Akzente_Styriarte 2009: Porgy and Bess
Niki hat den Blues
In Graz wurde eine Lehrstunde in unerwarteten Freuden präsentiert. Wer Nikolaus Harnoncourt bislang als bloßen Originalklang-Apostel abgetan hatte, erlebte eine Überraschung. Der EVOLVER-Klassikexperte verfolgte begeistert, wie der gerade erst achtzig gewordene Star-Dirigent mit Swing, Blues und Jazzklängen bezaubern konnte.
07.07.2009
Hören Sie sich einmal im Verwandten-, Freundes- oder Bekanntenkreis um, was den Leuten "Porgy and Bess" sagt. Wahrscheinlich werden Sie meistens die Antwort "Kenn´ ich nicht!" vernehmen - und selten, aber bestenfalls: "Das ist ein Musical von Gershwin."
Was ist "Porgy and Bess" nun wirklich? Das Stück ist ein hochkomplexes Musikwerk, das vordergründig vielleicht manchmal musicalhaft wirkt. In Wirklichkeit hat George Gershwin all sein Wissen und seine Erfahrungen in das Meisterwerk eingebracht. Nicht zuletzt auch die europäischen Einflüsse (inklusive ein Treffen mit Alban Berg) und seine jüdisch-amerikanische Herkunft führten dazu, daß Gershwin damit eines der größten Musikdramen der Musikgeschichte komponierte.
Nikolaus Harnoncourt, der vor kurzem erst seinen 80. Geburtstag feierte, machte sich selbst und dem Publikum mit der Styriarte-Produktion von "Porgy and Bess" das schönste Geburtstagsgeschenk. Mit dem genialen Chamber Orchestra of Europe und dem ausgezeichneten Arnold Schoenberg Chor konnte er genau die Großartigkeit von Gershwins Komposition herausarbeiten. Der amerikanische Komponist hielt sich nicht mit vordergründigem Musical-Geplänkel auf; vielmehr gibt´s eine Abfolge von Fugen, Fugati, gospelartigen Arien, beeindruckenden Ensembles - alle auf komplexeste Art komponiert. Ganz herausragend war übrigens Porgys "Little Stars" aus dem ersten Akt, wo die Modulationen fast an Claudio Monteverdi erinnern.
Der steirische Maestro präsentierte mit Chor, Orchester und einem superben Solistenensemble eine ganz besondere Sternstunde. Selten hört man in einer Opernvorführung alle Solisten so qualitativ homogen. In einer semikonzertanten Aufführung (in Kostümen) haben Vater und Sohn Harnoncourt es ohne szenischen Schnickschnack geschafft, dichteste Opernatmosphäre auf die Bühne zu bringen. Die mehr als dreieinhalb Stunden vergingen einfach wie im Fluge, allein durch die Präsenz von Harnoncourts Interpretation. Der großartige Dirigent arbeitete alle Qualitäten der Komposition mit dem superben Orchester so heraus, daß niemand auf die Idee käme, das Gehörte als Musical zu bezeichnen. Wahrscheinlich hätte ihm auch niemand zugetraut, die verschiedenen Musikformen (ob Blues, Jazz oder Klezmer) so toll zu gestalten. Nur bei den zwei Sporting-Life-Nummern hätte man mehr "Frechheit" im Orchester erwartet; die vermißte man dann aber auch bei Sänger Michael Forest.
Harnoncourt verwendete eine Fassung ohne Striche; verwunderlich, warum dann nach der Einleitung "Jasbo Brown´s Blues" mit Chor und Orchester fehlte oder bei Bess´ Song "The Train is at the Station" einige Finaltakte ausgelassen wurden. Dafür war zu Beginn des dritten Aktes eine Schlagwerkimprovisation zu hören, die sehr an eine Klangschalen-Meditation erinnerte.
Aber das sind nur Beckmessereien, die nie das großartige Gesamtbild zerstören könnten. Man muß der Styriarte und Harnoncourt dankbar sein, daß sie so eine großartige Aufführung realisiert haben - zumal das Werk ja sonst fast nie gespielt wird. Damit hat sich Harnoncourt selbst ein akustisches Denkmal gesetzt; ein Glück, daß Sony Music einen Mitschnitt für die Nachwelt angefertigt hat.
Herbert Hiess
Kommentare_