Musik_George Jones - She Thinks I Still Care

Der Kronprinz von Nashville-Hausen

Seit Johnny Cash, Porter Wagoner und Waylon Jennings im Himmel neben Hank Williams sitzen, ist nur noch einer der großen Country-Heroen übrig: der Texaner George Jones. Wer nichts über ihn weiß, sollte das neue CD-Box-Set nicht verpassen.    23.01.2008

Auch wenn ihn hierzulande kaum einer kennt: George Jones ist einer der Großen. Im Country-Pantheon steht er auf einer Stufe mit Hank Williams, Jimmie Rodgers und Johnny Cash. Will man über seine Bedeutung schreiben, sind Übertreibungen kaum möglich. Es lohnt sich, seine Musik zu entdecken, weil Jones nicht nur ein Großer, sondern eben auch ein Kreuzguter ist. Die Qualität seiner Stücke war und ist über jeden Zweifel erhaben, und auch die Songwriter-Kollegen schätzen ihn.

So verwundert es auch nicht, daß kein anderer Star des nicht gerade als neidfrei bekannten Country-Busineß protestierte, als die Nashville-Gemeinde George Jones den Ehrentitel "Crown Prince of Country Music" verlieh. Der künstlerische Nimbus des "Singer of Singers" blieb dank seiner stimmlichen Qualitäten absolut unangefochten. Daran konnten weder Negativschlagzeilen über Drogenexzesse, private Abstürze, dramatische Scheidungsschlachten oder Mordgerüchte etwas ändern. Auch die vielen abgesagten Gigs, die Jones seinen zweiten Spitznamen einbrachten ("Mr. No-Show Jones"), änderten nichts am Nimbus des Künstlers. Er ist ein Ausnahmesänger und -musiker mit zwei Seelen, die seine Brust zeitlebens zu sprengen drohten: Unzählige Preise und Number-One-Hits stehen massiven, alkohol- und drogenbedingten Aussetzern gegenüber.

Das exzessive Rock´n´Roll-Wildlife führte auch dazu, daß er trotz florierender Einkünfte regelmäßig an Geldnot litt. Jones war oft so klamm, daß beispielsweise befreundete Künstler wie Johnny Cash und Waylon Jennings aushelfen mußten, um die Rechnungen für Aufenthalte in Entziehungskliniken zu begleichen. Ob George Jones dereinst für alle seine Sünden Erlösung erlangen wird, kann hier nicht beantwortet werden; ein Argument zur Vergebung seiner Verfehlungen kann er dennoch anbringen: sein seelenvolles und sehnsuchtstriefendes Gospel-Album "Homecoming In Heaven".

 

Unter dem Titel "She Thinks I Still Care" erscheint nun, zu Jahresbeginn 2008, ein opulentes Box-Set mit fünf CDs und 150 Titeln des verschwenderisch-großartigen Country-Crooners, das sämtliche Aufnahmen für United Artist Records aus den Jahren 1962 bis 1964 vereint. Die randvollen Discs enthalten die damalige Quintessenz, das Destillat des bis dato gelebten Lebens von George Jones. Nicht mehr und nicht weniger - aber genau darum funkeln die Songs noch heute wie Diamanten, die mit Kraft aus dem Gestein gerissen wurden.

Jones´ Biographie läßt sich mit "She Thinks I Still Care" eindrucksvoll nachvollziehen: Der 1931 in Beaumont/Texas geborene und dort auch aufgewachsene Sänger begeisterte sich bereits als Kind für Gospel und für die Songs der Carter-Family oder von Jimmie Rodgers. Nachdem seine Eltern einige mühsam verdiente Groschen in den Kauf eines kleinen Radios investiert hatten, entflammte sein Herz vollends für Country-Musik. Folgerichtig, aber nicht ganz uneigennützig war dann das Geschenk des Vaters an den damals neunjährigen Buben: Mit seiner ersten Gitarre sollte Klein-George an den Straßenecken in und um Beaumont eine Handvoll Dollar für die Familienkasse verdienen.

Mit 16 wurde aus dem Feuer ein Flächenbrand, und Jones machte sich aus dem Staub, um in Jasper/Texas als Musiker Erfolg zu finden - zunächst allerdings nur mäßigen. Tagsüber hielt er sich mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs über Wasser, nachts trat er in drittklassigen Spelunken und Bars auf. Als es dann etwas besser zu laufen anfing, ergatterte er auch diverse Kurzauftritte bei lokalen Radiosendern, bei denen er Songs im Stile seiner Idole Bill Monroe, Roy Acuff oder Hank Williams coverte. Letzterer soll ihm auch nach einem Probe-Hearing den für den weiteren Karriereverlauf entscheidenden Ratschlag gegeben haben, nicht wie Hank Williams, sondern wie George Jones zu singen. Dafür bedankte sich Jones noch 1969 in einem Fernseh-Interview und mit diversen Top-Hits, für die ihm wiederum die Country-Fan-Gemeinde dankbar ist.

