Kolumnen_Rez gscheid!

Besondere Bedürfnisse

Modische Sprachverordnungen sorgen oftmals für Verwirrung. Unser Linguistikexperte hilft - und geleitet Sie zurück auf den sicheren Grund des Wienerischen.    15.10.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

Wienerisch im Alltag: Dr. Seicherls gesammelte Lebenshilfe finden Sie hier.

 

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Lieber Herr Doktor,
neulich hörte ich, wie sich zwei Damen über eine Tanzveranstaltung unterhielten. Es ging anscheinend um Jugendliche und Diskotheken. Jedenfalls meinte die Ältere: "Die hupfen herum, wie wenn sie den Feiztanz hätten". Ich kann mir zwar etwas drunter vorstellen. Aber woher komt dieser Spruch eigentlich?
Beste Grüße,
Felix Berger

 

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Dr. Seicherl antwortet:

 

Sehr geehrter Herr Berger,

die Wendung "den Veitstanz haben" bezieht sich auf eine alte Beschreibung von unkontrollierten Muskelverzerrungen, wie sie etwa bei Epilepsie auftreten können. Der Heilige Veit wird - als Schutzpatron der Schauspieler, Gastwirte, Apotheker und anderer - hierbei um Hilfe angerufen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

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Erläuterungen:

Behinderungen körperlicher wie geistiger Natur werden im Wienerischen seit jeher präzise ob ihrer Ausformung definiert. Epileptische Anfälle zum Beispiel beschreibt man als veitstanz oder schlicht mit ... hod es hifollate (= das "Hinfallende"; schon Julius Cäsar soll darunter gelitten haben).

Parkinson-Kranke hingegen werden als schütla bezeichnet - von der Motorik, die an rhythmisches Gliederschütteln gemahnt.
(Anmerkung: Morbus Parkinson wird zwar von einem Zellsterben im Mittelhirn ausgelöst, welches auch eine als Bradyphrenie bekannte Verlangsamung der Denkabläufe verursacht, stellt jedoch keine echte Demenzerkrankung dar. Als Erklärung für irrationale Entscheidungen ist sie somit ungeeignet; vgl.: Anerkennung Franjo Tudjmans 1992 durch den damaligen österreichischen Außenminister Alois Mock.)

Geistig leicht Behinderte werden allgemein unter dem Begriff huscherte subsummiert (vgl.: an vogl/klescha/huscha hom), körperlich Beeinträchtigte wiederum schlicht krüpe genannt - egal, ob die Ursache ererbt ist (kontagankind: von den Wirkungen des Medikamentes Contergan der Pharmafirma Grünenthal) oder "erworben" (aahaxata: einbeiniger Kriegsveteran). Ein schönes Beispiel ist hier das "Krüppellied" von Helmut Qualtinger/Andrè Heller, in dessen vierter Strophe es heißt:


Ich sprach zu einem Mägdelein/du hast nur einen Haxen
mach dir nichts draus, sei trotzdem mein/er wird dir so nicht wachsen
da bracht sich mir das Mägdlein dar/im weißen Bettgehege
der abgeschnittne Haxen war/mir durchaus nicht im Wege
[Ref.:] Krüppel - ham sowas Rührendes ...

 

 

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Herr Dr Seicherl!
Als wir die Fotos anschauten, die wo in der Gedächtnisschau für unseren großen Landeshauptmann hängen sollen, sagte einer was. Nämlich zu einem Foto mit dem Landeshauptmann und dem Generalsekretär. Er sagte: "Da schau, der Auspuffreparierer und sein Drescherl!" Indem das das sicher eine Ehrenbeleidigung ist, werden wir den verklagen. Dazu brauchen wir genaue Informazion. Sie mit ihrer Kolunne können uns sicher sagen, was das heisst.
Volker Herrentaler

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Dr. Seicherl antwortet:

Sehr geehrter Herr Herrentaler,

offenbar formulierte der Sprecher damit seine Ansicht, daß die Abgebildeten eine besondere Männerfreundschaft einte, wie sie beispielsweise auch Alexander dem Großen nicht fremd gewesen war.
Inwieweit ein derartiger Vergleich ehrenrührig sein könnte, vermag ich allerdings nicht zu beurteilen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

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Erläuterungen:

 

siaßa: auch: Liebhaber stark gesüßter Speisen/Getränke

hoibata: von: "halb"

buseriern: anstoßen (sowohl auf Straßen- als auch Geschlechtsverkehr anwendbar)

 

