Musik_CD-Tips KW 07/08

Party like it´s 1957

Blick zurück nach vorn - oder, anders ausgedrückt: Das zufällig aus der Pop-Historie herausextrahierte Jahr 1957 hat uns auch heute noch viel zu geben, wie die drei hier besprochenen CDs belegen.    15.02.2008

Manfred Prescher

Billy Bragg - Mr. Love And Justice

ØØØØ

Anti/Indigo (GB 2008)

Leserbewertung: (bewerten)

1957 war ein merkwürdiges Jahr: Der Rock´n´Roll hatte sich vorüber- und weitgehend im Marketing-Rummel aufgelöst. Und während sich das Volk hierzulande hinter Nierentischen verschanzte und mit Freddy von der großen weiten Welt träumte, machte Sinatra einige seiner besten Aufnahmen und feierte mit dem Rat Pack seine glamourösen Exzesse. Auf der Insel seiner Majestät Cliff Richard kam in jenem Jahr ein Mann zur Welt, der in den 80er Jahren das gute Gewissen des Pop verkörpern sollte: Billy Bragg. Als Gründer des Red-Wedge-Movements unterstützte er die Bergarbeiterbewegung, agierte gegen Atomstrom, Apartheid und alle Kriege dieser Welt. Ein Beatles-Cover brachte den Songwriter sogar an die Spitze der Charts, wo er eigentlich mit "Levi Stubbs´ Tears", der Hymne an den Four-Tops-Sänger, hingehört hätte.

Seit einigen Jahren ist Bragg wieder da, mit guten bis sehr guten Alben - zu denen auch das neue Werk gehört. Besonders empfehlenswert ist die "Deluxe Edition", die neben den Aufnahmen mit kompletter Band auch noch größtenteils sehr intensive Solo-Versionen der Songs enthält. Die Stücke sind typisch für Bragg, wirken fast ein wenig anachronistisch und dadurch schon wieder modern. "O Freedom", "Farm Boy" oder "I Almost Kill You" würden auch auf Frühwerke wie "Brewing Up With Billy Bragg" oder "Worker´s Playtime" passen.

Links:

Nick Cave & The Bad Seeds - Dig, Lazarus, Dig!!!

ØØØØ

Mute/EMI (GB 2008)

Leserbewertung: (bewerten)

Noch einer, der 1957 das Licht der Welt erblickte: Nick Cave. Der Australier gewährte seinen Fans immer schon einen Blick zurück, was oft auch zu innovativen Werken führte. Auch die 14. Platte, die er zusammen mit seiner Dauerbegleit-Kombo The Bad Seeds einspielte, geht diesen Weg. Wobei diesmal die eigene Historie im Vordergrund der musikalischen Betrachtungen steht: Was mit der ruppigen "Grinderman" begann, erfährt jetzt eine moderatere Fortsetzung: elf unterkühlte Songs, die eher an "The First Born Is Dead" als an aktuellere Bad-Seeds-Alben erinnern. Es gibt kaum Molltöne - und auch die Herzenswärme, die Cave in jüngster Zeit selbst in depressive Momente legte, fehlt. Im Kühlschrank brennt halt noch Licht, denn Nick hat die Tür offengelassen. Bestes Beispiel ist die (einzige) "Ballade": "Jesus Of The Moon" wirkt wie ein Eiswürfel im Genick und hinterläßt ein erregendes Frösteln. Der Rest klingt wie Grinderman mit angezogener Lärmbremse. "Dig, Lazarus, Dig!!!" ist nicht modern, klingt nach frühen 80er Jahren - und dadurch erstaunlich frisch.

Links:

Various Artists - The Leiber & Stoller Story/Volume 3, 1962-1969

ØØØØ 1/2

Ace Records/Soulfood (GB 2008)

Leserbewertung: (bewerten)

Jerry Leiber und Mike Stoller waren groß - besonders im Jahre 1957, in dem sie mit "Young Blood", "Lucky Lips" oder "Jailhouse Rock" Evergreens von Monstergröße schufen. Zu einer Zeit, als Texter und Komponisten noch als Ghostwriter agieren mußten, waren Leiber/Stoller bereits eine Marke, die für perfekte Songs und ebenso perfekte Arrangements stand. Davon profitierten dann unter anderem Elvis und die Coasters. Zu den unsterblichen Hits des kreativen Duos gehören "Charly Brown", "Love Potion No. 9", "Yakety Yak", das zunächst für Big Mama Thornton geschriebene "Hound Dog", die Elvis-Hits "Don´t" und "King Creole", "Spanish Harlem", "Stand By Me" oder "Poison Ivy".

Nachzuhören ist die Erfolgsgeschichte auf den ersten beiden Teilen der "Leiber & Stoller Story", die das rührige Ace-Label bereits aufgelegt hat. Der nun erschienene dritte Teil stellt das Spätwerk aus den 60er Jahren vor. Zu dieser Zeit sind Leiber und Stoller längst von dem von ihnen entdeckten und geförderten Phil Spector überholt worden. Die Zahl der Hits wurde kleiner, was aber nicht an der Qualität der Songs, sondern am Zeitgeist lag. Dions "Drip Drop" und "Jackson" - ein Stück, mit dem sowohl Johnny Cash und June Carter als auch Lee Hazlewood und Nancy Sinatra auf sich aufmerksam machten - sowie "I (Who Have Nothing)" gehören zu den seltenen Ausrutschern in obere Charts-Regionen. Neben diesen Liedern bietet der erneut schön editierte und remasterte Sampler 21 Perlen, unter anderem von den süßen Shangri-Las, Ben E King, den Exciters oder von Solomon Burke.

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.