Musik_Glucksche Reformationsoper und Joyce DiDonato
Griechische Wirren
Nein, ausnahmsweise ist hier nicht von EU-Wirtschaftsturbulenzen die Rede, sondern von der Vertonung der Mythologie um den trojanischen Krieg: Christoph Willibald Glucks Oper "Iphigenie in Aulis" - wieder ein Hit im Theater an der Wien. Am Tag darauf demonstrierte die amerikanische Primadonna Joyce DiDonato im selben Haus echtes Welttheater. Der EVOLVER-Klassikexperte war beide Male dort.
26.11.2012
Vor mehr als zwei Jahren brachte das Theater an der Wien Glucks Oper "Iphigénie en Tauride", bei der - so wie jetzt - Torsten Fischer regiemäßig Hand anlegte. Und genauso wie damals setzt es auch heute höchstes Lob für die Inszenierung, die (bis auf den unlogischen Schluß) das Drama aus der griechischen Mythologie in betörenden Bildern zeigt. Am beeindruckendsten ist die große Szene der Iphigenie im letzten Akt, als überdimensional das Gesicht ihres Vaters Agamemnon auf die Videowand gestrahlt wird. Faszinierend, wie man seinen Gesichtsaudruck zu den Worten der Tochter verfolgen kann ...
Ein gleichermaßen interessanter und szenisch gelungener Einfall Fischers ist, daß die Göttin Diana (die forderte, daß Agamemnon seine Tochter den Göttern opfern soll, um Troja besiegen zu können) Iphigenie fast immer auf Schritt und Tritt durch die Szenerie folgt. Die von einer Schauspielerin dargestellte Jagdgöttin gibt bis auf ihr einziges Wort "Arretez!" (Anm.: "Halte ein!") eine stumme Rolle. Fischers Personenführung (unter massivem Einsatz der Drehbühne) beweist wie immer große Klasse. Nur als Iphigenies Mutter Klytemnestra am Ende jemanden entgegen der Handlung umbringt, schießt die Regie knapp am Volltreffer vorbei.
Den musikalischen Teppich breiten die souveränen Symphoniker aus, die unter Alessandro de Marchi locker als "Barockorchester" durchgehen würden. Die intensiven Sänger Myrtò Papatanasiu als Iphigenie, Michelle Breed als Klytemnestra und vor allem Bo Skovhus als Agamemnon machen aus der Gluck-Oper eine Spitzenaufführung.
Daß Gluck trotz des reformatorischen Fortschritts kein Barockkomponist ist, hört man in jedem Takt. So sind viele Klangfarben (z. B. Tremoli) zu vernehmen, die eigentlich erst in der Romantik eingesetzt wurden. Der Einsatz von Posaunen und speziellen Schlaginstrumenten vervollständigt nur Glucks Rolle als Verweigerer der barocken Tradition. Dennoch war er kein Opernkomponist - trotz vieler bestechender Momente unterbrechen einige leere Rezitative und Szenen den dramatischen (und musikalischen) Fluß. Dank der Interpreten ist diese Aufführungsserie auf alle Fälle eine wertvolle Bereicherung des Repertoires des Hauses an der Wien.
Am Tag nach dem Gluck-Erlebnis des EVOLVER-Klassikprofis bringt der amerikanische Superstar Joyce DiDonato Weltklasseflair ins Theater an der Wien. Unter dem eher plakativen Titel "Drama Queens" singt der Mezzo "königliche" Arien diverser Barockkomponisten und zeigt dem Publikum, was eine echte Primadonna ist.
Abgesehen von Äußerlichkeiten wie dem häufigem Robenwechsel (einmal mit und einmal ohne Reif) ersingt sich DiDonato rasch die Begeisterung des Publikums. Trotz der konzertanten Atmosphäre macht die Sängerin aus jeder Arie ein Mini-Drama. Mit ihrem äußerst ausgeprägten Charisma fasziniert sie schon vor Beginn des Gesangs mit ihrem Gesichtsausdruck und den feinen Bewegungen.
Daß ihre Stimme exzellent ist und jede noch so schwierige Koloratur punktgenau sitzt, daß sie wortdeutlich singt, kräftigste Forti genauso elegant und intensiv vorträgt wie die feinsten Piani - das vervollständigt nur das Gesamtbild der großen Künstlerin.
Weniger punktgenau sitzen die Geigentöne des an der Primgeige spielenden und dirigierenden Dimitry Sinkovsky. Zwar spielt er intensiv und schön, doch im Finalsatz des Violinkonzerts "Pisendel" geht das Temperament mit ihm durch - und dabei gehen viele Töne verloren. Manchmal ist weniger halt doch mehr ...
Herbert Hiess
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