Akzente_Der Freischütz
Widerlegte Vorurteile
Ausgerechnet ein österreichischer Filmemacher inszeniert eine der anspruchsvollsten romantischen Opern - der Reinfall scheint programmiert. Und doch gelang Stefan Ruzowitzky mit dem "Freischütz" das Unerwartete. Herbert Hiess berichtet von einer Sternstunde im Theater an der Wien.
17.05.2010
Carl Maria von Webers "Freischütz" ist der Inbegriff der deutschen romantischen Oper. Sie hat allerdings den Nachteil, daß die hohen Anforderungen an Sänger, Regie und alle Musiker eine adäquate Umsetzung schwierig bis fast unmöglich machen.
Bertrand de Billy und Stefan Ruzowitzky gelang die Meisterleistung, das äußerst komplexe Werk nahezu perfekt in Szene zu setzen. Filmregisseur Ruzowitzky überraschte entgegen aller naheliegenden Bedenken; statt sich biederer Waldromantik zu verschreiben, setzte er auf Moderne ohne übertriebene Symbolik - und reizte doch die technischen Möglichkeiten aus. Die Vorgeschichte der Handlung lief als gestylter Schwarzweißfilm, wobei Karl Markovics (Samiel) zur Klavierfassung der Ouvertüre den begleitenden Stummfilmpianisten mimte. Auch sonst sparte die Regie nicht an Möglichkeiten, das Publikum in Stimmung zu versetzen. Bei Waldszenen etwa wurden nicht nur Naturgeräusche eingespielt, sondern zeitweise sogar Aromata versprüht.
Eine sichere Hand bewies Ruzowitzky ebenso in der Personenführung. Selten war die erste Ännchen-Arie so gut gespielt; außerdem bekam man deutlich den Eindruck, daß Agathe und Ännchen in Webers Oper ähnliche Rollen einnehmen wie Konstanze und Blonde in Mozarts "Entführung". Auch das Konzept, die Figur des Samiel dominierend durch die ganze Oper zu führen, ging auf - hört man ihn sonst nur als Sprechrolle in der Wolfsschluchtszene, begleitete er hier, stellvertretend für das Böse, das gesamte Stück.
Der zweite Geniestreich war die musikalische Seite. Bertrand de Billy bewies im Orchestergraben, gemeinsam mit dem in Höchstform spielenden ORF Radio-Symphonieorchester Wien, wie großartig diese Oper Webers ist.
Bereits 1821 uraufgeführt, beinhaltete sie damals schon viele Elemente, die Richard Wagner erst viele Jahre später für sich umsetzen sollte. Seien es die Klangmalereien bei den Waldszenen (wiederzuhören im "Waldweben" von Siegfried) oder die Wolfsschluchtszene, die sehr an die norwegischen Geistermatrosen aus dem dritten Akt des "Fliegenden Holländers" erinnert - der allerdings erst 22 Jahre später herauskam.
Die Sänger waren durchwegs hervorragend, von Elza van den Heever als liebliche Agathe mit strahlender Stimme, über die süße Deutsche Mojca Erdmann als kokettes Ännchen und Falk Struckmann als genialer Kaspar, bis zu Simon O´Neill als brillierender Max (wobei diese Rolle als Zwischenfach bekanntlich fast unsingbar ist; doch O´Neill schafft den Spagat zwischen Lyrik und Dramatik so souverän, daß man ihm den lustigen Akzent bei den Dialogen jederzeit verzeiht.)
Für den - zugegebenermaßen vorab reichlich skeptischen - Rezensenten war es eine überraschende Sternstunde. Nach dieser Produktion darf das Theater an der Wien wohl zu Recht als erstes Opernhaus Wiens bezeichnet werden.
Herbert Hiess
Kommentare_
Bin ich blind, oder läuft das schon wieder nicht mehr?