I Like It Like That
Bear Family Records
O Wahnsinn, ich darf mal über etwas schreiben, das ich selbst verbrochen habe! Nein, liebe Leser, hier kommt jetzt nicht die Honky-Tonky-Reue-Show, sondern ein Sampler, den ich persönlich zusammengebastelt habe. Und nebenbei stelle ich euch den "Reissue-Producer" Manfred Prescher vor. 29.10.2012
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
"Star Trek"-Fans wissen, was ein Paralleluniversum ist. Dort ist Spock plötzlich emotional und zynisch, Kirk wird schwul oder geht ins Kloster der trinkwütigen Radaubrüder, und Scotty macht keinen Whisky mehr in den Zuleitungen zu den Warpgondeln - weil er nur noch Heilwasser aus Bad Deppenbrunn trinkt. Und noch ein Paralleluniversum - im neuen Buch des manchmal hochverehrten Kollegen Wolf Haas habe ich eine schöne Passage gefunden.
"Mit Fragen ging immer alles los", schreibt Haas. "Man mußte sofort entscheiden, ob man die Wahrheit sagen sollte oder ob man eine Wahrheit erfinden sollte. Oft richtete man mit Wahrheitsagen ein Unglück an, das weiß niemand so gut wie ein Skrupelkranker. Aber Wahrheit erfinden war auch so eine Sache. Dafür hatten nicht alle Menschen Verständnis." Um bei der Wahrheit zu bleiben, die ja ein dehnbarer Begriff sein kann: Das hätte ich selber gern geschrieben, und ich wundere mich, daß Wolf die Zeilen nicht als Romananfang verwendet.
Doch nun zu meinem musikalischen Paralleluniversum. Das liegt in der Mitte von Nirgendwo, im tiefsten Norddeutschland, wo die Welt so flach ist, daß Menschen ab 1,75 Meter Größe als Berge gelten. Dort, wo die Männer mit grüner Haut und Dreizack aus dem Meer steigen und die Frauen "untenrum" so schuppig sind wie Disneys Arielle.
Dort oben liegt die Zentrale von Bear Family Records. Seit der Spätsteinzeit kümmert sich das Team um den in Ehren und Latzhose ergrauten Richard Weize um Musik, die ohne ihn und seine Mitstreiter längst vergessen wäre. Und, bei Neptuns Mistgabel, das macht die uneilige Familie so akribisch und genau, daß man sich als Fan immer freut, wenn es was neues Altes auszupacken und wegzuhören gibt.
Dort, in Niedersachsen, also im Raum Bremen, ist alles total entschleunigt, und iTunes liegt in einer weit entfernten Galaxie, wo es nach Weizes Meinung auf alle Zeiten vor sich hin verrotten soll. Apropos Niedersachsen: Bekannte in Hamburg meinten übereinstimmend, daß es das Bundesland in all seiner epischen Breite einzig und allein deshalb gibt, damit sich die durchfahrenden Bayern, Hessen oder Österreicher noch intensiver auf die Freie Hansestadt freuen. Das kann man, ums mit Udo Lindenberg zu sagen, auch mal so sehen.
Spaß beiseite. Bei Richard Weize mache ich seit mehr als einem Jahr 1,5 Radiosendungen pro Woche. Auf seinem Internet-Radiokanal www.bearfamilyradio.de gibt´s immer dienstags eine muntere Show mit gut abgehangenen Neuheiten des Labels. Der Titel der Sendung: "I Like It Like That". Und alle 14 Tage donnerstags präsentiere ich die "I Like It Like That Theme Time Radio Hour”. Das Konzept zur Show habe ich natürlich bei Bob Dylan geklaut, aber der schwebt eh in seinem eigenen Paralleluniversum und krächzt (siehe "Miststück" von vorletzter Woche) vor sich hin. Um ein Langes kurz zu machen: Eines Tages erreichte mich ein Funkspruch aus dem hohen Norden.
Weize: "Richard hier. Dich erreicht man fast nie. Wo treibst du dich denn rum?"
MP: "Das möchtest du doch gar nicht so genau wissen."
Weize: "Stimmt. Sag, steht deine Idee für den Sampler noch?"
MP: "Klar!"
Weize: "Denn leech lous!"
