Kolumnen_Rez gscheid!

Hocknstad?

Hat Ihnen der freundliche Herr von der Bank damals erzählt, daß Sie Ihre Ersparnisse in amerikanische Hypotheken investieren sollen? Oder durfte der Typ etwa Ihren Chef beraten - der neulich von den Seychellen aus Insolvenz anmeldete? Fassen Sie Mut! Der EVOLVER steht Ihnen bei.    26.03.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

Der Wiener, geübt im Ertragen von Türkenbelagerungen, läßt sich auch von weltumspannenden Wirtschaftskrisen nicht beeindrucken. In diesem Sinne darf ich an eine Reihe seit jeher zukunftssicherer Berufe erinnern, exemplarisch in die folgenden Bereiche gefaßt:

 

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Bestattung

 

Die schene leich wurde zum Synonym für das nachgerade amikale Verhältnis, das hierorts traditionell zum Jenseits im allgemeinen und dem Hinscheiden im speziellen gepflogen wird. Tote und deren Entsorgung sind zudem Grundlage eines naturgemäß verläßlichen Betätigungsfeldes.
Als bompfinebara etwa erhalten Sie auch repräsentative Dienstkleidung (frz.: pompes funèbres = Begräbnisprunk). Etwas weniger angesehen ist der Friedhofsgärtner; unter anderem für das Nachfüllen der Grabvasen zuständig, wird er vom Volksmund - im Wissen um die bei weitläufigen Gottesackern oft großen Distanzen zur nächstgelegenen Toilette - gerne als gschirlbrunza verunglimpft.

(Anmerkung: Die Standortwahl im Südosten für den zenträu erfolgte 1874 auch aus olfaktorischen Gründen; an durchschnittlich 200 Tagen im Jahr weht der Wind in der Stadt nämlich aus West bis Nordwest.)

bompfinebara: Bestattungsbediensteter (früher mit betreßter Livree und federgeschmücktem Hut ausstaffiert)
gschirl: kleiner, offener Flüssigkeitsbehälter
brunzn: urinieren
zenträu: Wiener "Zentralfriedhof", im 11. Gemeindebezirk gelegen

 

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Coiffure

 

Haare wachsen - selbst bei Toten noch, für eine gewisse Zeit. Was liegt somit näher, als sich jenem Gewerbe zu widmen, das schon vor annähernd vier Jahrtausenden in Babylonien dokumentiert wurde (und dem Beaumarchais 1784 mit seinem "Figaro" ein literarisches Denkmal setzte)?

Je nach Grad der Spezialisierung unterscheidet der Wiener zwischen verschiedenen Spezies von Friseur. Für das Kopfhaar zuständig ist der pudlschera, auch bomadnhengst oder laushutschndokta genannt (was Ihnen als potentiellem Berufseinsteiger gewisse Nachsicht in Bezug auf die Körperhygiene der p. t. Kundschaft nahelegt). Der Herrenfriseur andererseits wird als bemschtlbandit, gaßhaxlboiwiara bzw. riaßlpuza apostrophiert ? somit als rasierpinselbewehrter Räuber (weil er zuviel für seine Dienste verlangt, jedenfalls aus der Sicht des Wieners), der mit unsachgemäßer Ausführung seine Klientel übervorteilt (vgl. bdt.: "über den Löffel barbieren/balbieren") und dieser dafür die Tätigkeit des Schneuzens abnimmt.

(Anmerkungen: Das Reinigen von Nasen- und Gehörgängen zählt etwa im arabischen Raum zum selbstverständlichen Service eines Barbiers; bei uns ist diese Gepflogenheit etwas in Vergessenheit geraten. Der Ausdruck gaßhaxl wiederum wird manchmal auch - an Stelle des Utensils - von jener Bewegungsart hergeleitet, welche der oft schmale Laden seinem Inhaber vermeintlich aufzwingt.)

bomadn: Pomade; als Haarfestiger heutzutage von "Gel" abgelöst
hutschn: Schaukel (bdt.: "Wippe")
laushutschn: Kamm
bemschtl: Pinsel
gaßhaxn: Speisepilz (lat.: Boletus scaber); Brecheisen; wörtl.: Ziegenbein
riaßl: Rüssel; übertr.: Nase

 

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Hippokratisches

 

Für seine überschaubare Größe hat Wien bekanntlich eine erstaunliche Dichte an "Doktoren" aufzuweisen; an tatsächlich promovierten Ärzten besteht jedoch immer Bedarf. So könnten Sie etwa die Laufbahn eines Dentisten einschlagen und sich des Titels pappnschlossa erfreuen. Gynäkologen wiederum sind hierorts unter so blumigen Bezeichnungen wie amatuaschpengla oder bixnschuasda bekannt.
(Anmerkungen: Wenn Attribute der weiblichen Physis mit Wasserhähnen verglichen werden, liegt der Verdacht nahe, daß solch ungelenke Formulierungen von Männern ersonnen wurden. Angehängte Professionen wie Schlosser/Spengler/Schuster gehorchen linguistisch dem üblichen Einsatz von Gleichnissen; in letzterem Falle wäre anzumerken, daß schuasdan zudem als Synonym für Geschlechtsverkehr gebräuchlich ist. Für unzureichend ausgebildete Mediziner hat sich im Wienerischen der Ausdruck bodagsö erhalten: von der Tätigkeit des "Baders", einem im Mittelalter für Körperpflege im weitesten Sinne zuständigen Bediensteten öffentlicher Badestuben; vgl.: "Kurpfuscher".)

