Akzente_Alejandro Jodorowsky auf ARTE
Guns´n´Roses
Er galt als Verherrlicher körperlicher Gewalt und war das Liebkind von John Lennon. Er ist überzeugter Eso-Freak und spricht auch jene an, die bei Wörtern wie "Wellness" oder "Castaneda" Ganzkörpersausen kriegen. Er macht Fantasy und punktet bei denen, die Elfen und Trolle am liebsten auf den Mond schießen möchten. Er heißt Alejandro Jodorowsky und ist demnächst bei ARTE zu Gast.
17.04.2008
Frage: Was haben John Lennon, George Harrison, Marilyn Manson, Dita von Teese, Clive Barker, der Pantomime Marcel Marceau, Alt- und Neo-Hippies, Trash-Connaisseure, Comic-Conventions sowie der Fernsehsender ARTE gemeinsam?
Antwort: Alejandro Jodorowsky.
Jodorowsky ist Schauspieler, Pantomime, (Comic-)Autor, Regisseur, Schrecken der Investoren und Enfant terrible in allen Gassen. Und er ist einer, von dem der Ausspruch überliefert ist:
"Die meisten Regisseure machen Filme mit ihren Augen. Ich mache Filme mit meinen Eiern."
ARTE widmet diesem Herrn im April 2008 zwei Abende. Auf dem Programm stehen "El Topo" (1970) sowie "Montana Sacra - Der Heilige Berg" (1973).
Alejandro Jodorowsky, geboren am 7. Februar 1929, wuchs in Chile auf. Im Alter von 26 Jahren beschloß er, nach Paris zu gehen, um bei Marcel Marceau Pantomime zu studieren. 1967 entstand sein erster Spielfilm, "Fando y Lis"*, ein surreal anmutender Bilderrausch über die Reise eines jungen Paares ins gelobte Land Tar. Zugleich sollte dieser erste abendfüllende Beitrag Jodorowskys die formale und inhaltliche Blaupause für Kommendes darstellen: Mit seinen beiden Filmen El Topo und "Montana Sacra" erwarb sich der Regisseur danach seinen Kultstatus, auch fernab des Midnight-Movies-Phänomens.
Doch nicht alle sahen das von Anfang an so: "Der hemmungsloseste Effekthaufen der Filmgeschichte", schrieb "Der Spiegel" zum "El Topo" -Kinostart. "Die Wüste ist mit sämtlichen Leichen aller Spaghetti- und Hongkong-Western gepflastert, und das lebende Personal rekrutiert sich aus den Abstellkammern allen Zelluloid-Horrors. Dazwischen lassen Größen grüßen: Godards 'Weekend', auf vier Jahrtausende gestreckt, die bizarrsten Szenen Buñuels, Reste von Fellinis 'Satyricon', Rückstände aus der Mottenkiste Dalis und Unterhosen des Marquis de Sade, und alles wird zu einem echten Jodorowsky gebunden durch metaphysischen Quark aus der Milch katholischer Denkungsart."
Nun weiß man ja, daß "Der Spiegel" Filme, die nicht dem seit 1968 unumstößlich gültigen Kanon künstlerisch wertvollen Filmschaffens entsprechen, nicht oder frühestens 30 Jahre später zu akzeptieren bereit ist - was aber nichts daran ändert, daß er hier zumindest in der ersten Hälfte der Tirade durchaus recht hat. Allerdings darf man das auch in einem ganz anderen Licht sehen: Gerade die vom "Spiegel" verhöhnte Hemmungslosigkeit ist es, die "El Topo" immer noch zu einem faszinierenden Artefakt einer Ära macht, die sich über genau diese Hemmungslosigkeit definiert hat, bevor die humorlosen "Marschierer durch die Institutionen" ein linkes Biedermeier zu installieren trachteten.
Wenn es je einen Film gegeben hat - in diesem Fall noch dazu einen Western -, der den noch unkorrumpierten verboten-verheißungvoll riechenden Geist der Hippies atmet, ist das "El Topo": Nach dem Motto "Der Maulwurf gräbt sich auf der Suche nach der Sonne durch die Erde" werden wir als Zuschauer Zeugen, wie El Topo (= der Maulwurf, Jodorowsky selbst) mit seinem kleinen Sohn (Jodorowskys leiblicher Sohn Brontis) durch die Wüste reitet, in selbiger Wunder tut, in eine Kleinstadt gelangt, in der eine Bande die Einwohner massakriert hat, diese bis auf den letzten Mann tötet, an vier "Meistern" vorbei muß, in eine Höhle gerät, in der ausschließlich Verunstaltete leben, die ihn als Heiland anbeten, einen Gang in die Freiheit gräbt, bis, ja ... "wenn der Maulwurf zur Sonne gelangt, erblindet er".
