Akzente_W. A. Mozart - Lucio Silla
Schlachthaus-Romantik
Nicht nur der österreichische Bundeskanzler durfte sich heuer an einer der besten Opernaufführungen der letzten Jahre delektieren.
17.06.2005
Lucio Silla ist eine "Opera Seria", die Wolfgang Amadeus Mozart im zarten Alter von 16 Jahren schrieb. Wer sich heutige 16jährige ansieht, zweifelt naturgemäß an der Möglichkeit, daß ein Jugendlicher dieser Altersklasse ein so geniales Werk komponieren könnte. Mozart gelang dies auf formidable Weise. Lucio Silla ist das Pseudonym des römischen Diktators Sulla, der in einer eigentlich banalen Dreiecksgeschichte den vordergründig grausamen, doch in Wirklichkeit komplexbehafteten, neurotischen Diktator mimt.
Um was genau es geht? Silla ist in Giunia, die Tochter seines von ihm gemordeten Rivalen Marius verliebt und möchte sie um jeden Preis ehelichen. Doch Giunia liebt noch immer den von Silla in die Verbannung geschickten Cecilio, den sie für tot wähnt. Doch wie es eine ordentliche Geschichte mit Happy-End erzählen soll, gibt es einen dem Liebespaar wohlgesinnten Freund namens Lucio Cinna, der die beiden wieder zusammenführt. Nach vielen Querelen legt Silla sein Diktatoramt nieder und läßt das Liebespaar einander wieder näher kommen.
Im Theater an der Wien brillierten allen voran der Concentus Musicus Wien unter seinem Gründer und langjährigen Chef Nikolaus Harnoncourt: Der Maestro versteht die Genialität Mozarts plastisch darzustellen; die geniale Instrumentierung und Komposition überschreitet sowieso den Horizont vieler Kompositionskollegen Mozarts von damals und heute. Auch die Sänger gehören (nach heutigen) Gesichtspunkten zur Crème de la Crème. Kurt Streit gibt mit seinem markanten Tenor den schwer neurotischen, versoffenen und verkommenen Silla, Patricia Petibon eine glockenklar singende Giunia und Bernarda Fink einen virtuosen Cecilio. Verstärkt wird das Team durch Annette Dasch, Martina Janková und Cornel Frey.
Regisseur Claus Guth und "seinem" Bühnenbildner Christian Schmidt ist bei der Inszenierung die Meisterleistung gelungen, eine Handlung, die leicht in die Langeweile abrutschen könnte, auf drastische Weise präsent zu machen. In kontrastreichen Schwarz/Weiß/Grautönen wird die Welt des grausamen Diktators und der mithandelnden Personen gezeigt. Nur ab und zu - bei großen Emotionen - wird die Bühne in Farben getaucht. Die Morbidität der Szene beweist sich insofern, daß Sillas Arbeitszimmer das Ambiente und die Atmosphäre eines Schlachthauses hat. Genial auch die Personenführung und die Lichtregie von Manfred Voss. Mittels Schattenspielen und Lichteinwürfen schwankt die Welt Cecilios oft zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Auch die Sänger müssen als Schauspieler an ihre Grenzen gehen - so begeht Kurt Streit als Silla in seiner ersten Arie geradezu eine Selbstverstümmelung oder muß ein Rezetativ aus gefährlich luftiger Höhe singen.
Fazit: ein Meilenstein in der Operngeschichte des Theaters an der Wien, das glücklicherweise auch 2006 im Rahmen des Mozartjahres wieder aufgeführt wird; dann aber mit Michael Schade in der Titelrolle. (Ob Schade die grandiose Leistung Streits erreichen kann, bleibt abzuwarten. Man kann sich und Harnoncourt nur wünschen, daß er uns Zuseher und -hörer wieder am Mozartglück teilhaben lassen wird.)
Herbert Hiess
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