Subway To Sally - Bastard
Nuclear Blast/Warner (D 2007)
Das sind sie also, die Gewinner des "Bundesvision Song Contest". Manfred Prescher glaubt allerdings, daß sie beim "echten" Grand Prix nicht den Hauch einer Chance hätten. 03.03.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Subway to Sally - das ist die U-Bahn-Linie für alle, die schon zu Hause sein wollen, bevor der Nachtbus unterwegs ist. Das Septett aus Potsdam ist der kleinste gemeinsame Nenner für die Braven im Lande, die es etwas härter mögen - aber eben nicht so hart wie meinetwegen Metallica oder irgendwelche Trash-Speed-Death-Metal-Orgien. Kurzer Einschub: Man sieht wieder deutlich, daß fünf durch Bindestriche gekoppelte Worte das Maximum des Lesbaren sind und schon als sprachlicher Langzug zu gelten haben ...
Doch zurück zum Rock-Kompromiß, auf den sich alle einigen können, die mit Netz und doppelt abgesichertem Boden leben und ein wenig Abwechslung in ihren ansonsten komplett durchstrukturierten Alltag bringen wollen. Da braucht sich jeder nur an die Nase zu fassen und daran um die eigene Achse zu drehen: Im direkten Dunstkreis sieht er dann ganz automatisch Menschen, die auf die Mischung aus Stromgitarre, Violine und deutscher Lyrik stehen, an der schon "Sigurd, der ritterliche Held" seine Freude gehabt hätte. Wenn ich da von mir und meinem Blickfeld ausgehe, komme ich auf den netten Schalterbeamten der Sparkasse, auf meinen Neffen, den fleißigen BWL-Studenten, auf die Buchhalterin unserer Firma - und sogar der ziemlich konservative Pressesprecher der mittelständischen Klitsche auf dem Nachbargrundstück hört Subway to Sally, während er mit noch nicht mal dreißig seine Tage bis zur Rente zählt und wahrscheinlich auch Notgroschen in einer Liechtensteiner Matratze versteckt.
Eine Band, die auf solch breite Zustimmung bei den intelligenteren Teilen der anonymen Mehrheit stößt, muß nicht zwangsläufig schlecht sein. Dies ist ein Allgemeinplatz, der natürlich stimmt, besonders im direkten Vergleich mit all dem Zeug, das sonst so durch die menschlichen Audio-Line-in-Eingänge aufgenommen wird. Auch eignet sich das Mittelalter, das via Gregorianik und der Lyrik von Mastermind Bodenski bei den Sallys eine zentrale Rolle spielt, bestens als Identifikationsmodell für hoffnungslos Frustrierte. Schließlich hat man seinerzeit auf praktisch alles geschissen, beziehungsweise seinen Botschamber über den Köpfe der Passanten ausgeleert und also den Ballast einfach aus dem Fenster geworfen. Und wenn man damals jemandem mit Nachdruck die Pest an den Hals schicken wollte, konnte es leicht sein, daß der Wunsch in Erfüllung ging. Nicht auszudenken, was das für so manchen Chef bedeuten würde. Eine ganze Kaste von so genannten "Entscheidern" könnte so über den Jordan segeln. Die Crux bei dieser Revolution ist allerdings, daß der Schnitter bei der Verteilung von Beulen und Schwären keine saubere Trennung zwischen "gut" und "böse" macht.
Also muß man im Zweifelsfalle doch die Pflugscharen in Schwerter umwandeln und den Umsturz selbst in die Hand nehmen. Das geht allerdings nicht mit Subway to Sally, die im Moment nicht kampfbereit sind, wie sie in "Auf Kiel" singen: "Ich hab´ mein Boot/Mein Boot auf Kiel gelegt/Vertäut nach allen Regeln/Ich hab´ das Meer/Das Meer vom Rumpf gefegt/Nahm Wind aus seinen Segeln/Zerbrach die Ruder und das Schwert/Ließ alle Lasten lächeln/Nun liegt es fest und unbeschwert/So fest und unbeschwert." Abgesehen davon, daß der Reim "Schwert/unbeschwert" nicht so recht zündet und Walter von der Vogelweide für solch eine Kombination dem Minnesang für immer selbstkritisch entsagt hätte, funktioniert der Song als Abgesang auf jede Form von Aktionismus ganz prächtig. Wie schon Tohuwabohu, der weise Häuptling der Axolotl, sagte: "Wenn das letzte Ruder zerbrochen und die letzte Planke zersägt wurde, dann werdet ihr merken, daß man auf Holzspänen nicht über das Meer segeln kann." Folglich bleibt man daheim und kriecht weiter täglich hinter seinen Bankschalter - oder so.
Mit "Auf Kiel" haben sich Subway to Sally bei Raabs "Bundesvision Song Contest" gegen weitgehend farblose Konkurrenz aus den anderen deutschen Bundesländern durchgesetzt. Ein Grund für den Sieg ist natürlich, daß die Band aus Brandenburg vom Gipfel des Bekanntheitsberges aus zur Pro-7-Show heruntergestiegen kam - so wie sonst nur die Münchner Fußball-Popper Sportfreunde Stiller, die allerdings den fest eingeplanten Uefa-Cup-Platz verspielten. Goldene Schallplatten und Starrummel allein reichen also nicht aus. Das Lied selbst muß ansprechen und auch die Menschen erreichen, die das Mittelalter entweder für ein finsteres Zeitalter oder - was bei Raabs Zuschauern doch wahrscheinlicher ist - für die aktuelle Lebensphase der eigenen Eltern halten: Deswegen setzt "Auf Kiel" voll auf die Seefahrer-Romantik, die auch schon dafür sorgte, daß Millionen Menschen dem Hasardeur Jack Sparrow bis ans Ende der Welt folgten: "Nur manchmal, wenn der Südwind weht/Und wenn das Fernweh durch mich geht/Wie schauerliche Stürme/Dann sehn´ ich mich." Wonach, wird allerdings nicht verraten, stattdessen geht´s so unvermittelt auf hohe See, daß man nicht mal mehr ´ne Buddel voll Rum in den Tornister packen kann: "Ein Sturm zieht auf/Ich steh´ an Deck/Die Seeluft schmeckt nach Regen/Der Himmel streckt die Hände aus/Ich stell´ mich ihm entgegen." Soviel Romantik, soviel beinahe urzeitliche Kämpfe mit den Gezeiten, da bekommt man, während man von Abenteuern und Freibeutertum träumt, schon vom Zuhören Schweißflecken im Sakko.
Es ist wie ein Traum im Traum, weil Bodenski zu Beginn des Liedes eigentlich schon sein Schiff versenkt hat. Genau wie Michael Stipe, der mit dem R.E.M.-Dampfer den Eisberg der Mißachtung gerammt hat und nun eiligst die Rettungsboote zu Wasser lassen muß. Aber davon erzähle ich im nächsten "Miststück" mehr.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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