pappn: Mund
amatua: Armatur (Bedienungselemente, etwa bei Badezimmerinstallationen)
bixn: Büchse (sowohl im Sinne von "Dose" als auch "Gewehr"); Vagina
gsö: Geselle (Gehilfe des "Meisters"; eine Stufe über dem "Lehrling")

 

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Religion

 

Wenn Ihnen das Spirituelle näherliegt und es Sie nicht irritiert, auch mit übertrieben frömmelnder Klientel Umgang zu pflegen - man denke dabei etwa an kerzerlschlika oder dawanaklwanzn -, käme für Sie eine Karriere im Schoße der katholischen Kirche in Frage.
Als koprata obläge Ihnen dann das Seelenheil der Gemeinde (keine Sorge, Ihre Gespielin dürfen Sie ggf. ruhig behalten - vorausgesetzt, Sie nennen sie "Köchin" oder "Haushälterin"); kontemplativer gesinnte Naturen hingegen wird es vielleicht eher in die wixkasern ziehen.
(Anmerkung: Die oft weit abstehenden Hauben ihres Habits trugen Nonnen - etwa vom Orden der Vinzentinerinnen - den Spitznamen barablifledamaus ein.)

schlikn: (hinunter-)schlucken
dawanakl: Schrein zur Aufbewahrung von Hostien (von lat.: tabernaculum = Hütte, Zelt)
koprata: Priester (von "Kooperator"; womit ursprünglich nur der Kaplan - als "Mitarbeiter" - gemeint war)
wixkasern: (scherzh. für:) Kloster
barabli: Regenschirm (frz.: parapluie)

 

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Verwaltung

 

Am sichersten ist man in Österreich nach wie vor im Solde des Staates aufgehoben. Wer hoch hinaus möchte, strebt beispielsweise das Amt eines Berufsrichters an; in Wien unter dem Synonym watschnkadi geachtet. (Nicht zu verwechseln mit dem feznmufti: als solchen apostrophiert man hier einen Garderobier.)

Werden "Organe" niederer Verwaltungsränge gern als dintnschleka belächelt, bringt man der Exekutive zwangsläufig mehr Respekt entgegen. Der gemeine kibara ist auch unter den Bezeichnungen gredenztischla (pej. für "mangelnde Befähigung"), schpinadwochta (wegen der früher grünen Uniformen) oder mistlbocha bekannt (in Mistelbach im Weinviertel existierte früher eine einschlägige Ausbildungsstätte); spezialisierte Beamte der Mordkommission nennt man griminesa.

Politessen wiederum ehrt der Wiener hyponym als dutlscherif.

(Anmerkung: Ursprünglich wurden nur Kommissare der Sittenpolizei als "Koberer" bezeichnet - abgeleitet vom jiddischen kowo = Bordell. Die Unterscheidung zwischen Kadi und Mufti - "Richter" und "Rechtsgelehrter" im islamischen Raum - ist dem Wiener offenbar wenig geläufig; vielleicht war es das würdevolle Benehmen, das dem Garderobier hier zu seinem Titel verhalf.)

kibara: Polizist
gredenz: Möbelstück (bdt.: "Anrichte")
grimi...: von lat. crimen = Anklage, Verbrechen
dutl: weibliche Brust (bdt.: "Titte")


Sollte Ihnen trotz prekärer Einkommensverhältnisse keiner der genannten Bereiche zusagen, bleibt Ihnen vorläufig unter anderem noch die Betätigung als owezara ( = jemand, der die ihm obliegenden Pflichten aus Faulheit auf ein Mindestmaß reduziert, also "herunterzieht"; vgl. das geflügelte Wort eines migrationshintergründigen bundesdeutschen Jugendlichen auf die Frage nach seinen Berufswünschen: "Isch werd Hortz 4!").
Und natürlich das älteste Gewerbe der Welt ... Aber selbiges Thema wird ob seiner umfangreichen Implikationen Inhalt einer zukünftigen Spezialausgabe dieser Sprach- und Lebenshilfe-Kolumne sein.

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

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Kommentare_

Roland Rienößl - 26.03.2009 : 13.16
Sehr geehrter herr Dr. Seicherl!
Bezüglich "owezara": Als ich weiland noch Freifahrtschein inskribiert hatte (also präakademischer owezara war), schalt mich meine Mutter des Öfteren ob meines In-den-Tag-hinein-Lebenswandels und beendete derlei oft mit den Worten: "I kriag no die Frasn mit dir!"
Was mich (der ich nun schon seit Längerem kein owezara bin) seit etwa 40 Jahren verfolgt:
Was, bitte, sind Frasn?
Danke im Voraus,
herzlichst,
Ihr Ronald Rienößl
Dr. Seicherl - 26.03.2009 : 19.52

Sehr geehrter Herr Rienößl,
das ist eine interessante Frage, zu deren Beantwortung ich etwas weiter ausholen muß. Da dies den Rahmen eines simplen Rückkommentares sprengen würde, darf ich Sie auf die kommende Ausgabe meiner Kolumne vertrösten: am 9. April erwartet Sie dort eine ausführliche Erörterung der von Ihnen genannten Redewendung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

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