Der Wiener verfügt über einen bunten Strauß an Ausdrücken für Homosexuelle. Das reicht von scherzhaften Formulierungen wie dem genannten auspufrepariera oder dem hintertupfinger bis hin zum semmehund (anscheinend waren Schwule die ersten Männer, welche sich hierzulande das Haar blond färbten).
Die Bezeichnung zuschl wurde ursprünglich für das weibliche Genital verwendet (beziehungsweise pars pro toto für eine liederliche Frau), während göba auf das früher zu Erkennungszwecken getragene gelbe Stecktuch anspielt. Evident sind homerl und oaschweza; die dem Synonym kistntischla zugrundeliegende Überlegung ist jedoch nicht mehr eruierbar.
(Anmerkung: unter kistnschiaba - sic! - firmieren neben Transportarbeitern auch Päderasten; nicht zu verwechseln mit Pianisten, welche kistnschinda genannt werden. Als gredenztischla wiederum apostrophiert man einen dummen Polizisten .... Wer hier mit den Feinheiten des Wiener Dialekts nicht vertraut ist, kann unversehens in peinliche Situationen geraten.)

 

Ein Mann, welcher sich homoerotische Bedürfnisse gewerblich zunutze macht, heißt hierorts strichbua. Diese Bezeichnung (auch käufliche Damen gehen ja bekanntlich "am Strich") ist auf die Randmarkierung von Fahrbahnen zurückzuführen, entlang derer in bestimmten Distrikten erotische Dienstleistungen preisgünstig feilgeboten werden.
Die Herablassung, mit der sich Heterosexuelle von gleichgeschlechtlichen Gelüsten verbal zu distanzieren bemühen, findet sich in Ausdrücken wie siaßa, hoibata oder haucherl. Ein potentieller Neid auf deren vermeintlich ausgeprägtere Libido scheint in buserant (oder: buserer) durchzuklingen; eine darob erhöhte Körpertemperatur unterstellen womöglich die geläufigen Bezeichnungen woama respektive bochana (von: gebacken).
Auf seine Art konservativ, setzt der Wiener bei jedem Liebespaar eine hierarchische Grundstruktur maskuliner Dominanz voraus, weshalb er Selbiges auch auf schwule Gespanne projiziert. Somit unterscheidet er zwischen dem tuara und dem lossa (jenem, der "es tut"/jenem, der "es geschehen läßt").
(Anmerkung: So überholt diese Anschauung in unseren Breiten auch anmuten mag, bietet sie doch vielen Herren die Möglichkeit, ein raffiniertes Selbstverständnis zu pflegen. In Ländern arabischer Sozietäten etwa - deren mediävale Phobien Homosexualität brutal judizieren lassen - gilt es als tolerierbar, wenn ein Mann "in Notsituation" sich bei Jünglingen Erleichterung verschafft, so er denn ausschließlich den aktiven Part einnimmt. Der gleiche Codex wird bei uns auch von Strafgefangenen angewandt.)

 

Wo sadomasochistische Phantasien ins Spiel kommen, wird der Submissive gerne als peitscherlbua oder eben drescherl bezeichnet; im Wienerischen darf man dies jedoch gemeinhin als ironische Überhöhung verstehen.

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

 

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Kommentare_

Mag. Konrad Platzkammer - 15.10.2009 : 15.09
Lieber Herr Doktor!

Jüngst hat mich ein mir (leider) vorgesetzter Arbeitskollege vor versammelter Mannschaft mit folgenden Worten zur sprichwörtlichen Sau gemacht: "Bei dir hot a da voda aufd herdplattn gschissn und nochand gsogt: wurzn steh auf!" - muss ich mir so etwas wirklich bieten lassen?! Leider bin ich in einem bürgerlichen Elternhaus erzogen worden und somit in manchen Situationen ein bisserl "auf den Mund gefallen". Haben Sie einen Tipp, was ich das nächste Mal auf eine ähnliche Beleidigung erwidern könnte?

mfG,

Mag. K. Platzkammer
Dr. Seicherl - 16.10.2009 : 20.10

Sehr geehrter Herr Mag. Platzkammer,

vielen Dank für Ihre interessante Anfrage, welche mich mit einer mir bis dato unbekannten Wendung konfrontiert. Injurien dieser Qualität bedürfen natürlich einer entsprechend wohlüberlegten Replik. Ich werde mich daher in der kommenden Ausgabe, welche am 29. Oktober erscheint, eingehend damit befassen.
In der Zwischenzeit darf ich Sie mit dem Hinweis auf die bereits erschienenen Beiträge "Ausländer" und "Bessere Herrschaften" vertrösten, wo auch einige recht brauchbare Phrasen erörtert werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S
Helmut Qualtinger - 22.10.2009 : 21.31
Kroatisch und andere balkanische Sprachen lernt man am besten bei mir.

http://irgendwer.podspot.de/post/geospezieu-reise-und-sprachfuehrer-fuer-kroatien-oesterreich-und-island/

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