Kolumnen_Rez gscheid!
In Oasch daham
Sitzen Sie wieder einmal gelangweilt vor dem Bildschirm? Glauben Sie, Sie könnten unser Linguistikressort mit dummen Fragen belästigen? Unser Experte erklärt Ihnen diesmal ausführlich, wo Sie sich selbige "hinmassieren" dürfen - und weshalb.
14.01.2010
"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.
Wienerisch im Alltag: Dr. Seicherls gesammelte Lebenshilfe finden Sie hier.
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Serwas, Herr Dokta!
Olso, i hett do aa froge. (Also, da hätt´ ich eine Frage). Wos haasd denn eigantlich "aumäuerln"? Hot des wos mit die fülln Hund in Wean zum tuan, die imma an die Mauern pinkln?
Griasse,
Professa Reindl
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Dr. Seicherl antwortet:
Sehr geehrter Herr,
zwischen einem fehlerhaften Resetarits-Zitat zu Anfang und dem dümmlichen Pseudonym in der Unterschrift lese ich hier bloß erbärmlich transskribierte Umgangssprache. Hätten Sie tatsächlich Interesse an der Erklärung jenes Verbs, fänden Sie entsprechende Informationen in der Ausgabe vom 2. 7. 2009 dieser Kolumne, unter dem Titel Hardcore Games. Da Sie jedoch offenbar nur einen vermeintlich originellen Scherz zum besten geben wollten, empfehle ich Ihnen:
Gengans scheißn.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. S
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Erläuterungen:
Seit Jahr und Tag stehe ich Ihnen, werte Leser (und Rinnen! - pardon), nun Rede und Antwort. Keine Frage war zu banal, kein Gemeinplatz zu offensichtlich, als daß ich mich nicht der Mühe unterzogen hätte, Zusammenhänge, Herkunft und Anwendungsbeispiele zu erläutern.
Von Monat zu Monat wurde es schwerer, im Wust der hoiblustign Zuschriften besprechenswerte Anfragen zu finden. Es ist eine schlichte Tatsache, daß das Wienerische stirbt - so, wie die meisten indigen wortgutreichen Sprachen (oder, um einen überschätzten US-amerikanischen Musiker in Abwandlung zu zitieren: Unser Dialekt ist nicht tot; er riecht nur ein bißchen seltsam). Auf der Straße - ehemals: da gossn -, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder den allgegenwärtigen Medien herrscht längst die neue lingua germanica, ein übelkeiterregendes Gemenge aus lokalen Mundarten und der Diktion bundesdeutscher Werbesendungen.
Lauscht man - zumeist höchst unfreiwillig - den Gesprächen, welche heutzutage ebenso laut wie ungeniert via HANDY in aller Öffentlichkeit geführt werden, oder gar - horribile dictu - der erratischen Dyslalie Heranwachsender, wird rasch klar, daß hier Hopfen und Malz verloren sind. Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Politiker, speziell der größeren Parteien, befleißigen sich da eines vergleichsweise herzerfrischenden poidihuabarisch.
Was die aktuelle schriftliche Ausdrucksform des durchschnittlichen Österreichers betrifft, hätte solch armselige Artikulation in meiner Jugend nicht einmal zum Besuch einer Hauptschule berechtigt; von den Inhalten ganz zu schweigen.
Leute wie Sie - ja, vermutlich genau Sie! - sind dabei die Schlimmsten. Ihr rudimentäres KEYBOARD-Gestammel hat der menschlichen Fähigkeit zur Informationsübermittlung bereits mehr Schaden zugefügt als die unsägliche "Rechtschreib"-Reform. Sie haben keinerlei Gefühl für Melodie und Rhythmik oder gar die ästhetischen Komponenten einer Sprache in Wort und Schrift; daß man Ihre Ergüsse (leider) überhaupt entziffern kann, liegt an den elektronischen Krücken, derer Sie sich bedienen.
Unbeschwert von jeglichen humanistischen Errungenschaften posieren Sie als narzißtische COMPUTER-Marionetten, die sich selbst in Gaststätten nicht entblöden, auf ihren LAPTOPS, BLACKBERRYS oder IPHONES zu CHATTEN, zu BLOGGEN oder zu TWITTERN, um Ihresgleichen IN TIME über die morphologische Konsistenz ihres letzten Stuhlgangs zu informieren. Regeln wie Syntax, Grammatik oder Orthographie sind Ihnen dabei so fremd, daß Sie nicht einmal mehr die genannten Bezeichnungen buchstabieren könnten - und vermutlich sind Sie auch noch stolz darauf.
