Kolumnen_Rez gscheid!

Rot und Schwarz

Als Idiom wahrer Kosmopoliten vereint das Wienerische, was Politik und Roulettetisch streng trennen: Wenn es um die Hautfarbe geht, werden Antagonisten sprichwörtlich verbrüdert.    16.07.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

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Lieber Herr Doktor Seicherl,
seit unserem letzten Grillfest streiten wir in der Runde um einen Spruch. Mein patscherter Schwager wollte sich ein Bratwürstel vom Rost holen und spritzte sich beim Aufspießen gleich mit Fett an. Als er dann schreiend herumhupfte, rief ein Freund: "Hearst, moch do kaan Indianer!" Ich behaupte aber, es heißt "einen Neger machen". Was stimmt denn jetzt?
Herzliche Grüße
Pepi Hirnschall

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Dr. Seicherl antwortet:

Sehr geehrter Herr Hirnschall,

im Wienerischen ist beides korrekt. Wer wild gestikulierend umherspringt und dazu unartikulierte Laute ausstößt - aus welchem Grunde immer -, dem attestiert man, sich wie ein Indianer bzw. Neger zu benehmen.
Es handelt sich dabei um eine folkloristische Interpretation von Stammestänzen, die mitteleuropäischem Gestus fremd erscheinen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

P.S.: Wie die Genannten ihrerseits etwa Ballett oder Schuhplatteln interpretieren, entzieht sich leider meiner Kenntnis.

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Translation/Gebrauchshinweise:

Unter indiana versteht man hierzulande in erster Linie eine Mehlspeise (Krapfen mit Schlagobersfüllung und Schokoladeglasur); die Etymologie gilt in diesem Zusammenhang bislang als ungeklärt. Des weiteren wird auch der Truthahn so apostrophiert. Dabei dürfte allerdings weniger die amerikanische Herkunft dieses Hühnervogels Pate gestanden haben; vielmehr ähneln die gespreizten Bürzelfedern eines Puters der europäischen Vorstellung vom Kopfschmuck eines "Indianers".
(Es darf an dieser Stelle daran erinnert werden, daß nämliche Bezeichnung auf einem Irrtum Christoph Kolumbus´ basiert, der sich in Indien wähnte, als er 1492 auf den Bahamas landete. Die dortigen Bewohner stammten ursprünglich aus Venezuela. Dennoch werden - Irrtum Nummer zwei - heute bei uns meist Einwohner des nordamerikanischen Kontinents mit jener Namensgebung assoziiert, die wiederum in Wahrheit ostasiatisch/mongolischer Abstammung sind; ihre Vorfahren wanderten vor rund 20.000 Jahren über die Beringstraße ein.)


Die romantische Vorstellung halbnackter, beilschwingender Wilder, die zu Trommelschlag im Gänsemarsch einen "Marterpfahl" umkreisen, ist hauptsächlich den Werken Carl Friedrich Mays (1842-1912) zu verdanken, eines Deutschen, der Informationen über Amerika aus Sekundärliteratur bezog und die Eingeborenen in seinen Büchern ungeniert berlinerisch "Uff!" sagen ließ.
Schlüssiger ist da schon die etwas in Vergessenheit geratene wienerische Sentenz fet wiara indiana. Asiaten fehlt nämlich nicht nur das Enzym Lactase (zur Aufspaltung von Milchzucker); es mangelt ihnen auch häufig an diversen Dehydrogenasen, die für den Abbau von Alkohol im Körper nötig sind. Wird den Betroffenen von Milch dadurch meist nur übel, entfalten geistige Getränke darüber hinaus schon in geringen Mengen ihre Wirkung (was unter anderem erklärt, wie mancher Vertrag mit den europäischen Siedlern zustandekam).

[Anmerkungen: Die Bezeichnung "Rothaut" rührt nicht von einer speziellen Epidermispigmentierung her, sondern von der Gepflogenheit mancher Stämme, sich bloße Hautpartien zum Schutz gegen Insekten mit Erdfarbe einzureiben. Jene Mongolen hingegen, denen die lange Reise weiland zu mühsam wurde, ließen sich bereits auf halbem Wege nieder; ihre Nachfahren kennt man heute als Eskimos - bzw. Inuit, wie sie selbst sich nennen.]

 