Was für viele seiner Anhänger eine Art mentale Kneippkur darstellt, brachte einen über die Maßen begeisterten John Lennon sogar dazu, den ehemaligen Beatles-Manager Allen Klein davon zu überzeugen, Jodorowskys nächstes Filmprojekt "Montana Sacra" zu finanzieren.
"El Topo" ist auf jeden Fall ein bildgewaltiges Epos, ein im besten Sinne incredible strange movie, das dem B-Film gleichviel zu verdanken hat wie den obgenannten Herren Buñuel und Fellini (Godard allerdings gar nichts). Ob man das nun als "Meisterwerk für alle Sinne" ("Mitternachtskino") oder als "heute nur noch aus wissenschaftlicher Sicht interessant" (more-magazin.de) empfindet, liegt im Auge des Betrachters.
Wer vom Film ausschließlich politisch korrektes, volksbildnerisch abgeschmecktes Wellness-Futter verlangt, darf sich "El Topo" sparen. Wer hingegen konsequent zu Ende gedachten filmischen Träumen und Alpträumen nicht abhold ist, sollte sich "El Topo" zumuten. Castaneda mit Pilzen UND Schußwaffen - man darf vermuten: Hätte Klaus Kinski jemals "Hair" inszeniert, wäre wahrscheinlich sowas Ähnliches dabei herausgekommen ...
Gleiches gilt auch für den nächsten Film des Meisters.
In Montana Sacra - Der Heilige Berg erleben wir aus der Sicht eines namenlosen Diebes eine Welt, die von exzessiver Gewalt und völlig pervertierten Religionen gekennzeichnet ist. Der Dieb (gespielt von Horácio Salinas) gelangt auf seiner Odyssee durch ein physisch und ethisch völlig zerstörtes Land zu einem geheimnisvollen hohen Turm, der von einem Alchemisten (Jodorowsky) bewohnt ist. Dieser bringt ihn mit weiteren sieben Dieben zusammen, um sich mit ihnen gemeinsam auf die Suche nach dem legendenumwitterten Heiligen Berg zu machen, auf dessen Gipfel neun Weise thronen sollen, von denen man sagt, sie wüßten um das Geheimnis der Unsterblichkeit. Versuchungen, Qualen und falsche Erleuchtungen pflastern den Weg dorthin. Und irgendwann gelangen sie ans Ziel ...
Mit der Schlußszene (die hier nicht verraten wird) tranzendiert Jodorowsky gleichsam sein Eso-Geschwurbel, zerstört es nachhaltig und setzt es wieder zusammen.
"Ein überwältigendes, mystizistisches Werk voller Zynismus und ausschweifenden Bildern […] ein grotesker Zirkus voller exquisiter Kuriositäten und religiöser Anspielungen" - so das "Mitternachtskino". Auch Clive "Hellraiser" Barker hat sich immer wieder als Fan des "Heiligen Berges" deklariert.
Neben Ex-Beatle Lennon war übrigens auch George Harrison in das Projekt involviert: Er hätte den namenlosen Dieb spielen sollen, lehnte aber aufgrund der bei Jodorowsky schon obligatorischen Nacktszenen ab. Jodorowsky selbst schlüpfte 2005 noch einmal in die Rolle des Alchemisten. Als solcher vollzog er die Trauung von Marilyn Manson und der Burlesque-und Fetisch-Künstlerin (man darf auch Nobelstripperin dazu sagen) Dita von Teese. Genützt hat´s ja bekanntlich nichts: Die Ehe wurde bald wieder geschieden.
Nach diesen beiden im wahrsten Sinne des Wortes als Kultfilme zu bezeichnenden Streifen kriegte Jodorowsky nicht mehr so richtig die Füße ins Filmgeschäft. Seine Verfilmung von Frank Herberts "Der Wüstenplanet" wanderte nach Jahren der Vorbereitung (das Werk sollte zehn Stunden dauern) zu David Lynch. Mit "Santa Sangre" gelang ihm 1989 noch ein bescheidener Programmkino-Erfolg (nicht zuletzt durch den Einsatz seines Bruders im Geiste, Clive Barker); seit 1990 herrscht jedoch Funkstille um Jodorowsky als Filmemacher. Verarmt ist er deswegen noch lange nicht: Als Comic-Texter ("John Difool", "Lust und Glaube”, "Borgia" usw.), unter anderem gemeinsam mit den Starzeichnern Moebius (alias Jean Giraud) und Milo Manara, ist er einer der wesentlichen (und erfolgreichsten) Impulsgeber zeitgenössischer Fantasy- und SF-Comics europäischen Zuschnitts. Zudem veröffentlicht er regelmäßig Horror-Stories sowie esoterisch aufgeladene Textsorten, die sich in den spanisch sprechenden Teilen der Welt einer gewissen Beliebtheit erfreuen, und gilt als veritabler Theaterautor.
