Musik_Chailly im Festspielhaus St. Pölten
Glanzvoller Klang an der Traisen
Nach etwa 16 (versäumten) Jahren kommt der italienische Stardirigent Riccardo Chailly wieder zu philharmonischen Ehren und dirigiert ein Abonnement-Konzert mit anschließender Europa-Tournee. Das Niederösterreichische Festspielhaus in St. Pölten hatte das Glück, am 10. Jänner 2013 der Aufführungsort des ersten Konzerts dieser Serie sein zu können.
17.01.2014
Riccardo Chailly ist ein akribischer Arbeiter und Orchestererzieher, der seine Wünsche den Musikern gegenüber zeitweise sehr direkt und unmißverständlich äußert. Offenbar hat das einige Zartbesaitete damals im Orchester so verstört, daß man eine Ewigkeit von knapp 16 Jahren auf seine Dienste bei den Wiener Philharmonikern verzichtete. Nach dem Erfolg des ersten Konzerts in St. Pölten muß aber eigentlich jedem Mitglied des Ensembles klar geworden sein, daß man diese Jahre nicht nur dem Publikum, sondern auch den Musikern selbst genommen hat. Doch der Mailänder Maestro ist ein hochintelligenter Mann, der immer nach vorne schaut - und auch in diesem Konzert demonstriert hat, wie musikalische Sternstunden zu klingen haben.
Auf dem Programm standen Jean Sibelius´ Ohrwurm "Finlandia", das Violinkonzert in d-moll desselben Komponisten sowie Anton Bruckners 6. Symphonie in A-Dur. Chailly schaffte den Spagat, in einer romantischen Klangwolke zu schweben, ohne daß er auch nur einen Takt lang die Transparenz, Klarheit und Prägnanz vermissen ließ. Geradezu grandios klangen die Schattierungen und Nuancen in der symphonischen Dichtung "Finlandia" und vor allem im Violinkonzert.
Chaillys Lieblingsgeiger Leonidas Kavakos spielte sich geradezu mit der hochvirtuosen Partitur und ließ gemeinsam mit den Musikern die nordische Schwermütigkeit und vor allem im dritten Satz den morbiden Tanzrhythmus hören und fühlen. Bei dem griechischen Geiger sitzt jeder Ton perfekt; beeindruckend war vor allem die Flageolettpassage (Anm.: flötenartige Töne der Geige, die durch eine spezielle Grifftechnik entstehen) über das Tanzthema im dritten Satz. Jedes Piano war so perfekt mit dem Orchester und Dirigenten abgestimmt, daß man meinen könnte, nur ein einziger Musiker habe das Konzert gespielt.
Bruckners A-Dur-Symphonie wurde nach ihrer schwierigen Anfangsphase (bei der Erstaufführung in Wien wurden zum Beispiel nur zwei Sätze gespielt) zu einer echten Erfolgsgeschichte. Chailly, der sich schon am Beginn seiner Karriere immer wieder mit Bruckner beschäftigte, führte das phantastische Orchester hier zum symphonischen Olymp. Es wäre ungerecht, einzelne Musiker herauszuheben - aber dem ersten Hornisten Ronald Janzic muß man hier trotzdem die virtuelle Hand zur Gratulation reichen. Wie er die schwierigen Hornstellen vor allem im ersten Satz meisterte, bis hin zur musikgeschichtlich einmalig schönen Coda des ersten Satzes, das war einfach brillant!
Das St. Pöltner Festspielhaus mit seiner monumentalen und zeitweise sonderbaren Architektur (schiefe Böden im Foyer!) mag Geschmacksache sein; die Akustik des Hauses ist aber so überzeugend, daß man sogar die gestreiften Sitze vergißt, die beim Betreten des Saals Augenflimmern verursachen. Schade, daß das "hustfreudige" Publikum so manche schöne Stelle (zum Beispiel die elegische Coda und den Schluß des zweiten Satzes) regelrecht zerbellte.
Dafür bekam der musikinteressierte Teil der Zuhörer ein Konzert geboten, das man so schnell nicht vergessen wird. Es macht nachdenklich, wieso die Philharmoniker so lange Zeit auf diesen Ausnahmedirigenten verzichtet haben - und läßt so manch neidvollen Blick Richtung Mailand werfen, wo der aus dieser Stadt gebürtige Dirigent ab 2015 der musikalische Chef der Scala sein wird.
Herbert Hiess
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