The White Stripes - Icky Thump
Beggars Group/Indigo (USA 2007)
Diese Kolumne führt zusammen, was zusammengehört - zwei Songs des Mannes, der der Jugend den Blues zurückgab. Manfred Prescher singt ein doppeltes Hohelied auf Jack White. 28.05.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Eines vorweg: Die White Stripes sind kein Hype, der seit einiger Zeit auf konstant hoher Flamme aufgekocht wird, sie sind auch nicht nur die Lieblinge von Pseudointellektuellen. Obwohl - ein wenig trifft das auf das Geschwisterduo aus der Motorstadt Detroit schon zu. Aber das ist nicht weiter schlimm, denn Jack White und seine Schwester Meg entziehen sich dem allgemeinen Trend-Gesumme, indem sie unbeirrt ihren Weg fortsetzen und dabei nicht nach links oder rechts in die Irrwege der Gegenwart blicken, sondern die Köpfe zurückdrehen. Das ist auch nötig, weil der Mensch im Hinterkopf keine Augen hat. Ein Motto der Stripes lautet garantiert: "Aus der Vergangenheit lernen und sie als Referenz gewinnbringend einfließen lassen." Zumindest künstlerisch gesehen - sonst würde das Duo kaum eine Platte nach der Modernierer-Vereinigung De Stijl nennen oder bei der Gestaltung seiner wunderbaren Plattencover normalerweise mit den Farben Rot, Weiß und Schwarz auskommen.
Beim neuen Werk "Icky Thump", auf dem Meg wie die Schwester der Hexe Hicksi aus den Disney-Comics aussieht, ist das Rot weitgehend zurückgedrängt, reduziert auf ein Symbol, das an die Steuermarke auf einer Zigarettenpackung erinnert. Doch auch die Zeit des Rauchens ist eigentlich vorbei. Ein Faible für den blauen Dunst haben sie jedoch, wie sie in Jim Jarmuschs "Coffee And Cigarettes" beweisen. Genau wie für die Ära der Vinylplatten, der die Whites intensiv nachtrauern: Ihre ersten Singles gab es nur auf den kleinen, runden Scheiben mit dem großen Loch in der Mitte.
Aber die White Stripes sind nicht von gestern. Sie bringen von ihren Zeitreisen nur Bildmaterial, Gestaltungsformen und vor allem Sounds mit, die der junge Mensch von heute nicht einmal mehr vom Hörensagen kennt, aber unbedingt kennenlernen sollte: Schwerer Swamp-Blues, Chicago-Blues und Bluesrock treffen auf Country- und Folk-Elemente, auf Sechziger-Jahre-Hippie-Sound und 80er-Jahre-Indie-Rock, wie ihn etwa die Vietnam Veterans spielten. Allerdings wird auf den Alben, besonders auf den späteren - also "Elephant" und "Get Behind Me Satan" - nicht zitiert. Das Gebräu klingt eindeutig nach "Hier und Jetzt", auch für jemanden, der noch in der bildungsbürgerlichen Lage ist, die einzelnen Zutaten zu unterscheiden.
"Icky Thump" ist allerdings anders als "Blue Orchid", "Seven Nation Army" oder auch "Fell In Love With A Girl". Und damit wären wir auch gleich bei den Raconteurs, einer Formation, die sich Jack White gemeinsam mit Jack Lawrence, Patrick Keeler und dem Eklektizisten Brendan Benson als Plaisierchen hält. Was als Spaß begann, wurde Ernst, da die CD der Raconteurs mehr Fans fand als erwartet.
Ins Deutsche übersetzt, heißt der Bandname "Geschichtenerzähler" - aber an den Stories liegt es nicht, daß viele Jugendliche auf das Album "Broken Boy Soldier" stehen: "My baby is on the level/And I try to read her mind", das sind zwar schöne, aber doch eher lyrische Worte. Eine Story sieht anders aus. "Das ist keine Gechichte", würde ein Chefredakteur, der ehemals über mir thronte, in seinem rheinischen Idiom mit Fug und Recht sagen. Aber warum sollte es auch? Nur weil man Geschichtenerzähler heißt, muß man noch lange keine Geschichten erzählen. Der eindeutig rockige Sound ist der Erfolgsgarant des Stripes-Ablegers.
Diese Reminiszenzen an Black Sabbath und Co., darauf stehen die, die Ozzy Osbourne für Al Bundys Bruder halten. "Level" ist ein heftiges Stück Rock inmitten einer CD von der Härte eines massiven Eichenbretts. Der wiederkehrende Orgelton und die im Vergleich zu "modernen" Heavy-Alben erdige oder schmutzige, meinetwegen auch machtvoll hingerotzte Produktion unterscheiden dieses Massivgehölz von Platte vom Rest - allerdings nicht von den White Stripes.
"Die White Stripes sind doch langweilig", findet mein Sohn, für den "Level" ein absoluter Hit ist - bis ich ihm die neue Stripes-Single "Icky Thump", das Titelstück des siebten Werkes aus dem Hauptkatalog von Jack White, vorspiele. Der Song könnte tatsächlich von "Broken Boy Soldier" stammen, genauso, wie "Level" perfekt auf "Icky Thump" passen würde: ein Monolith, der kaum noch den Geist von Willie Dixon atmet. Hier sind die ersten drei Platten von Black Sabbath auf wenige Minuten komprimiert, klingen Hawkwind und Blue Öyster Cult durch, ein wenig Doors und Led Zep meinetwegen auch noch.
"Icky Thump" ist brachialer Hard Rock. Die verstörenden Elemente sind auf verzerrte Gitarrensoli reduziert. Im Vergleich zu "Level" ist der Song dadurch weniger straight, aber dieser Unterschied ist eine Marginalie. "Level" und "Icky Thump" sind Brüder in einem Geiste, der zu seinen Lebzeiten behauptete, daß der Rock direkt vom Blues abstamme - ganz ohne Missing link. Wenn man von der Richtigkeit dieser These ausgeht, dann hat sich bei den White Stripes nichts geändert, höchstens ist die Waagschale etwas mehr auf die andere Seite, auf die der Raconteurs, gekippt.
Man könnte sich nun fragen, warum Jack White zwei Projekte braucht, die sich thematisch in unmittelbarer Nähe zueinander finden, aber man kann dies auch lassen. Solange es ihm - und vor allem uns - Spaß macht, ist ohnehin alles gut; sogar das relativ deckungsgleiche Geschrei der weltweiten Kritikerzunft, die den Regenten des musikalischen Doppelgestirns mit dem leibhaftigen Jack Sparrow verwechseln und ihm die Rettung der Rock-Freibeuter-Zunft oder etwas ähnlich Heilsbringendes zuschreiben. Das alles schert White wenig: "Sittin´ drunk on a wagon to Mexico/Her hair, what a chump/And my head got a bump/ When I hit it on the radio/Red headed Señorita lookin´ dead/Came to said 'I need a bed' en espanol." Der Mann entzieht sich einfach, tritt die Flucht nach vorn an - aber nicht, ohne den Kopf in den Nacken zu drehen. Hinter ihm rauschen gerade die Siebziger vorbei... geiles Jahrzehnt, irgendwie. Man könnte Geschichten darüber erzählen oder eben den Sound einfangen und ihn erneut auf die Menschheit loslärmen lassen.
Ach - und ehe ich es vergesse - das Cover der Raconteurs-CD ist in erdigem Ton gehalten. Weiße Streifen treffen auf braune Flecken.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
The White Stripes - Icky Thump
Beggars Group/Indigo (USA 2007)
The Raconteurs - Broken Boy Soldier
Beggars Group/Indigo (USA 2006)
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