Musik_Egks "Peer Gynt", Rossinis "Elisabetta" und Monteverdis "Ulisse"
Opernhafter Frühling
Im Theater an der Wien gab es eine interessante Ballung von Opernproduktionen - zwei szenischen und zwei konzertanten. Bis auf Porporas "Germanico" waren alle Aufführungen auf höchstem Niveau. So erlebte man etwa eine umwerfende Regie von "Bad Boy" Franz Konwitschny und einen herausragenden musikalischen Monteverdi unter René Jacobs.
04.04.2017
Peter Konwitschny ist als Regisseur nicht unumstritten. Was er aber in der aktuellen Produktion von Werner Egks "Peer Gynt" auf die Bühne gezaubert hat, ist einfach unnachahmlich. Wie in Verdis "Attila" beschreibt er den Lebensweg der Märchenfigur "Peer Gynt" von der Jugend bis ins hohe Alter. Bei Verdis früher Oper ging diese Methode zwar schief, doch diesmal zeigte Konwitschny den steinigen Weg des Träumers Gynt und seine zarte Liebe zu Solveig in berührenden Bildern.
Daß die grandiose Maria Bengtsson sowohl die Solveig als auch die "Troll-Tochter" spielte, demonstrierte Konwitschnys Ansicht von der Austauschbarkeit der Personen. Die Trolle wurden hauptsächlich von Chor und Statisterie dargestellt; auch hier war des Regisseurs Auffassung der üblen und falschen Gesellschaft beeindruckend. Es war einfach toll, wie er die fließende Grenze zwischen "ehrbaren Bürgern" und der "Unterwelt" darstellte.
Musikalisch war die Aufführung mehr als beeindruckend. Natürlich wird man in der einschlägigen "Szene" nicht müde, Egks angebliche Nähe zu den Nationalsozialisten immer wieder breitzutreten - umso erfreulicher, daß gerade Konwitschny keinerlei Anspielungen darauf machte. Egks Musik umfaßte die ganze Palette der Musikgeschichte. Von Madrigalen und polyphoner Renaissancetechnik bis hin zu Jazz und Swing ließ der deutsche Meister sein ganzes könnerisches Spektrum hören.
Das einzige, was man da kritisieren muß, ist die Seltenheit, mit der diese Oper aufgeführt wird. Umso mehr freut man sich darüber, daß man diese Produktion erleben durfte.
Im Rahmen seiner Irrfahrten verirrte sich Odysseus nach fünf Jahren für einen kurzen Besuch an die Wien. Nach einer wunderschönen szenischen Produktion vor einem halben Jahrzehnt verlieh der grandiose Stéphane Degout unter den musikalischen Zauberhänden von René Jacobs seine Stimme dem irregeleiteten König von Ithaka Odysseus, der nach der Schlacht von Troja offenbar den Anschluß verpaßte. Seine Frau Penelope wartete die ganze Zeit (zehn Jahre) - ihm treu ergeben - auf seine Rückkehr.
Obwohl "nur" konzertant aufgeführt, war die Monteverdi-Oper "Il Ritorno d´Ulisse in Patria" durch gezielte Auf- und Abtritte, szenische Andeutungen etc. so inspirierend, daß wahrscheinlich keine Bühnenregie bessere Ergebnisse hervorgebracht hätte. Die 13 Solisten waren einander absolut ebenbürtig. Dank René Jacobs, der Monteverdis Musik das prallste Leben einhauchte, konnte man knappe drei Stunden lang eine der schönsten musikalischen Reisen seit langem erleben.
Ein Meister des musikalischen Recyclings war unbestritten der italienische Lebenskünstler Gioachino Rossini. Niemand verstand es so charmant und gut, seine musikalischen Einfälle gleich mehrfach (und vor allem genial!) wiederzuverwerten. So geschah es auch bei seiner Opfer "Elisabetta", die 1815 in Neapel uraufgeführt wurde. Nur ein Jahr später findet man die meisten Melodien daraus instrumental modifiziert im allseits bekannten und beliebten "Barbiere di Siviglia" wieder. Rossini erfand mit der "Elisabetta" die musikalischen Königsdramen, die Donizetti 15 bis 20 Jahre später mit seinen Vertonungen von "Anna Bolena", "Maria Stuarda" usw. fortsetzte.
Die Neuproduktion unter der szenischen Ägide von Amélie Niermeyer kann mal als durchaus gelungen bezeichnen, auch wenn sie nicht ganz so perfekt szenisch umgesetzt war wie Egks "Peer Gynt" durch Konwitschny. Trotzdem war die Regie interessant und ansprechend. Musikalisch war die Aufführung unter der profunden Leitung von Spinosi höchst kompetent. Alexandra Deshorties war eine hochinteressante und stimmlich hervorragende Elisabetta, die restliche Besetzung leider nicht mehr als sehr guter Durchschnitt. Wenn man hört, in welch schwindelerregende Höhen sich die beiden Tenöre in dem Königsdrama bekämpfen, muß man froh sein, daß so eine Besetzung überhaupt zustande kam.
Die konzertante Aufführung von Porporas "Germanico in Germania" war ursprünglich als Besuch im Rahmen einer PR-Tour für die CD-Neuproduktion gedacht. Da die Neuerscheinung um fast ein halbes Jahr auf August 2017 verschoben wurde, kam man halt ohne CD-Präsentation in den Genuß dieser Aufführung.
Porpora war Komponist und Gesangslehrer gleichzeitig; bei ihm kamen vor allem die Kastraten in den Genuß einer mehr als virtuosen Ausbildung. Daß er eher an den Stimmen als am Charakter der Musik orientiert war, merkt man (leider) bei dieser Komposition. Bis auf ein paar originelle Einfälle, wie das Solo der zwei Hörner in der Ouvertüre und die Arie von Rosmonda mit Orchester und Solohorn, plätscherte das Stück gute drei Stunden vor sich hin. Orchestral waren kaum Emotionen und Höhepunkte zu bemerken.
Interessant sind die inhaltlichen Zusammenhänge von "Germanico" mit Händels "Arminio". Die ebenfalls 1732 uraufgeführte Oper des deutsch-englischen Meisters erzählt von der berühmten Hermannsschlacht im Teutoburger Wald. Dieser befindet sich in der Nähe von Detmold, wo noch immer die Hermannshöhe von der Geschichte der römischen Besatzung im heutigen Deutschland erzählt.
Porpora kann nicht an Händels Erfolg anknüpfen. Natürlich ist alles sauber instrumentiert, und die Stimmen sind hochvirtuos eingesetzt. Trotzdem waren das fast die langweiligsten drei Stunden seit langem. Ein Übriges tat die fast peinliche Wiedergabe durch das polnische Orchester für alte Musik dazu. Viele unsaubere Einsätze wurden durch fast schmerzhaft falsch klingende Naturhorntöne abgelöst. Das sicher interessant klingende Duo der Hörner in der Ouvertüre war durch die unsaubere Stimmung und die "Kiekser" nicht erkennbar.
Auch stimmlich war die Aufführung nicht wirklich berauschend - allein Julia Lezhneva verlieh der Aufführung einen "Touch" von Weltklasse. Wenn man diese Aufführung mit Monteverdis "Ulysse" eine Woche zuvor vergleicht, bei der alle fast immer auswendig auf Spitzenniveau sangen und das belgische Orchester einen Klangrausch produzierte, tut man sich schwer zu glauben, daß das im gleichen Haus stattfand. Auf alle Fälle war´s keine wirklich gute Werbung für die neue CD ...
Herbert Hiess
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