Akzente_Psychic TV 3

S/He is her/e

Genesis P-Orridge ist vielleicht die kontroversiellste Figur in der heutigen Musikszene. Nach Jahren der Pause nimmt er seine Band Psychic TV wieder einmal mit auf Tour.    21.09.2004

Als sich die Industrial-Pioniere Throbbing Gristle in den achtziger Jahren auflösten, entstanden daraus drei großartige neue Bands: Peter Christopherson gründete mit seinem Partner John Balance die legendären Coil, Chris Carter und Cosey Fanni Tutti machten als Synthie-Pop-Duo Chris & Cosey weiter, und Sänger Genesis P-Orridge gründete einen religiösen Orden namens Temple Ov Psychick Youth, dessen musikalisches Sprachrohr die Band Psychic Television wurde.

Dabei wurde ihm oftmals Sektierertum vorgeworfen und seine Kunst lautstark abgewertet. Zu schnell wechselten Psychic TV die Stilrichtungen, um von der einen oder anderen Szene völlig anerkannt zu werden; gleich ihre erste LP wurde ein Wechselbad Industrial-artiger Klangcollagen und kitschig-süßer Popsongs. Danach wechselte man zu harscheren Klängen, dann wieder zu Gitarren-Pop (die Band coverte damals unter anderem sogar Klassiker wie "Good Vibrations" von den Beach Boys) und schließlich auch zu Acid House, mit allem, was dazugehörte. Vom Smiley-Logo über Drogenkonsum und bunt schillernde Kostüme verwandelte sich die ehemalige Noise-Legende plötzlich in ein Hippiekollektiv, was viele ehemalige Fans verstörte.

Nach Jahren der Stille und wenig inspirierter Lyrikprojekte wurden letztes Jahr dann plötzlich Throbbing Gristle und Psychic TV für einmalige Events reaktiviert. Und wie das so ist bei einmaligen Projekten, wurde daraus natürlich mehr. Jetzt gehen Psychic TV sogar auf große Europatournee, die sie am 30. September auch ins Wiener Monastery führen wird.

Was man bisher so vom neuen Line-up hören konnte, klingt nach klassisch schnellem Rock. So definitiv kann man das bei einem Menschen wie P-Orridge allerdings nie sagen, denn seine künstlerische Arbeit ist und bleibt unberechenbar. Eines kann man aber garantieren: Der Abend wird auf jeden Fall ein optischer Leckerbissen. Denn Genesis und seine Frau haben zum Krieg gegen eindeutige Geschlechterrollen aufgerufen und sich beide die gleichen Brustimplantate einsetzen lassen. P-Orridge trägt heute Minirock, Lipgloss und Busen und sieht aus wie eine gealterte Nobelhure. Wer sich Appetit auf diesen Anblick holen möchte, sollte seine offizielle Webpage besuchen und die online gestellten Fotos genießen. Oder aber am 30. September ins Monastery schauen, um eine kontroversielle Ikone der Kunstszene in natura zu bewundern.

Walter Robotka