle. Nebst einem philharmonischen Konzert demonstrierte er mit zwei "Ring"-Zyklen, wie Richard Wagner klingen kann. Damit wird wieder einmal auf betrübliche Art bewußt gemacht, wie spärlich es heutzutage um exzellente Wagner-Dirigenten bestellt ist.
Der EVOLVER-Klassikexperte besuchte sowohl die "Götterdämmerung" als auch "Das Rheingold". In der "Götterdämmerung" zeigte Sven-Eric Bechtolf, was eine "Nicht-Inszenierung" ist. Die Beteiligten standen, saßen und lagen oft unbeholfen herum; die Nornen-Szene wirkte szenisch völlig uninteressant; und das Spiel mit der Schnur war gerade einmal nett zum Anschauen. Hier hätte die Regie viel mehr Symbolik hineinbringen können. Großartig war zum Ausgleich aber die szenische Umsetzung des Finales des zweiten Akts und vor allem des dritten Akts, ab Siegfrieds Tod. Der intelligente Einsatz von Videoprojektionen und die szenische Auflösung von Walhalls Untergang tröstete über die Unbill der ersten beiden Akte hinweg.
Stimmlich war die Aufführung sehr uneinheitlich. Falk Struckmann gab den Hagen und zeigte, daß er sich diese Rolle niemals wirklich zueigen machen wird. Ihm fehlen Tiefe und Sonorität; Lautstärke in der Höhe macht nicht allein selig. Caroline Wenborne war eine anständige Gutrune, und Anne Sofie von Otter eine trotz ihrer fehlenden Tiefe hochintensive und hervorragende Waltraute. Ihre Schwester Brünhilde wurde von Evelyn Herlitzius gespielt – nach Birgit Nilsson und Hildegard Behrens endlich wieder eine Tochter Wotans, die bis hin zum mörderischen Schlußgesang den Atem anhalten ließ.
Ebenso uneinheitlich wirkte die Sangesleistung der Herren. Richard Paul Fink war ein großartiger Alberich, Boaz Daniel jedoch leider ein farbloser und allzu braver Gunther mit einer wenig durchschlagskräftigen Stimme. Stephen Gould als Siegfried kann man dafür nur als Glücksgriff bezeichnen. Er und Herlitzius sind für heutige Begriffe ein wahres "Nibelungen-Traumpaar".
Rattle zauberte mit den Wiener Philharmonikern bei der "Götterdämmerung" ein Klangereignis, an das man noch lange denken wird. Immer kammermusikalisch-dezent, wo es notwendig ist, und dann wieder mit scharfer dramatischer Attacke. Orchestral war die Aufführung bis zum Schluß ein Ereignis. Da kann man einige "Kiekser" bei den Hörnern schon verzeihen; Wagners "Siegfriedrufe" sind legendär berüchtigt bei den Hornisten - und vor allem für die Wiener Hörner eine gewaltige Herausforderung. An den Finaltag der Nibelungen-Sage wird man jedenfalls noch lange zurückdenken.
Weniger berauschend war allerdings "Das Rheingold", das der Autor dieser Zeilen zu Beginn des zweiten Zyklus hören durfte/mußte. Hier ließen neben einigen Sängern vor allem Dirigent und Orchester aus. Die Hornkiekser waren noch das geringste Übel; eher unangenehm waren einige Unsauberkeiten und vor allem die geringen dynamischen Unterschiede. So hat es etwa der allgemein geschätzte philharmonische Paukist unterlassen (entweder wegen Rattles Anweisungen oder aus persönlichen Gründen), ein dreifaches Forte zu spielen. Damit mutierte der "Auftritt der Riesen" zu einem "Auftritt der Gartenzwerge". Auch fehlte fast bei der ganzen Oper ein flüsterndes Pianissimo, das einem bei guten Aufführungen die Gänsehaut kommen lassen kann.
Sängerisch war die Aufführung ebenso uneinheitlich wie die "Götterdämmerung". Tomasz Konieczny (als Wotan) und Richard Paul Fink lieferten wunderbare Leistungen, ebenso wie die Damen Olga Bezsmertna (als Freia) und Janina Baechle (als Erda). Noch dazu waren alle drei Rheintöchter – was selten vorkommt – mehr als hörenswert. Leider nur brav waren Boaz Daniel als Donner und Jason Bridges als Froh. Sehr eigentümlich wirkte hingegen Herbert Lippert als Loge; man versteht immer weniger, warum ein Sänger mit diesen stimmlichen Qualitäten so oft in der ersten Liga mitsingen darf. Seine merkwürdigen Registerwechsel verstören immer wieder - und gerade den Loge, den ein Charaktertenor pointiert bringen kann, hat man selten so uninteressant gehört.
Abgesehen von ein paar Stellen war das "Rheingold" regiemäßig nicht wesentlich interessanter als die "Götterdämmerung". Der absolut stärkste Moment mit Weltklasseniveau war Alberichs Fluch, als Wotan verzückt den Ring anstarrt, während Loge vor dem Göttervater auf dem Boden liegt und merkt, wie ernst Alberichs Weissagungen sind. So eine "Ring"-Regie hätte man sich halt durchgängig gewünscht.
Herbert Hiess
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