Musik_The Libertines - The Libertines

Mein liebster Feind

Räudigkeit in großen Gesten, verwegene Selbstzerstörung und in lichte Höhen greifende Gossenpunk-Meisterwerke am laufenden Band: die Rückkehr der verwegenen Höllenhunde.    15.09.2004

Die absurde Synchronizität von Aufstieg und Niedergang, Exzeß und Boden der Realität, großem Kino und staubiger Seifenoper - schon lange wurde sie einem nicht mehr so drastisch vor Augen geführt wie am Beispiel der Libertines. Und weil sie nicht zuletzt auch essentieller Bestandteil der ureigenen Rock´n´Roll-Mythenmaschinerie ist, dient sie im Falle der tragischen Angelegenheit von Carl Barat und Pete Doherty, dieser "brothers in crime", durchaus auch zum Schlagzeilenstiften und PR-Gedonnere. Kaum ein Medium, das sich in der Rezeption des zweiten, selbstbetitelten Libertines-Longplayers derzeit nicht von Dohertys Drogenabhängigkeit hocharbeiten würde zur ultimativen Jetztzeit-Rockstar-Saga um Freundschaft, Haßliebe, Glamour und Morast.

Weshalb hier auch nicht groß der Mythos, sondern vielmehr dessen Früchte beschworen werden sollen, denn die sind nichts weniger als prächtig. In nur zwei (!) gesegneten Wochen voll der Nüchternheit, Fokussiertheit und göttlichen Inspiration mit Clash-Gitarrist Mick Jones eingespielt, strahlen die Songs auf "The Libertines" noch (un)konzentrierter halbfertigen Charme und räudige Genialität aus als jene des Debütwerks. Glänzen schlammverkrustet, hadern in aller erdenklichen Pracht. So eine Band hätte es gar nicht nötig, einen zweieinhalbminütigen Gassenhauer wie "Never Never", für den 95 Prozent aller Garagenrock-Hype-Hüpfer locker ihren klimatisierten Loft verkaufen würden, auf die B-Seite ihrer aktuellen Single "Can´t Stand Me Now" zu packen und ihn uns dann auch noch als Gratis-Download zu schenken (siehe Link unten).

Und das liegt einfach daran, daß die auf dem Album vertretenen Songs noch eine Spur besser, direkter, lässiger sind. Wie sich Barat und Doherty in der erwähnten Single-Auskopplung erratisch die Wahrheiten an den Kopf werfen, um dann doch wieder alles im Wohlgefallen eines Mundharmonikasolos aufzulösen. Mit welcher Nebensächlichkeit sich in "Last Post on the Bugle" eine der brillantesten Gitarrenmelodien seit langer Zeit entfaltet, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Wie sie in "The Man Who Would Be King" mit einem Nichts aus "la-la-la"s, Swing-Feeling und Schiefgesang in Wonne schwelgen, um ein Stück später, in "Music When the Lights Go Out" den Himmel mit Schwermut zuzuhängen. Man möchte all diese prächtig unfertigen, beiläufig perfekten Momente nicht tauschen, nicht gegen alle technisch noch so tadellosen - und zumeist seelenlosen - High-End-Produktionen dieser Welt. Verwegene Höllenhunde, diese Libertines.

Christoph Prenner

The Libertines - The Libertines

ØØØØ 1/2


Rough Trade/Sanctuary/edel (GB 2004)

 

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