Musik_Musikerlebnisse zum Jahresausklang
Wagner für Kenner und Anfänger
EVOLVER-Klassikexperte Herbert Hiess wagte sich zum Jahresende ins Theater an der Wien, um der dortigen Uraufführung von Richard Wagners Ring-Tetralogie beizuwohnen. Ob sich der Ritt mit den Walküren ausgezahlt hat, lesen Sie am besten selbst.
22.01.2018
Das Theater an der Wien wagte sich Ende 2017 an ein Uraufführungsprojekt, das echte Beachtung verdiente. Dirigent Constantin Trinks und Regisseurin Tatjana Gürbaca machten aus Wagners Ring-Tetralogie drei Teile, die jeweils die Geschichte aus der Sicht von Brünnhilde, Hagen und Siegfried darstellten.
Letztlich war es eine Kompilation der (aus Sicht der Künstler) interessantesten Teile des "Ring der Nibelungen"-Zyklus, die mit musikalischen Überleitungen zu einem kunstvollen Ganzen gerieten. Der erste Abend - "Hagen" (der Sohn von Alberich) - begann mit den Schlüsselszenen aus "Rheingold" und endete mit dem ersten Akt der "Götterdämmerung". "Brünnhilde" stieg mit der Schlußszene aus "Walküre" ein und hörte mit dem fulminanten Ende der "Götterdämmerung" auf.
Den stärksten Eindruck hinterließ auf alle Fälle "Siegfried". Hier waren Zusammenstellung und szenische Umsetzung geradezu ereignishaft. So begann der erste Akt mit der Szene Siegfried und Mime, in der der Held über seine Herkunft rätselte. Als Antwort auf seine Frage wechselte die Szene zum ersten Akt der "Walküre" und zur berühmtesten Inzestszene der Musikgeschichte, als Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde Siegfried zeugte.
Musikalisch waren alle drei Abende ein Fest; künstlerisch bot das Theater an der Wien Sänger von Weltrang auf. Ingela Brimberg, die einmal sogar als indisponiert angesagt wurde, konnte selbst in diesem Zustand eine unvergeßliche Brünnhilde darstellen. Auch Daniel Brenna als Siegfried war unvergleichlich. Selten noch hat man so überschäumend und souverän die unmenschlich schwierigen "Schmiedelieder" vernommen - Brenna jedoch sang sie mit einer beinahe aufreizenden Lässigkeit und hatte dann noch die Kraft für die ebenso schwierige Schlußszene "Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht".
Brimberg und Brenna kann man getrost als Entdeckungen bezeichnen; ob sie in einem richtig großen Opernhaus auch so wirken können, wäre interessant zu beobachten (und zu hören). Constantin Trinks konnte mit dem RSO Wien einen prägnanten, einfühlsamen und hochinteressanten Wagner aufführen. Klar, daß das Orchester größenmäßig reduziert war - das hielt die geniale Musik aber locker aus.
Im Gegensatz zu den musikalischen Ausführenden war Tatjana Gürbaca für das Projekt leider nicht mit einer ebensolchen Kreativität gesegnet. Bis auf ein paar echt starke Momente - wie den Schluß der "Götterdämmerung", in dem Brünnhilde und Hagen als Kinder die neue Generation darstellten - zeichnete sich ihre Regie meist durch große Einfallslosigkeit aus. In den Teilen der "Götterdämmerung" hüpfte der Chor meistens sinnlos spastisch herum und sparte oft nicht mit unappetitlichen homoerotischen Anspielungen. Unappetitlich waren auch oft die Darstellungen vor allem von Loge und Alberich. Schade - dieses Spitzenprojekt hätte regiemäßig eine ebensolche Umsetzung wie beim gelungenen "Siegfried" vertragen.
In Sachen Konzert konnte man eine entbehrliche szenische Umsetzung der Beethoven-Musik zu Goethes Trauerspiel "Egmont" im Theater an der Wien erleben - und im Musikverein eine phänomenale Aufführung der überwältigenden 8. Symphonie von Gustav Mahler.
Eine Séverine Chavrier schuf die Szenerie von Goethes an sich beeindruckendem und kriegslastigem Stück. Die Umsetzung war dann auch leider ein "Trauerspiel" - wenn auch nicht nach Goethes Intentionen. Das Stück spielte auf einer Müllhalde; die Schauspieler schlenkerten sprachlich zwischen Deutsch, Englisch und Französisch hin und her. Wenn man nicht im Programmheft mitlas, wußte man gar nicht, wo man gerade war. Gerade noch gegen Ende konnte man (mit Abstrichen) ein echtes "Egmont"-Flair erahnen.
Musikalisch wurde das Werk von der Dirigentin Laurence Equilbey und dem Insula Orchestra recht ordentlich umgesetzt; Sheva Tehovals "Klara" war gerade noch erträglich. Wieder schade - die herausragenden Lieder der Schauspielmusik (vor allem das "Die Trommel gerühret") hätten eine viel bessere Interpretin verdient.
Dafür war das Solistenoktett bei Mahlers Achter im Musikverein ein Ensemble von Weltrang; auch die Einspringer namens Günther Groissböck und Theresa Kronthaler fügten sich hier perfekt ein. Die Niederösterreichischen Tonkünstler und die Spitzenchöre lieferten eine Spitzenleistung. Traurig war nur, daß der ehemalige Orchesterchef Orozca-Estrada wieder auf seine typisch "lineare" Art dirigierte. Er war bei dem Konzert eher Überwacher und Organisator als musikalischer Gestalter. Gerade die Symphonie hätte in dieser Hinsicht noch viel mehr Spielraum gehabt.
Traditionsgemäß begleiteten die Tonkünstler in Grafenegg das Publikum zum Jahreswechsel mit einem interessanten und launigen Silvesterkonzert. Ebenso launig war die Moderation von Maestro Eschwé, wobei er sich einen allzu persönlichen Kommentar über Heinz Holecek hätte sparen können. Musikalisch bot das Konzert einen interessanten Melodienreigen von Johann Strauß über Carl Maria von Weber bis hin zu Richard Heuberger. Besonders hervorstechend war dabei die deutsche Sopranistin Caroline Melzer, die leider viel zu selten bei uns zu hören ist.
Herbert Hiess
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