Musik_CD-Tips der Woche

Tainted Love

Komplexe Pop-Operas, weichzellige Cover-Versionen und jede Menge Dudelmusik tanzen in der aktuellen Ausgabe unserer CD-Empfehlungen durch die Gehörgänge.    08.06.2007

Manfred Prescher

Marc Almond - Stardom Road

ØØØØ

Rough Trade (GB 2007)


Großes Gefühl, die Erste: Wenn jemand über das Meer des Pathos laufen und dabei den Salbungsvollen geben kann, dann ist es Marc Almond.

Erstens macht er das schon seit den Tagen von Soft Cell, den Mambas und "Mother Fist", und zweitens hat er 2004 einen Motorradunfall nur mit knapper Not überlebt und danach praktisch Auferstehung gefeiert. Da darf man schon einen Gottesdienst zelebrieren und 13 Hohelieder auf die Liebe, das Nachtleben und die Séparées singen.

Auf "Stardom Road" wählt er dazu wieder mal Songs anderer aus und covert die mit dem ihm eigenen Schmelz. Almond nimmt sich - bis auf Bert Kaempferts Sinatra-Mitternachtssuppe "Strangers In The Night" - allgemein eher unbekannter Stücke an, zum Beispiel der Steilvorlage für den Soft-Cell-Klassiker "Bedsitter": dem aus Al Stewarts früher, völlig unterbewerteter Folk-Phase stammenden "Bedsitter Image". Dazu passend gibt es Bobby Darins 50er-Jahre-Tragödie "Dream Lover", Barry Ryans famos umgesetztes "Kitsch" - denn dafür hat Almond ein Faible - oder Dusty Springfields "I Close My Eyes And Count To Ten". Dieses Stück intoniert Almond in zarter Eintracht mit St. Etiennes Sarah Cracknell. Gemeinsam mit Antony von Antony & The Johnsons interpretiert er auch "Ballad Of The Sad Young Man", was seit Petula Clark schon viele Künstler schlechter hinbekamen. "Redeem Me (Beauty Will Redeem the World)" ist dann seine erste Eigenkomposition seit dem Unfall und fügt sich nahtlos ins schwelgerische Gesamtkonzept.

Links:

Rufus Wainwright - Release The Stars

ØØØØØ

Universal Music (Kanada 2007)


Großes Gefühl, die Zweite: Wenn Marc Almonds Platte als Pop-Operette durchgeht, dann ist Rufus Wainwrights Nachfolger von "Want One" und "Want Two" eine komplexe Oper.

Robert Stolz oder Giuseppe Verdi? Kann man beides mögen. Seine austrainierte Fähigkeit als ernstzunehmender Komponist hat Wainwright erst kürzlich mit "Yellow Lounge Compiled by Rufus Wainwright" unter Beweis gestellt. Aber wollte er dieses Mal nicht eigentlich ins Reich von Düsternis und Schwermut abdriften, Geschichten aus der Gruft erzählen? Ist er dafür nicht gar ins ach so depressive Berlin gezogen? Gut, daß er der Alte geblieben ist!

Natürlich spielen Trauer und Melancholie eine nicht unwichtige Rolle auf "Release The Stars", aber diese Emotionen sind durch den komplexen Wall of Sound zigfach gebrochen. So führt er uns in der orchestralen Ouvertüre "Do I Disappoint You" auf gewundenen Pfaden in schwindelerregende, paradiesische Höhen - dorthin, wo nur noch der Erzengel Michael mit seinem Flammenschwert wartet. "Nobody´s Off The Hook" ist die Arie vom gebrochenen Herzen, das jedem bevorsteht, der sich verliebt. Absolute Höhepunkte innerhalb dieses Meisterwerks der Songwriter- und Arrangeurskunst sind "Not Ready To Love" und das flirrende "Leaving For Paris No. 2". iTunes-User bekommen übrigens einen zusätzlichen, 13. Track, den "Cowboy Song" - und der lohnt sich ebenfalls.

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Guru´s Jazzmatazz - Vol. 4

ØØ

V2 Records (USA 2007)


Genaugenommen war nur der erste Teil von Gurus Jazzmatazz-Projekt richtig gut. Damals, 1993, schwamm der volkstümlichere Teil des innovativen Duos Gang Starr auf der Jazz-Rap-Welle ganz oben - und damit weit über dem britischen Talking-Loud-Zirkus um Galliano.

Mit "Loungin´" und "Trust Me" waren sogar zwei echte Womanizer für die Ewigkeit drauf. Volume 2 hieß "New Reality" und folgte 1995, im Jahr 2000 kam mit "Streetsoul" der dritte, schale Aufguß. Nun erscheint eine weitere Fortsetzung, wie gewohnt als Crossover-Mischmasch mit meist gutem Groove und illustren Mitmusikern aus Soul, Dance und Jazz. Dieses Mal nennt sich das Werk im Untertitel "The Hip Hop Messenger: Back To The Future", und der selbsternannte Botschafter des HipHop hat unter anderem David Sanborn, Omar, Vivian Greene, Bobby Valentino, die famosen Blackalicious und Stammgast Caron Wheeler an seiner Seite.

Das Ergebnis: Latin-Soul-Funk-Jazz mit hohem Dudelfaktor und einigen Perlen, etwa dem Opener "Cuz I´m Jazzy" (mit Slum Village) und "Fine And Free" (mit Vivian Greene). "Jazzmatazz Vol. 4" ist unnötig wie ein Sonnenaufgang um Mitternacht und wirkt auf seine altbackene Art auch ähnlich unwirklich.

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Kommentare_

micky - 11.06.2007 : 13.57
Lieber Manfred,
diese Kritiken sprechen mir aus dem Herzen.
Schon in den 80ern wunderte ich mich, dass ich auf Mädels stehe.
Denn die Musik, die ich mochte waren u.a. Marc Almond (Soft cell), Pet Shop Boys, Erasure, Bronski Beat/Communards und ... ja Hüsker Dü.
Marc Almonds Russische Platte ist heute einer meiner Lieblingsmelancholie Begleiter und dem neuen Teil kann ich auch viel Spass abgewinnen. Auch Dank der vielen Gäste und der netten Sinatra-Version.

JAZZMATAZZ habe ich mit viel Spannung erwartet, aber ausser der Single und dem netten LOOK TO THE SUN enttäuscht es.
Von wo kenn ich eigentlich das Thema bei LOOK TO THE SUN ???
Bitte helft mir !!! ich verzweifle

muntere Waldgrüsse
daMicky
Manfred Prescher - 15.06.2007 : 21.14
Lieber Micky,
danke für das Lob. Es stimmt, "Look To The Sun" ist ziemlich gut, richtig schön im "Loungin'"-Groove. Deine Frage geistert mir allerdings auch schon lange durchs Gebälk. Ich werde sie auch beantworten - versprochen. Aber im Moment hirne ich wie blöd... Auf jeden Fall verwendet es Elemente, die ich von Marvin Gayes "Let's Get It On" und von Isaac Hayes wieder zu erkennen glaube. Wenn Du vor mir drauf kommst, dann wäre es nett, mich anzumailen!
In der übernächsten Woche habe ich was, was ich Dir ans Herz legen möchte: Dann bespreche ich die neue Marva Whitney (eine groovige Lady aus James Browns' Harem).
Gruß
Manfred

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