Kolumnen_Rez gscheid!

Möhrennuckler

... hieße ein hierzulande geläufiges Pejorativum wohl bei unseren nordwestlichen Nachbarn - so sie denn einen Ausdruck dafür hätten. Unser Sprachexperte erläutert die Bedeutung des Originalbegriffs. Außerdem erfahren Sie die mit Spannung erwartete Lösung des Artikel-Quiz der vorigen Ausgabe.    13.03.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

====================================

 

Daß echtes Wienerisch sich auch durch oft spezifischen Einsatz des Artikels definiert, war vor zwei Wochen Thema dieser Kolumne. Hier also das jeweils korrekte Geschlecht der gefragten Substantiva:

Gas, die
Nicht nur das Huftier, sondern auch die flüchtige Substanz ist dem Wiener weiblich. (Vgl.: ii dra da di gas o).

Joghurt, das
"Den" Joghurt (mit langen Vokalen, gespr.: Joo-guurt) gibt es nur in Deutschland.

Knödel, das
Sächlich zumeist im übertragenen Sinne für Geld. Bezüglich der Beilage (tschech.: knedlík) ist auch der männliche Artikel gebräuchlich.

Mensch, das
Und zwar als Bezeichnung für Mädchen/junge Frau; homo sapiens jedoch ist auch in Wien maskulin.

Polster, der
Auf "das" Polster betten allenfalls Germanen ihre Häupter.

Pyjama, das
Siehe Joghurt.

Radio, der
Wienerisch; in Restösterreich ist auch das Neutrum zulässig.

Sahne
Existiert hierzulande nur auf den Speisekarten einschlägiger Tourismus-Gastronomie. Richtig: (Schlag-)Obers. Erfreulicherweise ist keiner unserer Leser auf die Fangfrage hereingefallen.

Teil, der
"Das" Teil ist nur in Deutschland ein Begriff.

Teller, das
In der austriakischen Provinz ist hierfür auch der männliche Artikel verbreitet.

 

=============================================

Frage an Dr. S:

Dieser Herr (im Link) ist jedenfalls kein Hausmeister. Aber wo kommt denn der Rübenzutzler bitte her?


Mark

**************************************************

Dr. Seicherl antwortet:

Sehr geehrter Herr Mark,

gemeinhin unterstellt man dem Landmann, ein Dummkopf zu sein. Und zwar im spezifischen Falle einer, der - in Ermangelung fleischlicher Nahrung - "an Rüben saugen" muß. In neuerer Zeit sollen auch freiwillige Vegetarier mit diesem Epitheton bedacht werden.
Zur Herleitung interessanter scheint mir jedoch, daß Senkgrubenentleerer früher gruamzuzla genannt wurden; erst durch das Verschleifen der Anfangskonsonanten wurde aus dem Jauchebecken eine Wurzel.
(Anmerkung: Jener in Ihrem Link behelligte Fleischhauer hat sich meines Erachtens noch sehr höflich ausgedrückt. Der hysterisch kichernde Moderator hätte zumindest die Anrede hirnwaaches rauschkind verdient gehabt. Und den zweiten Anruf würde ein weniger geduldiger Wiener vermutlich folgendermaßen kommentiert haben: Ohoin wüst du mi? Kräu her do du rozpipn, dan konst da deine floschn ohoin, und a pakl hausdetschn kriagst gratis dazua. Belästigung als moderne Interpretation vom Bildungsauftrag eines gebührenfinanzierten staatlichen Rundfunkes hat der Herr jedenfalls präzise definert: ii brauch ma den drek ned gebn.)

Mit freundlichen Grüßen,


Dr. S

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Rez gscheid!

Blut und Granaten

Keine Sorge: Unser Sprachexperte ist wohlauf; die Überschrift ist mehr im etymologischen Sinne zu verstehen. Diesmal geht es nach Griechenland, Spanien und ... nun, lesen Sie selbst.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Böhmische Dörfer

Gemäß amtlicher Statistik war Wien vor 100 Jahren die "zweitgrößte tschechische Stadt Europas". Und auch ein Blick in das heutige Telefonbuch zeigt: Böhmen und Mähren haben mehr hinterlassen als Powidl und Budweiser.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Proletarischer Index

Dr. Seicherl und der EVOLVER präsentieren: das Nachschlagewerk unseres Wiener Sprachressorts! Hier finden Sie alle Ausdrücke und Wendungen, die unser Linguist bislang einer näheren Erörterung unterzog.
Schauen Sie nach ...  

Kolumnen
Rez gscheid!

Kroaten und Italiener

Das Wienerische differiert nicht nur von Bezirk zu Bezirk. So kann es passieren, daß eine Wendung auftaucht, die selbst unserem Sprachressort unbekannt ist. Wissen Sie mehr?  

Kolumnen
Rez gscheid!

Heiß und fettig

Der Würstelstand ist eine Wiener Institution, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Was Sie über diesen essentiellen Mikrokosmos auch in sprachlicher Hinsicht wissen müssen, erfahren Sie hier - ausführlich erläutert von unserem Linguistikexperten.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Juden und Alemannen

Wien war immer schon eine Stadt der vielen Völker. Zentrale Kulturgüter wie Küche oder Sprache verdanken das Ortstypische gerade den Beiträgen der Zugezogenen. Manche unter ihnen dürften hier jedoch nie heimisch werden.