Steve Earle - Townes
(Photo © Ted Barron)
Blue Rose Records
Wenn ein Songwriter eine ganze Platte lang die Lieder eines Kollegen singt, steckt ganz sicher mehr als "nur" Wertschätzung dahinter. Das gilt besonders dann, wenn es dem Songwriter keineswegs an eigener Kreativität mangelt - findet Manfred Prescher. 29.06.2009
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Wie wichtig war eigentlich Townes van Zandt? Wenn wir Steve Earle glauben wollen, war der Songwriter aus Forth Worth/Texas der Beste seiner Zunft. Dies, so kolportiert man mittlerweile sogar auf Wikipedia, habe Earle sogar Bob Dylan höchstpersönlich gesteckt. Van Zandts Reaktion auf diese vermeintliche gute Tat ist ebenfalls überliefert. Er zweifelte sie an und gab zu Protokoll, daß Steve sicher noch nicht mal an Bobs Leibgarde vorbeigekommen sei. Aber egal, ob nun der Wunsch Vater des Gedankens gewesen ist und Steve Earle vor lauter Liebe zum Aufschneider wurde, oder ob es sich wirklich so zutrug: Fest steht jedenfalls, daß er recht hatte. Übrigens kam Dylan durchaus von selber auf Van Zandt, aber das verwundert nicht. Schließlich hat der akribische Sammler seine Ohren so ziemlich überall.
Doch zurück zu Earle: Der versucht nun mit der CD "Townes" seinem Wegbegleiter, Freund und Vorbild so zu huldigen, daß dieser posthum die gerechte Würdigung erfährt. Denn der früh - mit knapp 53 Jahren - verstorbene Künstler stand nur kurze Zeit in der Nähe des Erfolgs. Abgesehen davon, daß Ruhm ihm ziemlich wenig bedeutete, um es mal vorsichtig auszudrücken, wußten freilich nur die wenigsten Käufer des Megahits "Pancho And Lefty", daß er aus der Feder van Zandts stammte. Schließlich sang ihn das Duo Willie Nelson und Merle Haggard - und die sind selber veritable Liedermacher. Auch "If I Needed You", Townes´ bittersüßer Beitrag für den Julia-Roberts-Streifen "Seite an Seite" ging gesamtgesellschaftlich eher unter.
So sperrig der schüchterne Townes van Zandt zu Lebzeiten war, so schwer zugänglich sind viele Teile des Werkes. Vor allem in unserer Ära der "Instantgmüadlichkeit" (Gerhard Polt) und der oberflächlichen Pseudo-Fröhlichkeit wirken die eher schwermütigen Songs für viele nicht gerade anziehend. Townes war das schon früher wurstegal, er wußte um die Aura seiner Stücke. Immer wieder gab er in Interviews Statements wie "Ich denke nicht, daß meine Lieder alle traurig sind, ich habe ein paar, die nicht traurig sind, sie sind nur hoffnungslos" von sich. Genau dieser Umstand macht auch Earles ehrbaren Ansatz zunichte, das Werk des Genies nochmal einer ebenso breiten wie bereiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das hätte ihm klar sein sollen, da Earle in seinen frühen und mittleren Jahren selbst oft gleichzeitig gnadenlos gut im Songwriting und Knapp-am-Publikumsgeschmack-vorbeischrammen war. Jetzt (mit Hilfe einiger Grammys) sieht das anders aus; seine jüngsten Alben erfuhren die verdiente Würdigung. Allerdings läßt das keine Rückschlüsse auf "Townes" zu.
Dabei sind echte Kleinode auf dieser sachten Hommage zu finden: Allen voran "Colorado Girl", ein exakt 40jähriger Klassiker von des Meisters dritter LP "Townes van Zandt", von der Earle auch noch "Lungs" genommen hat. Vergleichsweise beschwingt, aber eben immer noch getragen, beschreibt Townes in knappen, aber gut gewählten Worten das Mädchen aus den Bergen, ihr Lachen, das Liebe verspricht, und die Tatsache, daß er sie ziemlich rasch nach der erfolgreichen Suche wieder verlassen muß. Der Erzähler (van Zandt himself?) spricht davon, daß er ihr auf der Durchreise begegnet sei und sich dann doch verabschieden mußte: "I got to kiss these lonesome Texas Blues good-bye."
Das ist ebenso typisch für Country-Folksongs wie nichtsdestotrotz ergreifend. Ich bin mir sicher, Townes van Zandt hätte seine Freude an der stimmig-gefühlvollen Interpretation seines Freundes Steve Earle. Der legt nämlich auch seine Suche nach dem old companion in die Aufnahme. Das ist so groß und elegisch schön, daß ich mir fast wünsche, der gewöhnliche Lady-Gaga- oder Medlock-Hörer möge davon nichts mitbekommen. Schließlich betritt man eine lichte Kathedrale auch nicht mit Badelatschen oder wandelt im Dreistreifen-Sportjanker auf den Spuren des Rat Pack. Bestimmte Dinge gehören sich nun mal nicht.
Nächste Woche ist an dieser Stelle mal wieder Pause, aber danach geht es weniger salbungsvoll, sondern handfest weiter: Ich werde mich Englands nächstem Hype widmen: Kasabian. Ganz nebenbei wird mit den Jungs auch wieder mal das Zählsystem der Insel-Charts geändert, doch davon in Bälde mehr. Aber ehe ich es vergesse: Wenn ich bedenke, wie sehr nun The Gossip überall - und durchaus zurecht - gefeiert werden, hatte ich seinerzeit den richtigen Riecher. Das verbindet mich mit Rick Rubin, der das neue Album der Formation produzierte - und es macht diese Kolumne praktisch unentbehrlich. So viel Überheblichkeit muß einfach mal sein ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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