So oder so - wir dürfen uns über die Ausstrahlung auf ARTE freuen: Am 18. 4. um 23.35 Uhr ist "Montana Sacra - der Heilige Berg" zu sehen, am 25. 4. um 23.30 Uhr "El Topo".
Imagine ...
Thomas Fröhlich
Kommentare_
Ein paar Fakten kann ich mir leider nicht verkneifen, da Jodorowsky nicht auf "El Topo" und "Montana Sacra" heruntergebrochen werden kann:
Ich würde nicht unbedingt sagen, dass "Fando y Lis" eine Blaupause für Kommendes war. Sicherlich, ein Einstieg ins Filmmetier, aber in Wirklichkeit ein wichtiger Teil von Jodorowskys Bühnenarbeit - "Fando y Lis" hat er ja ursprünglich fürs Theater inszeniert. Überhaupt: Jodorowkys Theaterarbeit findet in diesem Artikel viel zu wenig Beachtung, beispielsweise hat er in Mexiko als Allererster Beckett aufgeführt, lang bevor dieser den Nobelpreis erhielt.
Die Aussage, dass er die Füße nie wieder richtig ins Filmgeschäft bekommen habe, würde Jodorowsky sicher zurückweisen, da er sich nie wirklich als Filmemacher gesehen hat, sondern als jemand, der sich der Sprache des Films bedient.
Das mit den Comics verhält sich so: Da gibt es nicht den vom Autor suggerierten Bruch, sondern erst durch die ausgiebige Arbeit am Storyboard hat er diese Ausdrucksform für sich entdeckt.
Lieber Daniel,
Aufgabe dieses Textes war es keineswegs ein umfassendes Bild über Jodorowsky zu vermitteln. Dazu würde ein einziger Artikel wohl auch keinesfalls ausreichen.
Vielmehr sollte er Fans auf die Ausstrahlung aufmerksam machen und "Frischlingen" die Möglichkeit geben, etwas Spannendes zu entdecken.
Lieber Daniel!
Erstmal danke für Deine Kritik. Du hast natürlich - auch für mich als "Verbrecher" des obigen Textes - recht: klarerweise gäbe es über Jodorowsky unglaublich viel zu sagen/schreiben/aufzuarbeiten. Meine Intention war es schlichtweg, einen Appetizer auf die beiden Filme auf ARTE abzugeben. Aber ich weiß schon, das Gegenteil von gut ist immer gut gemeint. Stattgegeben. Deine Aussage übers Jodorowskys Haltung als Filmemacher möchte ich aber so nicht stehen lassen: er hat einige Film-Projekte in petto gehabt - und wenn ihm die Nichtrealisierung dessen NICHT leid getan hat, dann weiß ich nicht (alleine die Jahre, die er in DUNE gesteckt hat: und dann wird's ihm weg genommen; das tut schon weh). Und einen "Bruch" zum Comicstexter wollte ich eigentlich auch nicht suggerieren - für mich ist das ein durchaus logischer Weg (zumal für jemanden, der sich nicht AUSSCHLIESSLICH als Filmemacher sieht).
Hoffe, Du bleibst uns trotzdem gewogen.
Alles Liebe,
der Autor
Lieber Thomas,
falls mein Kommentar rechthaberisch wirken sollte, tut es mir leid. Ich habe natürlich großen Respekt vor Deinem Artikel, mir ist nur ein bisschen was abgegangen.
Es ist mir schon klar, dass es primär um die Ankündigung der Arte-Ausstrahlungen geht. Aber genau deswegen habe ich einen dezidierteren Verweis auf Jodorowskys Background (natürlich in aller Kürze) vermisst. Denn die Filme werden ja so und so ausgestrahlt und womöglich von Menschen gesehen, die dann eben Jodorowsky auf die beiden Filme herunterbrechen.
Das mit dem Filmemacher: Jodorowsky hat unter den Nichtverwirklichungen filmischer Projekte, im speziellen Dune, sogar sehr gelitten und tut dies immer noch, keine Frage. Aber trotzdem sieht er sich nicht als Filmemacher, sondern als "Magier", der eben zufällig auch das Filmemachen für sich entdeckt hat.
Wie auch immer, ich will hier keinen haarspalterischen Diskurs forcieren. Es ist schön, gut und wichtig , dass es diesen Artikel hier gibt, mit mir ist nur ein wenig mein leidenschaftliches Adoranten-Herz durchgegangen.
Liebe Grüße,
Daniel