Akzente_Franz Schmidt - Das Buch mit sieben Siegeln
Apokalyptische Visionen
Acht Jahre ist es her, daß die Wiener Philharmoniker Schmidts monumentales Oratorium zuletzt im Wiener Musikverein aufgeführt haben. Stand damals Nikolaus Harnoncourt auf dem Orchesterpult, so dirigierte beim aktuellen Konzert der Chorleiter Günter Knotzinger ein ungarisches Orchester.
06.11.2008
Der 1874 in Pressburg geborene Franz Schmidt gilt als musikalischer Multifunktionär: Er war sowohl Komponist als auch Cellist beim K. u. k Hofopernorchester, den heutigen Wiener Philharmonikern. 1914 verließ er das Orchester und konzentrierte sich allein auf die Komposition. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Schönberg (der übrigens im selben Jahr zur Welt kam) blieb Schmidt der Spätromantik treu; er interessierte sich kaum für die Zwölftontechnik.
Schmidts Oratorium "Das Buch mit sieben Siegeln" entstand 1938 (ein Jahr vor seinem Tod) und ist eine Vertonung der "Offenbarung Johannes". Im weit ausladendem Stil verliert sich der Komponist in spätromantischen Ergüssen; so sehr, daß das Werk sehr schnell seine Einheitlichkeit einbüßt. Ähnlich wie bei Schönbergs "Gurreliedern" (ca. 1900) ist das Oratorium eine Aneinanderreihung von vielen wunderschönen Details und kompositorischen Wundern, ohne je ein Gesamtbild zu erreichen. Franz Schmidt will jedermann seine hervorragende Kompositionstechnik (vor allem bei den Fugen) beweisen - was ihm auch mühelos gelingt. Man kann das Werk beim Hören bewundern, vergißt es aber dann auch sehr schnell.
Geschmückt wurde die Aufführung im Wiener Musikverein durch die Ausführenden. Der Wiener Lehrer-A capella-Chor und das ungarische Savaria Symphonie-Orchester wurden vom Chorleiter Günter Knotzinger souverän dirigiert. Das Orchester (verstärkt durch das Ensemble Koinoina) spielte eindrucksvoll, und wenn sich Maestro Knotzinger noch mehr auf die Musiker konzentriert hätte, wäre der erste Teil genauso hervorragend gewesen wie der zweite. Sein Chor war durchwegs hochmusikalisch und wortdeutlich - eine beeindruckende Qualität, wenn man bedenkt, was die so hochgelobten semiprofessionellen Chöre in Wien (Schoenberg-Chor, Singverein) schon geliefert haben. Ein als Profi verkaufter Laie bleibt halt immer noch ein Laie; im Vergleich dazu sind die echten "Laienensembles" ehrlicher und beeindruckender.
Das große Atout in diesem Konzert waren die Solisten - interessant, daß gleich drei der sechs Sänger Kärntner sind. Im Quartett besonders beeindruckend waren der sonore Mezzo von Daniela Treffner und der glockenhelle Sopran von Tünde Szabóki. Der große Held des Abends war jedoch Helmut Wildhaber in der Partie des Johannes. Die Rolle ist eine sportliche und gesangstechnische Herausforderung. Der Tenor hat mehr als die Hälfte der knapp zwei Stunden zu bewältigen; als "Zuckerl" hat Schmidt die Partie so angelegt, daß sie fast nur in einer hohen Lage zu singen ist. Es war großartig, wie Wildhaber diese Herausforderung meisterte und damit zum bleibendsten Eindruck des ganzen Abend wurde.
Wildhaber ist aber nicht "nur" als klassischer Sänger ein Begriff, sondern vertieft sich genauso in die (Kärntner) Volksmusik. Wer übrigens anläßlich des Todes von Jörg Haider das wunderschöne "Pfiat Gott" gehört und gesehen hat, sollte wissen, daß Wildhaber es mit dem Politiker einstudiert (und auch bei der Trauerfeier gesungen) hat. Deswegen sei an dieser Stelle auch auf die großartige CD "Helmut Wildhaber singt seine liebsten Kärnterlieder" verwiesen.
Herbert Hiess
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