Seine ersten, mäßig erfolgreichen Singles nahm Jones in den frühen fünfziger Jahren auf, als er von Harold W. Pappy Daily, dem Mitbesitzer des texanischen Country- und Rockabilly-Labels Starday, unter Vertrag genommen wurde. Der Durchbruch gelang nach zwei Jahren mühevoller Arbeit 1955 mit dem Song "Why, Baby, Why", der es immerhin auf Rang Nummer vier in den Charts schaffte. Allerdings erreichten Webb Pierce und Red Sovine mit ihren Coverversionen der Jones-Single sogar die Charts-Spitze. Das erste Album auf Starday Records gilt längst als ein Klassiker des Honky-Tonkin´-Rock und kostet auf eBay schon mal soviel wie ein gebrauchter Kleinwagen. Für die Entwicklung des Genres ist es ebenso wichtig wie Johnny Cashs Aufnahmen für Sun oder die 78er-Platten von Hank Williams.

 

Nach weiteren Erfolgen (unter anderem wurde Jones - übrigens gleichzeitig mit Elvis - Mitglied des Louisiana Hayride und der Grand Ole Opry) wechselte er zusammen mit dem Starday-Label zu Mercury Records. Dieser Deal ermöglichte es ihm und Daily, fortan in der "Music City" Nashville aufzunehmen - und somit im Herzen des Country-Busineß zu agieren. Das folgerichtige Ergebnis waren diverse Hits; als besonders einträglich erwies sich die Single "White Lightning", die weniger ein Country-Song als ein rüder Rockabilly-Mix war und sich 1959 fünf Wochen auf Platz eins hielt.

Als Jones´ Mentor Pappy Daily 1962 als Produzent zur Plattenfirma United Artists wechselte, kam George kurzerhand mit und landete auch dort mit "She Thinks I Still Care" einen Riesen-Hit. Der Song ist eine herzaufwühlende Ballade von der Art, die bald zum Markenzeichen von Jones werden sollte. Insofern ist er auch der ideale Namensgeber für die aktuelle Box. Das fünfteilige Set liefert, wie bei Bear Family üblich, eine ausführliche Biographie über Jones, wunderbares und zum Teil auch extrem seltenes Photomaterial sowie natürlich eine komplette Diskographie aller hier enthaltenen 150 Songs, von denen sechs bis jetzt unveröffentlicht waren. Großes Lob gebührt Richard Weize, dem Chef der Bärenmarke, und seinem Team auch dafür, daß man sich wieder einmal bemühte, die originalen Alben- und Singles-Covers abzudrucken. Für Fans purer Country- und Rock´n´Roll-Ästhethik aus der Blütezeit ist "She Thinks I Still Care" ein echtes Highlight, bei dem es an Aufnahmequalität und Optik nichts zu mäkeln gibt.

Das gilt auch für die Songs der United-Artists-Ära von George Jones, die komplett in der Box enthalten sind. Neben allen Singles aus dieser Phase dürften für den Fan vor allem die sehr seltenen Tribute-Alben interessant sein: Jones nahm damals hochgelobte Coverversionen-Platten mit Songs von Little Jimmy Dickens oder Bob Willis auf. Den Liedern seines Idols Hank Williams näherte er sich angeblich mit ehrfürchtigem Widerwillen, was man den Aufnahmen aber nicht anhört. Das originäre Jones-Material, die Balladen, kommen seiner sinnlichen, stets präsenten Stimme sehr entgegen, was auch an der geradezu puristischen Produktion liegt. Diese Songs von George Jones stammen direkt aus dem Herzen der Finsternis, werden aber von derart engelsklaren Vocals vorgetragen, daß die bösen Geister der Dunkelheit damit unweigerlich vertrieben werden.

In der Box sind auch noch die besten Duett-Nummern, die Jones zusammen mit Melba Montgomery eingespielt hat und die belegen, daß es durchaus ein sinnliches Wechselspiel zwischen einem Engel und dem Teufel geben kann. Mit seiner späteren Ehefrau und Scheidungsgegenspielerin Tammy Wynette gelang das weitaus weniger - wohl weil sie ihm zu oft die Whiskey-Flaschen wegnahm, um sie ins Klo zu leeren. Sowas verwässert die Zusammenarbeit im Studio dann schon einmal ...

Emmerich Thürmer

George Jones - She Thinks I Still Care: The Complete United Artists Recordings 1962-1964

ØØØØØ

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Bear Family Records (D 2008)

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