Musik_Styriarte 2011
Auf Brautschau in Graz
Wer Opern in Weltklassequalität erleben will, muß dazu nicht in Wien bleiben. In der steirischen Landeshauptstadt beispielsweise kann man bei der "Styriarte" sehen, wie Maestro Harnoncourt aus Repertoirewerken einzigartige Erlebnisse macht. Die Premiere von Friedrich Smetanas "Die verkaufte Braut" war eine der in Österreich selten gewordenen Sternstunden.
29.06.2011
Nikolaus Harnoncourt ist ein unerklärliches Phänomen. Der 82jährige Stardirigent produziert offenbar vor allem dort Spitzenresultate, wo man es am wenigsten erwarten würde.
War es 2009 noch Gershwins "Porgy and Bess", so führte das Zugpferd des Kulturfestivals "Styriarte" dem Publikum heuer vor, wieviel ernsten Hintergrund und welche Lebensweisheiten die böhmische Volksoper(-ette) "Die verkaufte Braut" zu bieten hat.
Smetanas Werk ist rund um ein Volksfest aufgebaut und hat vordergründig eine mehr als banale Handlung - eine Liebesgeschichte, die nur deswegen fast scheitert, weil Marie (die Geliebte von Hans) den dümmlichen Wenzel heiraten soll, da dessen Familie offenbar vermögend ist. Der listige Heiratsvermittler Kecal macht mit Hans einen Handel um 300 Gulden, damit er von Marie abläßt. Hans besteht aber auf dem Vertragspassus, daß nur ein Sohn von Wenzels Eltern Micha und Háta Marie heiraten darf. Um zum Happy-End zu gelangen, stellt sich letztlich heraus, daß Hans ein uneheliches Kind von Wenzels Eltern ist und daher Marie ehelichen kann. Und Kecal ist der Blöde ...
Das Harnoncourt-Gespann (Vater Nikolaus und Sohn Philipp) ist mittlerweile zum "Dreamteam" auf der Opernbühne geworden. Zuletzt im März 2011 mit Georg Friedrich Händels "Rodelinda" im Theater an der Wien zu erleben, bauten die beiden Künstler diesmal den böhmischen Kirtag in der Grazer Listhalle nach. Tragendes Element der Aufführungsserie ist eine Jahrmarktraupe, um die sich die Handlung rankt.
Im Programm ist zwar die Rede von einer halbkonzertanten Aufführung, doch Philipp Harnoncourt machte daraus einen szenisch packenden Opernabend. Kunstvoll werden auf der überschaubaren Bühne Auf- und Abtritte, Personenführung und Beziehungsspiele dargestellt.
Sein Vater präparierte das Chamber Orchestra of Europe derart, daß die Musiker mit ihrer Spielqualität viele Spitzenorchester um Längen schlugen. Es war phantastisch, wie der Maestro die großartigen Musiker durch die extrem schwierige Ouvertüre wirbeln ließ. Nicht umsonst sind die gut sechs Minuten Musik für jedes Orchester eine extreme Herausforderung. Ansonsten begleiteten die Musiker die Sänger bei der Aufführung nicht nur, sondern zeigten, daß Smetanas Musik alles andere als volksopernhaft ist. Unter den vordergründig lieblichen Klängen ließen die Nebenstimmen hören, daß der Komponist nicht nur Furiants, Polkas etc. als leichte Tanzmusik schrieb, sondern sie in dieser Oper tragende Elemente sind. Immer wieder läßt Harnoncourt erst Sarkasmus, Witz und Ironie hören, um sie dann gleich wieder durch langsame und elegische Melodien abzulösen.
Komplettiert wurde die Sternstunde durch eine exquisite Solistenriege, die in erster Linie von Dorothea Röschmanns "Marie" angeführt wurde. Die junge Deutsche ist eine Primadonna im deutschen Fach von heute. Mit glockenklarem Sopran und ebensolcher Diktion verpaßte sie dem Publikum permanente Gänsehaut. Auf ähnlichem Niveau läge das restliche Ensemble (vor allem Ruben Droles Kecal) - wäre da nicht die eigenartige Show von Kurt Streits "Hans".
Der Tenor - eigentlich ein Profi - meisterte die extrem schwierige Partie bis auf ein paar Stellen zwar perfekt, hatte während seiner Auftritte jedoch sonderbarerweise den Kopf fast ständig im Klavierauszug. Ein Künstler von Weltruf wie er hat sowas nicht wirklich nötig; sein Verhalten wirkte völlig unprofessionell und unfreiwillig komisch; zum Beispiel, als er beim Liebesduett mit seiner Marie immer in den Text schauen mußte, um zu wissen, was er ihr sagen soll.
Smetana für zu Hause bietet die in Eigenregie der Styriarte produzierte DVD von Smetanas "Má Vlast", die während der Konzerte 2010 entstand.
Interessant dabei ist nicht nur die DVD mit dem gesamten Konzert, sondern auch das "Making of". Harnoncourt bei Proben zu erleben, ist allemal ein Erlebnis - zumal sie des öfteren mit heiteren Einlagen gewürzt werden.
Herbert Hiess
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