Musik_Monteverdis "Ulisse" / Philharmonisches Konzert mit Vladimir Jurowski
Aufregender Saisonstart
Das Theater an der Wien legte mit einem in jeder Hinsicht außerordentlichen philharmonischen Konzert und mit Monteverdis "Ulisse" einen exzellenten Saisonbeginn hin. Für die Spielzeit 2012/2013 darf man sich einiges erwarten.
01.10.2012
Der deutsche Regisseur Claus Guth konnte mit seiner absolut genialen Regie der Oper "Ulisse" nicht nur an den Erfolg des "L´Orfeo" anknüpfen, sondern diesen sogar noch steigern. Gerade die Werke des frühbarocken italienischen Komponisten Claudio Monteverdi sind regiemäßig eine gewaltige Herausforderung, da sie nur allzu leicht in eine Kitschorgie abfallen können und für unerfahrene Regisseure viele Risiken zur Fehlinterpretation bieten.
Der Frankfurter ist allerdings in keine dieser Fallen gegangen; mit seiner klaren Handschrift und einer ebensolchen Handlungsverfolgung macht er aus den so ziemlich ersten Opern der Musikgeschichte ein echtes Erlebnis. Obwohl er die Handlung des "Ulisse" in der Gegenwart ansiedelt und den mythologischen Helden als Kriegsveteranen zeichnet, bekommt man nie den Eindruck, daß Guth das Thema verfehlt. Eher sieht man, wie zeitlos die Themen sind und wie brutal man als Zuseher damit konfrontiert wird. Der Regisseur und der ausgezeichnete Ausstatter Christian Schmidt machen aus den guten drei Stunden einen thrillerhaften "Plot", bei dem keine Sekunde lang das Gefühl der Langeweile aufkommt.
Der positive Eindruck wird nicht zuletzt durch die exzellente Interpretation Christophe Roussets verstärkt. Der französische Originalklangspezialist und seine 15köpfige Musikantenschar zelebrieren Monteverdis (zum größtenteil rekonstruierte) Partitur, ohne daß ihre Leistung auch nur einen Augenblick so aufgesetzt wirkt wie bei manch anderen Originalklangaposteln. Rousset bediente in dem kleinen Ensemble mehr als souverän das Cembalo; zu den Instrumenten gesellten sich auch ein Regal und sogar Zinken. Letztere haben einen schärferen Klang, den man sich irgendwo zwischen Oboe und Trompete vorstellen kann. Rousset war den Sängern nicht nur ein Begleiter - er zauberte mit seinen paar Musikern zur Freude des Publikums auch ein gewaltiges Klangfarbenspektrum aus den Instrumenten.
Ein ebensolcher Klangzauberer ist der russische Dirigent Vladimir Jurowski, der nun im September 2012 mit seinen 40 Jahren bei den Wiener Philharmonikern zu späten Ehren kommt. Der Maestro hält mit dem Konzert an der Wien alle Versprechungen, die er erst einen Monat zuvor in Grafenegg gegeben hat. Dirigierte er dort noch sein London Philharmonic Orchestra, dessen Chef er seit 2006 ist, so leitet er nun die Wiener Philharmoniker mit einem sehr ausgefallenen Programm in einem Konzert, das quasi eine Generalprobe für das Luzerner Festival ist.
Jurowski war der erste Dirigent, der den EVOLVER-Klassikexperten in der mehr als diffizilen (Konzert-)Akustik des Theaters an der Wien überzeugen konnte. Das Orchester spielt auch diesmal äußerst intensiv und setzt jeden kleinen Fingerzeig Jurowskis in glanzvolle Klänge um.
Daß am aktuellen Konzertabend das Haus nur halbvoll ist, liegt sicher nicht am Orchester und Dirigenten, sondern eher an jenen "Musikfreunden", die offenbar außer Brahms, Bruckner, Beethoven, Mozart etc. nichts anderes kennen. Schade. Gerade diese Unglücklichen haben ein besonderes Musikerlebnis versäumt ...
Herbert Hiess
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