So Sie weiblichen Geschlechtes sind, gehören Sie höchstwahrscheinlich zu jenen Nervensägen, die ihr unsägliches Geschwätz nicht nur mit repetitiver Interpunktion, sondern auch noch mit infantilen EMOTICONS anreichern. (Wie bitte? Sie haben die Ausdrücke repetitiv und Interpunktion nicht verstanden? Das war zu erwarten. Na, dann GOOGELN Sie doch, Sie geistiges Pantoffeltierchen.)
Oder Sie zählen sich zur intellektuellen Elite. Dann halten Sie vermutlich Harald Schmidt für einen geistreichen Conférencier - für Sie: COMEDIAN -, B. Gudmundsdottir für eine begnadete Sängerin und POETRY SLAM für einen hehren Literatenwettstreit. (Falls Sie den Ausdruck hehr in Ihrem Wortschatz ausfindig machen konnten, erachten Sie zudem womöglich "Sascha Lobo" für einen Philosophen - ja, genau den Werbetexter der NEW ECONOMY, dessen verbale Ausflüsse das spirituelle Äquivalent zu seiner Frisur darstellen.)
Deshalb glauben Sie auch, sich in dieser Kolumne mit hopatatschign safaladeschmäh zu Wort melden zu müssen. Meinen Sie im Ernst, Ihre inferioren Versuche, das alte Idiom unserer Stadt zu kopieren, riefen Interesse hervor? Sie alle, die Sie ein elegisches Distichon nicht einmal erkennen würden, wenn es als APP zum DOWNLOADEN wäre - Sie dekadente Kretins halten Sprachpflege doch bloß für pittoreske Folklore, dargeboten zu Ihrem kurzfristigen Amusement, ehe Sie weiterZAPPEN (respektive hielten, so Ihnen denn pittoresk ein Begriff wäre).
[Anmerkung: Reklamieren Sie jetzt bitte nicht theoretisch basisdemokratische Effekte Neuer Medien für sich. Zwischen - sagen wir - einer Perserin, die filmt, wenn die Religionspolizei prügelt, und geschützten Pflänzchen wie Ihnen besteht ein feiner Unterschied. Schlagen Sie doch einmal das Substantiv Ochlokratie nach.]
Habe ich Ihnen eben Unrecht getan, weil Sie gar die oxymorotische Poesie oberösterreichischer Gstanzeln zu goutieren vermögen? Ist Ihr Beitrag hier tatsächlich auf das Interesse an der linguistischen Herkunft einer wienerischen Phrase zurückzuführen? Dann empfehle ich Ihnen Folgendes:
Kaufen Sie 1.: "Wiener Dialektlexikon" (Wolfgang Teuschl), 2.: "Sprechen Sie Wienerisch?" (Peter Wehle) und 3.: "Wörterbuch der Wiener Mundart" (Hornung/Grüner). Ausdrücke, die bei 2) ob ihres ordinären Charakters gestrichen wurden, finden Sie in 1). Das Werk 3) wiederum ist zwar gnadenlos POLITICALLY CORRECT zensiert, bietet aber ansonsten die ausführlichsten Hintergrundinformationen. Bei der Verifizierung historischer Ursprünge hilft weiters das "Herkunftswörterbuch" des Duden-Verlages.
Sollten Sie dafür zu faul sein, könnten Sie zumindest den Anstand aufbringen, Ihre Fragen an mich in - wenigstens grammatikalisch - korrektem Deutsch zu formulieren. Ehe Sie sich jedoch wahlweise in volkstümelnder Dialektskription versuchen, rate ich vorher dringend zum aufmerksamen Studium etwa der Œuvres von Qualtinger, Bronner, Weinheber, Farkas oder Artmann. Ansonsten verschonen Sie mich bitte mit Ihren imbezilen Zuschriften (das gilt naturgemäß von vornherein für jene unter Ihnen, die nicht wissen, was ein Œuvre ist).
Humor der Marke Stermann/Grissemann können Sie sich in unserem Sprachressort nämlich unta de vuahaut massiern.
daham: zu Hause; wohnhaft
ameierln: Wurfspiel mit Münzen
gengans: gehen Sie!
hoiblustig: mißlungen scherzhaft; belästigend
gossn: Gasse (vgl.: gasslbua)
poidihuabarisch: Diktion eines Wieners, der vergeblich versucht, Hochdeutsch zu intonieren (archetypisch definiert über die satirische Figur "Leopold Huber")
hopatatschig: unbeholfen
safalade: Cervelatwurst (billiges Fleischprodukt)
schmäh: Charme; Trick; ironischer Witz
vuahaut: Präputium
des kanst da unta de vuahaut massiern: abschlägiger Bescheid (bdt. etwa: "Vergiß es!")
Dr. Seicherl
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