Akzente_Grafenegg 2008
Spitzenkünstler und Provinzpublikum
Christoph Eschenbach und Charles Dutoit leiteten die beiden letzten Konzerte des Festivals und sorgten für Begeisterung bei Freunden klassischer Musik. Leider hat auch die Seitenblicke-Gesellschaft mittlerweile am Kamptaler Schloß Gefallen gefunden.
23.09.2008
Normalerweise versteht man unter Provinzpublikum jene "ahnungsvollen" Individuen, deren Autos mit den Kennzeichen KR, ZT etc. auf den Parkplätzen herumstehen. Nur stellen sich jedoch gerade diese Herrschaften oft als das weitaus interessiertere und motiviertere Publikum heraus. Die Neuform des "Provinzpublikums" sind mittlerweile die Günstlinge der Sponsoren und die Society-Lemuren, die man zuhauf heranschleppt und die vor ihren Gönnern schön brav den Kotau machen.
Natürlich braucht Grafenegg seine Sponsoren (und damit auch diese Form des Publikums) - aber was gerade beim abschließenden Konzert am 5. September unter Charles Dutoit passiert ist, gehört zu den peinlichsten Erlebnissen der Festival-Geschichte: Da spielt der weltbekannte Pianist Jean-Yves Thibaudet das fünfte Klavierkonzert von Camille Saint-Saens auf bestechendste Weise - und das liebe Publikum schafft es gerade, zweimal für ihn zu applaudieren. Als Herr Thibaudet dann beim zweiten Applaus abgeht, hören die Herrschaften sogar mittendrin auf. Die Orchestermusiker sind so irritiert, daß sie einander fassungslos anschauen und dann selbst in die Pause gehen. Das verhindert wiederum eine mögliche Zugabe des Pianisten; aber wahrscheinlich war der Ruf des Buffets für die Günstlinge so laut, daß es auf den Plätzen einfach kein Halten mehr gab.
Das Konzert von Dutoit mit dem Royal Philharmonic Orchestra of London, dessen Chefdirigent er ab der Saison 2009/2010 sein wird, war ein echtes Fest: das Orchester in allen Gruppen perfekt und homogen, großartig die Holzbläser und das Blech, das schon bei der Berlioz-Ouvertüre zum "Le Corsaire" faszinierte. Das Klavierkonzert von Saint-Saens offenbarte sich als superbe Zwiesprache zwischen Pianist und Orchester. Dutoit und das Orchester waren weit mehr als eine bloße Begleitung - sie sorgten für eine echte Bereicherung des Klavierkonzerts. Während Thibaudet den extrem schwierigen Klavierpart souverän umsetzte und der Steinway-Flügel mit glasperlenartigen Klängen verzauberte, lieferten Dutoit und das Orchester eine wahre Klangorgie. Die setzte sich dann mit dem Strawinski-Ballett "Petruschka" und "La Valse" von Maurice Ravel fort. Die Hardcore-Walzerpersiflage des französischen Komponisten hat man noch selten so gehört: frei von Kitsch und Zuckerguß, aber voll von beißendem Charme und Witz. Irgendwie merkt man da die schizoide Verlogenheit des "Weaner Schmähs".
Jetzt springen wir eine knappe Woche vor und gleichzeitig (was die Protagonisten betrifft) über den Ärmelkanal. Am 31. August 2008 gastierte das Orchestre de Paris mit seinem Chefdirigenten Christoph Eschenbach in Grafenegg. Der ehemalige Weltklassepianist ist einer der wenigen (wie Barenboim und Ashkenazy), die den Wechsel vom Pianisten zum Dirigenten geschafft haben. Eschenbach hat sein Orchester zu einem hervorragenden Klangkörper geformt, obwohl die Musiker im Vergleich zu den Londoner Kollegen nicht ganz so überzeugen konnten. Trotzdem war das Mahler-Programm hervorragend.
Christine Schäfer versuchte sich an den "Rückert-Liedern"; leider ging das Ergebnis ihrer Bemühungen total daneben. Schäfer besitzt zwar eine hübsche Sopranstimme, doch der profunde Mezzo für die Mahler-Lieder fehlt ihr, und sie kann diese Schwäche nicht einmal kaschieren. Auch ihr Kollege Eschenbach versuchte sein Bestes, doch wer jemals Jessye Norman, Christa Ludwig oder Thomas Hampson damit gehört hat, für den war seine Interpretation ein komplettes Desaster. Schäfer beliebte darüber hinaus, die fünf Lieder der Minipartitur vor aller Augen abzulesen; verstehen konnte man davon nur wenig. Glücklicherweise war dieses "Meisterwerk" nach knapp 20 Minuten vorbei.
Von ganz anderer Klasse war die 1. Symphonie von Gustav Mahler: Die Komposition ist voll von Naturklängen und Liederzitaten. In der Einleitung zum ersten Satz spielten die Klarinetten die Kuckucksrufe so schön, daß sogar die Vögel mit ihrem Gezwitscher begeistert antworteten. Eschenbach führte das Orchester dann zu einem derart fulminanten Abschluß, daß die Begeisterung des Publikums kein Ende nahm (auch hier lebe der Unterschied!). Als Dankeschön lieferten die Franzosen und ihr Chef dann noch das "Furiant" aus der Oper "Die verkaufte Braut" von Friedrich Smetana.
Der Wolkenturm als Open-air-Location hat damit seine zweite Saison in Grafenegg mehr als erfolgreich bestanden. Und wir freuen uns schon auf 2009!
Herbert Hiess
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