Kolumnen_Rez gscheid!

Ausgeburten

Im Darwin-Jahr beschäftigt sich auch unser Sprachressort mit evolutionären Variationen - hier am Beispiel einer vermutlich wärmeinduzierten Animation.    29.10.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

Wienerisch im Alltag: Dr. Seicherls gesammelte Lebenshilfe finden Sie hier.

 

=============================================================

 

Lieber Herr Doktor!

Jüngst hat mich ein mir (leider) vorgesetzter Arbeitskollege vor versammelter Mannschaft mit folgenden Worten zur sprichwörtlichen Sau gemacht: "Bei dir hot a da voda aufd herdplattn gschissn und nochand gsogt: wurzn steh auf!" - muss ich mir so etwas wirklich bieten lassen?! Leider bin ich in einem bürgerlichen Elternhaus erzogen worden und somit in manchen Situationen ein bisserl "auf den Mund gefallen". Haben Sie einen Tipp, was ich das nächste Mal auf eine ähnliche Beleidigung erwidern könnte?

mfG,
Mag. K. Platzkammer

 

*****************************************

 

Dr. Seicherl antwortet:

 

Sehr geehrter Herr Mag. Platzkammer,

so Sie im Wiederholungsfalle die direkte Konfrontation suchen - anstelle einer entsprechend lancierten Information an Vertreter der nächsthöheren Hierarchieebene -, gibt es im wesentlichen zwei Möglichkeiten. Die erste Variante bezieht die von Ihnen zitierte Mannschaft ein und zeigt, daß Sie einem verbalen Schlagabtausch gelassen entgegensehen; Ihre Antwort könnte dann lauten:

Do red da richtige, woos bei eam de nochgebuat aufzogn ham.

Sie wenden sich dabei gewissermaßen an das Publikum, weshalb ich diese Vorgehensweise nur dann empfehlen kann, wenn Sie über einen gewissen Sympathierückhalt innerhalb der gleichgestellten Kollegenschaft verfügen - und sich auf einen möglicherweise ausführlicheren Wortwechsel einstellen.
Eine raschere Entscheidung bei höherem Einsatz evozierte Variante zwei:

Red weida deppat, dann hauri da a klampfm ins kreiz und drog di ham wiaran handkofa.

Hierbei sprächen Sie den ungehobelten Vorgesetzten direkt an. Die martialische Drohung würde natürlich nicht im Wortsinne verstanden, könnte den Herrn allerdings unter anderem zu - wenigstens angedeuteten - Tätlichkeiten provozieren. Anderenfalls hätten Sie sich damit jedoch ausreichenden Respekt verschafft, um künftig vor primitiven Injurien verschont zu bleiben.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

 

*****************************************

 

Translation / Erläuterungen:

wuazn: Wurzel; Rübe; übertr.: Ausgenützter; Penis
nochgebuat: Plazenta und sekundäre Eihüllen (nach der Geburt abgestoßen)
aufzogn: herangezogen (im Sinne von: "am Busen genährt")
klampfm: Klampfe (bdt.: "Bauklammer"); auch: Gitarre
kreiz: Kreuz; Rückgrat
kofa: Gepäckstück; Flatulenz

Die eingangs angesprochene Formulierung mutet etwas seltsam an. Mit headplotn kann im Grunde nur die gußeiserne Oberfläche eines holzbefeuerten Herdes gemeint sein, da die Elektrifizierung österreichischer Haushalte erst in den fünfziger Jahren Einzug hielt; zudem eignet Dialekten wie dem Wienerischen eine erdverbundene Sachbezogenheit. Philosophische Konstruktionen wie die hier insinuierte Parthenogenese (in Form spiritueller Animation der eigenen Fäkalien) sind dem Wiener eher fremd. Auch entbehrt das Gleichnis jeglichen Charmes und gemahnt somit inhaltlich an die Scherze unserer bundesdeutschen Nachbarn. Die Diktion "nochand" hingegen scheint auf ländliche Provenienz hinzudeuten; besagte Wendung dürfte daher schwer zu verifizieren sein.
Unmißverständlich ist dagegen die Unterstellung, man habe im Zuge der Entbindung die quasi unappetitlichen Restausscheidungen der Mutter für menschlicher gehalten denn die eigentliche Leibesfrucht.
Interessant ist die Mehrdeutigkeit des Ausdruckes klampfm. In gewohnt erfrischender Präzision unterscheidet die Deutsche Industrienorm (DIN 7961) bei U-förmigen Haken zum Beispiel zwischen "Typ A als Ziehklammer/aus 16mm Rundeisen/Länge 300mm/Spitzenhöhe 90mm" und "Typ C als Verbundklammer/aus Flachstahl und mit Bohrungen versehen/Länge 300mm/Spitzenhöhe 60mm/Breite 25mm". Einfacher ausgedrückt, handelt es sich um ein Stück Eisen mit abgebogenen und angespitzten Enden zur provisorischen Verbindung von Bauhölzern.
Jemanden zu verunglimpfen (!) wiederum heißt hierorts eam a klampfm aahenga; eine entsprechende böswillige Handlung, die über Verbales hinausgeht, wird als rostige klampfm ins knia haun bezeichnet.
Auf der Suche nach etymologischen Parallelen zum Saiteninstrument (grch.: khitára; vgl.: Zither) muß man bis ins 14. Jahrhundert zurückgehen. Hier findet sich der mittelhochdeutsche Ausdruck klampfern, was soviel bedeutet wie "fest zusammendrücken, verklammern"; letzteres hat seine Entsprechung im althochdeutschen klampfer (Spange). Das "Zusammendrücken" klingt noch im Plattdeutschen klempern nach (= Blech hämmern; vgl. bdt.: "Klempner" = Installateur) und veranschaulicht den körperlichen Einsatz, mit welchem mancher Gitarrist die Bünde bearbeitet. In Wien nennt man das de gitaa wiagn ("würgen").

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

 

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Rez gscheid!

Blut und Granaten

Keine Sorge: Unser Sprachexperte ist wohlauf; die Überschrift ist mehr im etymologischen Sinne zu verstehen. Diesmal geht es nach Griechenland, Spanien und ... nun, lesen Sie selbst.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Böhmische Dörfer

Gemäß amtlicher Statistik war Wien vor 100 Jahren die "zweitgrößte tschechische Stadt Europas". Und auch ein Blick in das heutige Telefonbuch zeigt: Böhmen und Mähren haben mehr hinterlassen als Powidl und Budweiser.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Proletarischer Index

Dr. Seicherl und der EVOLVER präsentieren: das Nachschlagewerk unseres Wiener Sprachressorts! Hier finden Sie alle Ausdrücke und Wendungen, die unser Linguist bislang einer näheren Erörterung unterzog.
Schauen Sie nach ...  

Kolumnen
Rez gscheid!

Kroaten und Italiener

Das Wienerische differiert nicht nur von Bezirk zu Bezirk. So kann es passieren, daß eine Wendung auftaucht, die selbst unserem Sprachressort unbekannt ist. Wissen Sie mehr?  

Kolumnen
Rez gscheid!

Heiß und fettig

Der Würstelstand ist eine Wiener Institution, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Was Sie über diesen essentiellen Mikrokosmos auch in sprachlicher Hinsicht wissen müssen, erfahren Sie hier - ausführlich erläutert von unserem Linguistikexperten.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Juden und Alemannen

Wien war immer schon eine Stadt der vielen Völker. Zentrale Kulturgüter wie Küche oder Sprache verdanken das Ortstypische gerade den Beiträgen der Zugezogenen. Manche unter ihnen dürften hier jedoch nie heimisch werden.