Musik_Salieri und Amadeus an der Wien
Mythologische Spezialitäten
Das kann einem nur in Wien passieren: An ein und demselben Wochenende erlebt man sowohl eine sensationelle Wiederentdeckung als auch eine der schönsten Mozartopern. Während Christoph Roussets Ensemble mehr als nur beeindruckte, mußte man bei "Idomeneo" allerdings feststellen, daß Regie und die Musik stark auseinanderdrifteten.
19.11.2013
Fangen wir chronologisch und mit dem Positiven an: Der EVOLVER-Klassikexperte hatte das Glück, die konzertante Aufführung einer Oper mit überaus bewegter Geschichte zu erleben. Der als ewige Rivale Mozarts bekannte Antonio Salieri schrieb mit mehr als 30 Jahren das hochgradig reformatorische Werk "Les Danaides", das auf einem recht kitschigen Sujet der griechischen Mythologie beruht. Es geht darin um eine Art "Romeo und Julia"-Geschichte, in der sich ein Liebespaar trotz familiärer Todfeindschaft behaupten kann.
Viel wichtiger als die merkwürdige Story ist jedoch das Revival der kostbaren Salieri-Musik durch den französischen Barock- und Alte-Musik-Spezialisten Christophe Rousset. Mit dem phantastischen Ensemble Les Talens Lyriques erweckten die Musiker die weit mehr an Gluck als an Mozart angelehnte Musik zum Leben. Im Gegensatz zu anderen Opern der Ära spielt in diesem Werk eigentlich der Chor die Hauptrolle.
Die Premiere der herausragenden Produktion, die am 27. November 2013 in Versailles für Tonträger aufgezeichnet werden soll, fand in Wien statt. Dank der exzellenten Sänger steht auch der CD ein garantierter Erfolg bevor.
Weniger herausragend war - trotz des hohen Niveaus - die Aufführungsserie von Mozarts Opera seria "Idomeneo". Trotz der großartigen Freiburger Barocksolisten unter der Leitung von René Jacobs hatte man das Gefühl, daß durch die eigenartige Regie weder Musik noch Handlung richtig vom Fleck kamen.
Konnte der Italiener Damiano Michieletto vor einem Jahr mit der Regie von Puccinis "Il Trittico" noch wahrhaft begeistern, so wirkte Mozarts erste große Oper dank seiner inszenatorischen Eingriffe eher befremdlich und störend. Den ersten Akt konnte man bis auf ein paar aktionistische Kleinigkeiten (blutverschmierte Pantomimendarsteller besudeln Idomeneo mit Blut) als sehr gelungen bezeichnen; dafür war der zweite Akt ein Absturz in die Einfallslosigkeit. Es geht ja noch an, daß Michieletto die Ilia hochschwanger herumrennen läßt, bis sie bei der Ballettmusik im Finale ein Kind gebärt, das die hoffnungsvolle Zukunft des kretischen Königreichs symbolisieren soll. Nur war die Geburtsszene so lächerlich und unpassend, daß sie nicht nur das Publikum, sondern sogar die Orchestermusiker von Mozarts großartiger Ballettmusik ablenkte.
Auch die Idee mit der Müllhalde (wo die Stiefel die Kriegstoten um Troja darstellen sollten), war mehr Selbstzweck als Schlüssel zu einer durchgängigen Handlung. Der Sand hatte noch dazu die unangenehme Eigenschaft, die Gesangsstimmen mehr zu absorbieren als via Orchester ins Publkum zu transportieren. Das hatte zur Folge, daß man gerade noch die hervorragenden Damen Gaelle Arquez (Idamante) und Marlies Petersen (Elektra) richtig gut hören konnte. Richard Croft als kretischen König Idomeneo und Sophie Karthäuser vernahm man zeitweise nur säuselnd.
Dank Maestro René Jacobs und der exzellenten Freiburger Barocksolisten wurde trotzdem eine mehr als beeindruckende Produktion daraus - vor allem dann, wenn man in den richtigen Momenten die Augen schloß.
Herbert Hiess
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