Musik_Juli - Ein neuer Tag

Placebos und Platitüden

Der Sommer ist endgültig out. Juli auch. Wer nach einem fulminanten Debüt ("Es ist Juli") ein unterdurchschnittliches Follow-up veröffentlicht, muß Prügel einstecken.    22.11.2006

Die "Perfekte Welle", die Juli anno 2004 in dünnluftige Chart-Höhen trug, ist längst versiegt, die Erinnerungen an "Geile Zeit" fast vergessen und scheel. "Ein neuer Tag", Julis aktuelle CD, hat so gar nichts mehr vom aggressiven Charme ihres Debütalbums. Eva Briegel und Mitstreiter ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus und glauben allen Ernstes, damit bei ihren Fans durchzukommen.

Weit gefehlt: Weder die neuen Texte (z. B.: "Zerrissen") noch Briegels neue Haarfarbe können darüber hinwegtäuschen, daß hier von einem Label marketingtechnokratisch verordnete Placebos verabreicht werden. Die neuen Songs wirken wie auf dem Reißbrett entworfen und klingen alle gleich. Freilich fehlen diesen weichgekochten Rip-offs auch die Bissigkeit und die tiefe Emotionalität, die Juli einst zu einem zurecht vielgelobten Vertreter des deutschen Diskurs-Pop gemacht hatten.

Besagter Diskurs-Pop wird wohl in Zukunft ohne Juli auskommen müssen. Das wäre an sich auch kein Problem. Doch was denkt sich eine Band, wenn sie solch ein Kompendium lieblos heruntergenudelter Songs auf ein Album preßt? Stecken Juli in einer Midlife-Krise? Dafür sind sie noch zu jung. Vielmehr liegt es an der grassierenden Orientierungslosigkeit, die immer mehr Twens befällt - frei nach dem Motto: "Wir sind super und können uns alles leisten."

Das mag vielleicht in der zeitgenössischen deutschen Larifari-Literatur funktionieren, doch die Ohren lassen sich nicht so leicht täuschen. Popmusik besteht einfach aus viel mehr im Reflex wiederholten Parolen oder Reizwörtern. Die Single-Auskopplung "Dieses Leben" steht exemplarisch für dieses Vorgehen: "Mir ist kalt - mein Weg ist leer/diese Nacht ist grau und kalt und schwer." Wortwiederholungen (2 x "kalt" hält besser) und das in allen Songs verwendete, reduzierte Vokabular (Morgen, Tag, Nacht, Schmerz, kalt etc.) können niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

Das ist ja gerade so, als hätten Blixa Bargeld oder Heiner Müller nie expressionistische Texte geschrieben. Angesichts der eklatanten Simplifizierung der deutschen Sprache, betrieben von Juli nahestehenden Cash-and-Career-Bands wie etwa Wir sind Helden müßte man zu dem Schluß gelangen, der Diskurs-Pop sei überhaupt tot. Daß dem nicht so ist, verdanken wir aufrechten Recken wie Blumfeld, Kante und natürlich den Sternen. Doch das ist nur die eine Seite.

Die andere Seite, die auf Julis "Neuem Tag" ans Licht gelangt, ist die Musik. Langweiliger haben Juli noch nie geklungen. Auch Eva Briegels sirenenhafter Gesang, der frühere Songs wie "Warum" in ganglienschneidende Ohrwürmer verwandelte, wirkt plötzlich gekünstelt und aufgesetzt. Eva singt noch immer treffsicher, doch trifft sie damit nicht mehr unsere gebrochenen Herzen. Zu hohl sind die Platitüden ("Was hat dich so zerissen/was hat dich so verletzt/was hat dich und dein Leben und dein Herz so zerfetzt?"), die eher nach Auszählreim klingen als nach dem letzten Aufbäumen jugendlicher Libido gegen die Kälte der unmenschlichen Kapitalistenwelt, in deren Tretmühle wir regelmäßig ins Wanken geraten.

Es gibt keinen Zweifel: Juli haben ihren Frieden mit dem Establishment gemacht und bieten nun schaumgebremste Muzak von der Stange. Wirklich ärgerlich - dabei hatte alles so gut begonnen ...

Ernst Meyer

Juli - Ein neuer Tag

Ø 1/2


Universal Records (D 2006)

 

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