Fragezeichen mäanderten um meine Stirn; ich hielt kurz inne, bevor ich fragte, was ich eigentlich genau machen soll. Das Ergebnis war ebenso einfach, wie es jetzt schön ist: Ich hatte 32 Songs auszuwählen und sie in eine Reihenfolge zu bringen, die sowohl für norddeutsche Meerjungfrauen als auch für Almhüttenkapitäne aus dem Süden am Stück anhörbar sein sollte. Und Spaß machen. Und Lust auf Platten von Bear Family. Und auf das Radio. Und auf mich. Gut, jetzt nicht direkt auf mich, wir wollen ja bei der Wahrheit bleiben. Aber der Rest stimmt.
Also machte ich mich ans Tagwerk, und hier ist er - der von mir persönlich zusammengestellte Sampler mit Nettomusikeinwaage von knapp 82 Minuten. Man kann ihn übrigens echt kaufen, für 15 Euro und ein paar Zerquetschte, unter anderem beim Plattendealer des Vertrauens, in Amazonien oder im Webshop www.bear-family.de. Und daß er "I Like It Like That" heißt, versteht sich von selbst - weil ich jedes einzelne Lied darauf in jedem nur möglichen Paralleluniversum so lieb habe, wie es nur irgendwie geht.
Nächste Woche wird es hier übrigens um das überraschend coole neue Stück der letzten lebenden Dinosaurier gehen, getreu dem Motto: Grandpa is a Rolling Stone.
Aber jetzt diktier´ ich euch da draußen erstmal zu jedem Song von "I Like It Like That" ein nettes Sätzchen in Euer Poesiealbum.
1. Chris Kenner: I Like It Like That
Was für ein Motto: Du nimmst Sally, und ich nehm´ Sue, und zusammen machen wir die Nacht zum Tag.
2. Little Willie John: Fever
Das Original - ach Baby, du machst mich so heiß, daß ich so cool bleiben muß wie Little Willie John.
3. Dave Bartholomew: My Ding- A-Ling
Es ist echt ein Kreuz mit dem Ding. Vor allem, wenn die Damen am "Geläut" nicht so interessiert sind, sondern ... Hier beginnt die "Ab 18"-Version.
4. Fats Domino: Sick And Tired
Heute würde man sagen, die Lady ist schwer depressiv. Damals war sie nur so krank, daß Fats sich entnervt zurückzog. Also hat sich nix geändert.
5. Jimmy Donley: I Can´t Love You Like You Want Me To Do
Ja, was für eine Tragödie. Das Unglück ging ihm so zu Herzen, er mußt´ sich in die Fluten "sterzen". Was Donley übrigens auch getan hat ...
6. Amos Milburn: One Scotch, One Bourbon, One Beer
Und wenn ich nachts nicht schlafen kann, geh´ ich in die Kneipe und sauf´ mir einen an - sang schon Udo Lindenberg vor Jahr und Tag.
7. Smiley Lewis: Caldonia´s Party
Also wirklich, was für Frauen man so auf einer Party trifft ... Caldonia ist so wunderlich und interessant wie ihr Name.
8. Louis Jordan: Ain´t Nobody Here But Us Chickens
Gott kam auf die Erde und brachte den Menschen, die nach seiner Pfeife tanzten, ein Lied. Und seitdem ist große Freude überall.
9. Wynonie Harris: Good Rockin´ Tonight
Gut, man muß kommen, um zu bleiben. Das geht sowohl kuschlig als auch fetzig ... Mit diesem Song kommt der Rock´n´Roll in unsere Welt.
10. The Dominoes: Sixty Minute Man
Was für ein Monument. Es geht um den besten, ausdauerndsten, einfühlsamsten Liebhaber überhaupt. Männer, nehmt Euch Lovin´ Dan zum Vorbild.
11. The Du-Droppers: Can´t Do Sixty No More
Wenn es dann nicht mehr so klappt im Heiabett, wie sie es gerne hätt´ - dann kann das auch am Training liegen.
12. The Coasters: Young Blood
Wie wir Männer ticken: Wir machen uns zum Affen, und sogar der Daddy der Angebeteten kann uns nicht davon abhalten, auf den Baum zu klettern und mit der Banane zu winken.
13. Louis Prima: Beep! Beep!
Die Liebste hat den Planeten verlassen und saust durchs All. Selten verband ein Song maximale Einsamkeit mit ebenso maximalem Spaß.
