Musik_Fulminanter Festivalstart 2012
Von Haydn bis MacMillan
Wenn sich ab Mitte August nächtens eine lange Kolonne vom Schloß Grafenegg in Richtung Autobahn bewegt, dann weiß man, daß gerade wieder eines der Festivalkonzerte zu Ende gegangen ist. Auch der EVOLVER-Klassikexperte hat den Stau schon oft in Kauf genommen - weil es sich auszahlt.
10.09.2012
Die Eröffnung des "Musik-Festivals 2012" in Grafenegg mit Hayds "Schöpfung" war wegen zwei Absagen vom Pech verfolgt. Dank der Sopranistin Camilla Tilling und dem Dirigenten Claus Peter Flor wurde trotzdem eine begeisterungswürdige Aufführung daraus. Die Tonkünstler, die momentan in Höchstform sind, konnten nach nur wenigen Proben einen beachtenswerten Barockklang aus ihren Instrumenten zaubern. Mit dem wie immer (über-)perfekt einstudierten Schoenberg-Chor und den übrigen Solisten Ian Bostridge (manchmal distonierend exaltiert) und dem erfahrenen Bariton Gerald Finley war das Haydn-Glück perfekt.
Die österreichische Erstaufführung der Fanfare "They saw the stone had been rolled away" des Composers in Residence, James MacMillan, klang hingegen so sperrig wie ihr Titel. Sie ist einigermaßen interessant instrumentiert; trotzdem tut sich sogar der geübte Hörer hier schwer, das biblische Thema (die Auferstehung Christi) da irgendwie abzuleiten.
Weit besser gelang MacMillan sein 1992 uraufgeführtes Konzert für Schlagzeug und Orchester "Veni, veni, Emmanuel". In prägnanter Form und vom Komponisten beeindruckend instrumentiert, brillierte hier der britische Schlagwerker Colin Currie, der mit der exorbitanten Schlagwerkbatterie (über die ganze Bühnenbreite) so umging, als würde er diese Instrumente jeden Tag bedienen. Die mit komplexesten Rhythmen ausgestattete Partitur ist für den Solisten extrem anspruchsvoll (häufige Tempowechsel, schneller Instrumentenwechsel usw.), doch Currie spielte beeindruckenderweise sowieso auswendig.
Etwas weniger beeindruckend war das Oslo Philharmonic Orchestra. Trotz des Einspringens des finnischen Stardirigenten Saraste hatte Haydns Symphonie Nr. 44 ("La Passione") das an "Schwere" zu viel, was Brahms Symphonie Nr. 4 zu wenig bot. Trotz des brillanten und präszisen Spiels vermißte man bei diesen zwei Klassikern einiges. Grandios war jedoch Jean Sibelius "Nachtlied", bei denen der Flötensolist so superb spielte wie im vierten Satz der Brahmsschen Symphonie. Trotz allem durfte man hier ein bemerkenswertes Konzert hören.
Bruckner ganz anderer Art hörte man mit dem Orchestre des Champs-Elysées unter dem belgischen Barockspezialisten Philippe Herreweghe. Überraschung Nummer eins war die Umstellung, daß zuerst das "Te Deum" gespielt wurde und erst nach der Pause die Symphonie Nr. 9 in d-moll. Dabei ist bekannt, daß Bruckner das "Te Deum" quasi als Ersatz für den nicht geschriebenen/vollendeten vierten Satz der Symphonie wollte. Überraschung Nummer zwei war das Fehlen der obligaten Orgel beim "Te Deum". Man hörte leider allzu deutlich, wie blutleer das Chorwerk ohne der "Königin der Instrumente" klingt. Nach der Pause erklang die letzte und unvollendete Symphonie des oberösterreichischen Meisterkomponisten. Herrweghe schlug jeden Takt mehr als genug aus, was oft auf Kosten der (musikalischen) Phrasierung ging. Wenn man noch die Interpretationen von Karajan, dem todkranken Leonard Bernstein (1989) oder Carlo Maria Giulini im Ohr hat, weiß man genau, was man hier vermißt hat. Wenigstens war es ein hochinteressantes Konzert.
Dafür gelang dem Dreierdebüt (Cellist Truls Mørk, Dirigent Vladimir Jurowski und das brillante London Philharmonic Orchestra) ein wahrer Hit. Der Cellist demonstrierte beim h-moll-Konzert von Antonin Dvorák, daß er mit seinem kostbaren Instrument des Venezianers Montagnana das Konzert mehr sang als spielte. Jurowski war mehr als ein Begleiter; er zeigte mit dem Orchester die symphonische Dimension des böhmischen Meisterwerks. Als Zugabe spielte der Solist ein katalanisches Volkslied, bei dem er nochmals sein immenses Können offenbarte. Trotz aller Finessen konnte die E-moll-Symphonie Tschaikowskis nicht an die Brillanz des Cellokonzerts anschließen. Sie war zwar immer sauber gespielt (mit hervorragenden Soli), doch man merkte trotzdem, daß viele musikalische Details der Symphonie offenbar übersehen wurden. Nach der Zäsur vor der Coda gab es dafür wieder den obligatorischen Applaus einiger Zuhörer; nach dem Finale kam dann einhelliger, gerechtfertigter Jubel. Als Zugabe wurde das Vorspiel des 3. Aktes der Wagnerschen "Meistersinger" serviert.
Herbert Hiess
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