Auch der nega - vulgo murl oder bimbo - wird zumeist mit Süßem assoziiert: etwa bei Negerbrot, Mohrenköpfen, Negerküssen oder der traditionellen Wiener Nachspeise Mohr im Hemd. Die Herleitung ist evident, da alle genannten Rezepte augenfällig Schokolade enthalten. (Kaffeerezepturen wie der Kleine Schwarze oder der Große Braune beziehen sich hingegen bloß auf die Farbe des Getränks - auch wenn das Firmenemblem der ältesten Wiener Kaffeerösterei ein Negerkind mit Fez zeigt.) Wer jedoch in unseren Breiten auch im Sommer durch melaninarme Haut auffällt (grch.: melas = schwarz), wird ironisch als dopfmnega bezeichnet.
Wurden nordamerikanische Indianer zu edlen Wilden verklärt, so stehen Afrikas Ureinwohner traditionell für Armut und Bedürftigkeit. Wer kein Geld hat, ist somit nega; wer daraus schon eine Gepflogenheit macht und stets seine Begleiter anschnorrt, gilt als negarant.
Die symbolträchtig mit "Armut" einhergehende Nacktheit übte schon immer eine gewisse Faszination aus, vornehmlich auf hellhäutige Damen des christlich-prüden Kulturkreises. Das versüßt nicht nur den Verzehr der erwähnten Mehlspeise, auch sonst wird gern Bezug darauf genommen: Wer seiner Freude motorisch und akustisch übertrieben deutlich Ausdruck verleiht, der gfreit si wia zen nokate nega. (Die Einsicht, daß in äquatornahen Breiten das Tragen von Kleidung für von Geburt an UV-geschützte Menschen schlicht überflüssig ist, wäre der Pikanterie wohl abträglich.)


Die zwischenzeitlich eingeführte Umschreibung Schwarzer - mittlerweile von Farbiger abgelöst - konnte sich in Wien nie durchsetzen. Als schwoazn bezeichnet man hier nämlich einen politischen Anhänger der Konservativen - nach deren Parteifarbe. Früher wurden auch Kontrolleure innerstädtischer Verkehrslinien so genannt (= eine Abbreviation von schwoazkapla; als sie noch in Uniform arbeiteten).
[Anmerkung: Der eher geschmacklose Scherz, beim Anblick eines Dunkelhäutigen hoz wo brent? zu fragen, ist in seiner Assoziation keine ausschließlich wienerische Erfindung. Äthiopien etwa verdankt seinen Namen dem antiken Griechenland. Der Geschichtsschreiber Herodot berichtete bereits im fünften vorchristlichen Jahrhundert über die Aithiopes; von grch.: aitho = in Brand stecken, und opsis = das Antlitz.]

fet: stark alkoholisiert
murl: Motor; Mohr (von grch.: mauróo = verdunkeln; vgl.: Mauretanien)
dopfm: Topfen (bdt.: "Quark")
nokat: nackt
kapl: (Uniform-)Kappe

 

Nachsatz in eigener Sache:
Der ideologische Mißbrauch des Begriffs "Menschenrasse" Mitte des 20. Jahrhunderts führte hernach zu einer Gegenbewegung, im Zuge derer nicht nur die Klassifizierung selbst, sondern auch der Gebrauch einschlägiger Diktionen wie "Neger" geächtet wurden - oder, etwa für Staatsbedienstete, gar verboten; selbst die Negerküsse wurden umbenannt (und zwar sinnigerweise in "Schwedenbomben").
Solche - wenngleich verständliche - Überreaktion sorgt zur Zeit noch für Verwirrung, da nicht nur die Sprache in ihrer Präzision eingeschränkt, sondern auch wissenschaftliche Differenzierung behindert wird. (Die uralten Völker Südindiens/Sri Lankas oder Australiens/Neuseelands z. B. haben nicht das Geringste mit Afrika zu tun - auch wenn überall dort Menschen sehr dunkler Hautfarbe leben.)
Dem Biologen mag die behördliche Abschaffung menschlicher Rassen ähnlich sinnvoll erscheinen wie beispielsweise eine Vorschrift, künftig nicht mehr zwischen Chow-Chows und Chihuahuas unterscheiden zu dürfen. Dem Linguisten - der zumindest die Freiheit hat, Modeströmungen zu vernachlässigen - bleibt die Hoffnung, daß Politiker ihren zweifellos guten Willen wieder auf Dinge konzentrieren, von denen sie etwas verstehen. (Und verbale Artikulation zählt sicher nicht dazu, wie man täglich hören kann; von der ästhetischen Komponente einer Schrift oder Sprachmelodie ganz zu schweigen.)
Sprache ist ein einzigartiges Kulturgut, das uns befähigt, Erkenntnis zu tradieren. So sehr dabei Differenziertheit ein Qualitätsmerkmal ist, so wenig läßt sie sich künstlich kanalisieren. Diesseits der Grimmschen Regeln bewahren so bei uns mannigfaltige Dialekte die Vielfalt des Deutschen; was in Frankreich scheiterte - nämlich die Einführung einer verbindlichen Hochsprache -, wurde z. B. in Italien erst gar nicht probiert. Ideologisch oder wirtschaftlich motivierte Regulierungsversuche - aktuell etwa das "Binnen-I" oder die sogenannte "Neue Deutsche Rechtschreibung" - können letztlich nicht gegen die normative Kraft des Faktischen (Georg Jellinek) bestehen, weil die tatsächlich verwendete Sprache auch stets ein Abbild der restlichen Kultur bleibt.
(Im Wienerischen gibt es übrigens einen Ausdruck für "Versuch mit untauglichen Mitteln": eine solcherart handelnde Person nennt man schneebrunza.)

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

Kommentare_

Peter - 13.11.2015 : 00.55
dopfmnega??? Warum ein "m"? Das müsste doch ein "n" sein, von "Topfen": topfn-nega

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