14. Little Richard: The Girl Can´t Help It
Dem Mädchen ist nicht zu helfen, sie ist verliebt in den Kerl. Das ist ganz schön doof, vor allem, wenn man bedenkt, daß Little Richard schwul ist. Oder, anders ausgedrückt: Er kann dem Mädel nicht helfen, also muß den Job ein anderer übernehmen.
15. Carl Mann: Ubangi Stomp
Ach, manchmal ist es schön, wie ein Wilder mit dem Fuß aufzustampfen und sich rituellem Tanzen hinzugeben.
16. Jerry Reed: Rockin´ In Bagdad
Als die Welt noch unschuldig war, konnte man Rock´n´Roll optimal mit Schleiertanz verbinden.
17. The Everly Brothers: (´Til) I Kissed You
Was ein Kuß so alles anrichten kann ... Den Herzschlag zum Geknutsche liefern die Brüder Everly mit kurzen Schlagzeugwirbeln.
18. Elvis Presley: I Forgot To Remember To Forget
Schon der Titel ist so philosophisch, und praktisch jeder hat ihn schon hautnah erfühlt. Der King war damit übrigens auf Platz 1 der Country-Charts.
19. Ricky Nelson: Stood Up
Der ehemalige Teeniestar will uns Mut machen - und für die Dauer einer Single schafft er das auch.
20. Tennessee Ernie Ford: The Shot Gun Boogie
Es gibt viele Gründe, sich zu verlieben. Hier lernen wir einen eher seltenen kennen: Sie hat ein prima Gewehr, mit dem sich ordentlich jagen läßt.
21. Jimmie Driftwood: Goodbye Reb, Y´all Come
Wenn der Krieg vorbei ist, zieht man nach Hause und leckt sich die Wunden. Manchmal gibt´s dazu Kuchen und Rum.
22. Johnny Horton: Ole Slew Foot
In manchen Gegenden trifft man Bären heute auf dem Weg zur Mülltonne. Das Pelztier wird also zivilisiert. "Ole slew foot" machte seinerzeit noch die Wälder unsicher.
23. Don Gibson: Sea Of Heartbreak
Ach, was für ein Schmachtfetzen - man spürt, wie der Sänger uns glauben macht, er würde in seinem Schmerz ertrinken. Ja, Kitsch kann so schön sein.
24. Dean Martin: My Rifle, My Pony And Me
Und dann kehrt Ruhe ein. Man sitzt auf der Veranda, schiebt sich den Stetson ins Gesicht, um der Abendsonne nicht die blanke Stirn bieten zu müssen. Und ist eins mit sich. Vor dem Tor steht das Pferd, falls man doch flüchten muß.
25. Robert Mitchum: From A Logical Point Of View
Es ist wie immer Ansichtssache. In diesem Calypso rät Bob Mitchum uns Männern, eine häßliche Frau zu heiraten.
26. Harry Belafonte: Love, Love Alone
Es gab mal einen König, der alles liegen und stehen ließ und die Krone ins hinterste Eck seines Palasts kickte, um eine bürgerliche Frau lieben zu können.
27. Andy Williams: House Of Bamboo
Manche Häuser sind wirklich nur von außen betrachtet schön. Innen drin spielen sich vogelwilde Dinge ab.
28. Rosemary Clooney & Perez Prado: Sway
Tanz mit mir zum Herzschlag dieses Mambos: Man sieht elegante Paare, die perfekt zusammenpassen - zumindest für die Dauer dieses Songs.
29. Gene Vincent & The Blue Caps: Summertime
Sommerzeit, und das Leben ist leicht. Bei Gene Vincent wird aus dem Evergreen ein swingendes Stück Rock´n´Roll.
30. Wade Rey: I Need A Good Girl Bad
Den Mann kennt keine Sau, was aber schade ist. Kaum einer sang so schön von der Sehnsucht nach der Einen.
31. Del Shannon: Hats Off To Larry
Schmerzensmann Shannon besingt eine Frau, die sich auf einen Typen einläßt, der ihr nur wehtut. Passenderweise verwendet er dazu die Musik seines Hits "Runaway".
32. Bill Haley & His Comets: See You Later Alligator
Was für ein schwungvolles Schlußmachlied. Es kann übrigens sogar Hoffnung, etwa auf einen zweiten Sampler, machen. Man sieht sich nämlich im Leben immer zweimal: "See you later, alligator!"/"After ´while, crocodile!"
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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