Musik_"Wagner 1863" und Hindemiths "Mathis der Maler"
Spätromantischer Jahreswechsel
Marc Minkowski, der französische Dirigent polnischer Abstammung, beging im Theater an der Wien ein interessantes Wagner-Debüt, wobei hier die Musik des deutschen Meisters erstmals im Originalklang präsentiert wurde. Wenn man herkömmliche Hörgewohnheiten ablegte, war es ein mehr als achtbares Konzert. Ganz hervorragend war hingegen die Weihnachtsserie von Paul Hindemiths eher sperrigem Werk "Mathis der Maler".
14.01.2013
Der deutsche Komponist Paul Hindemith hatte wegen seiner jüdischen Abstammung ein sehr bewegtes Leben und feierte 1938 mit der Zürcher Uraufführung seiner Oper "Mathis der Maler" einen seiner größten Triumphe. Inspiriert wurde er zu dem Werk (für das er selbst das Libretto schrieb) durch den Isenheimer Altar, der vom Maler Matthias Grunewald geschaffen wurde.
Die Handlung der Oper beschreibt in sieben Bildern den Schaffensprozeß (und die Schaffenskrise) des Malers und dessen Verwicklungen in den Bauernaufstand, der in Wirklichkeit ein Kampf der Reformation gegen den Katholizismus ist. Letztlich stellte Mathis (Grunewald) den Altar für seinen Auftraggeber Bischof Albrecht von Brandenburg fertig. Diese Geschichte spiegelt für Hindemith die gesellschaftspolitischen Abhängigkeiten von Künstlern von deren Auftraggebern wider.
Regisseur Keith Warner macht gemeinsam mit Bühnenbildner Johan Engels aus der Bühne, die von einer überdimensionalen Darstellung der gekreuzigten Christusfigur des Altars dominiert wird, ein riesiges Gemälde für die sieben Bilder. Es ist einfach großartig, wie durch die schlüssige Regie und die geniale Personenführung das ansonsten sperrige Werk bis zum Schluß packend und fesselnd bleibt.
Ein Glücksgriff für das Theater ist auch die musikalische Seite der Produktion. Bertrand de Billy leitet die in Höchstform spielenden Wiener Symphoniker, den Slowakischen Philharmonischen Chor und ein durchwegs exzellentes Sängerensemble - allen voran den deutschen Bariton Wolfgang Koch, der nicht umsonst derzeit einer der gefragtesten Sänger des romantischen Faches ist. Mit dabei sind auch Franz Grundheber, der noch immer imponierend auftritt, und als Überraschung der superbe Charaktertenor von Kurt Streit. Letzzter präsentiert sich nach seinem fragwürdigen Auftritt als Hoffmann in der Offenbachschen Oper wieder in gewohnter Höchstform und brilliert als keifender und doppelzüngiger Bischof von Mainz den ganzen Abend lang.
Hindemith, der oft als Komponist der Moderne bezeichnet wird, schrieb die Musik zu seiner Oper eher in spätromantischer Manier. Doch so richtig romantisch geht es dann erst beim Wiener Wagner-Debüt von Mark Minkowski zu.
Für sein Konzert mit den Musiciens de Louvre hat Minkowski ein Programm zusammengestellt, das einem vor ziemlich genau 150 Jahren (1863) vom Komponisten selbst dirigierten Konzert entsprach. Das Konzert damals würde man aus heutiger Sicht als PR-Auftritt eines Komponisten bezeichnen, der dem Publikum einen Querschnitt seines Schaffens zu Gehör bringt. Im konkreten Fall war es eine Notlösung, da Wagner nach 77 Proben mit dem Hofopern-Orchester frustriert sein "Tristan"-Projekt abbrach und so wenigstens diesen Auftritt am Theater an der Wien zustandebrachte.
Minkowski und sein Grenobler Originalklang-Ensemble verlangen vom Publikum eine gewaltige Umstellung der Hörgewohnheiten. Erwartet man bei Wagner heutzutage den mächtigen Klang eines Opern - bzw. Symphonieorchesters, so präsentieren Dirigent und Orchester hier ein vergrößertes Kammerorchester. Was bei der "Faust-Ouvertüre", den "Meistersinger"- und "Tannhäuser"-Vorspielen und auch bei Pogners Anrede aus den "Meistersingern" mit ihrer solistischen Instrumentierung seinen Reiz hat, wird bei den Ausschnitten aus dem "Ring des Nibelungen" aber eher gefährlich. Durch die dem Theater an der Wien eigene Konzertakustik verloren sich bei Wotans Abschied öfters die Holz - und vor allem die Blechbläser.
Als Sänger für die Wagner-Gala bringt Minkowski den in Bayreuth gemobbten, beeindruckenden Russen Evgeny Nikitin und den deutschen Tenor Endrik Wottrich mit. Wottrich, der zuletzt 1997 im Theater an der Wien in Schuberts "Alfonso und Estrella" anläßlich der Wiener Festwochen mit wenig Bravour zu hören war, überzeugte diesmal bei Sigmunds Liebeslied aus der "Walküre". Nikitin hat andererseits einen gewaltigen Bariton, der leider manchmal zur Distonation neigt; auch würde man sich manchmal mehr Pianos bei ihm wünschen. Seine deutsche Aussprache ist dafür geradezu perfekt - da könnte sich so mancher muttersprachig aufgewachsene Sänger bezüglich Wortdeutlichkeit ein Beispiel nehmen.
Übrigens wissen aufmerksame Hörer mehr: Wer das leise chromatisch dominierte (Anm.: Chromatik = Notensprünge in Halbtonschritten) Hauptthema der Geigen bei Wagners "Faust"-Ouvertüre (1840) gehört hat und irgendwann das Hauptthema des Adagios der knapp 60 Jahre später uraufgeführten 9. Symphonie Anton Bruckners vernimmt, weiß sofort, daß sich der Oberösterreicher bei seinem deutschen Idol Wagner (musikalische) Anleihen geholt hat!
Herbert Hiess
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