Kolumnen_Rez gscheid!
Handys und Hunde
... werden in Wien oft hingebungsvoll umsorgt. Wie zwei Fragen an unseren Sprachexperten nahelegen, teilen nicht alle Mitbürger diese Liebe zu urbanen Störfaktoren.
11.12.2008
"Languages matter!" weiß die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, kurz: UNESCO. Deshalb hat sie das Jahr 2008 zum internationalen Jahr der Sprachen erklärt.
Unser Sprachexperte Dr. Seicherl erklärt mit und widmet sich dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.
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ey du dokter, da hat mir so ein opa schtres gemacht in uban. sagt er soll ich handy mit vollgeile videoclip leisa dren. sag ich gescheisn oda ich bresch dir di nose. sagt der burlen meigrad unzn oder was weis ich und komt her voll krass ey. jez lig ich kronknhaus und werd anzeign den rasistn. was had der gsagt zu mir kannst mir das checken.
murat ökten
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Dr. Seicherl antwortet:
Lieber Murat,
ich vermute, der Herr hat folgendes zu Dir gesagt:
"Burli, lern amoi grod brunzn."
Damit wollte er wohl zum Ausdruck bringen, daß er Deine Drohung nicht ernst nimmt.
Mit freundlichen Grüßen,
Dein
Dr. S
PS: Dein Nachname bedeutet im Türkischen übrigens "intelligent, wissend, gebildet". Ob Du ihm mit Deiner angekündigten Anzeige Ehre machst, weiß ich nicht.
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Translation/Gebrauchshinweise:
burli: Knabe
grod: soeben, gerade(aus)
brunzn: urinieren
Die rhetorische Aufforderung "Junger Mann: lerne zunächst, geradeaus zu urinieren" reflektiert auf ein postuliertes hierarchisches Gefälle zwischen dem Sprecher und dem Angesprochenen.
Möglicherweise wird dabei auf die Tatsache Bezug genommen, daß das Praeputium Heranwachsender deren Glans - so sie nicht einer Zirkumzision unterzogen wurden - noch so weit bedeckt, daß beim Entleeren der Blase der Strahl tendenziell aufgefächert wird und daher wenig zielgerichtet verströmt.
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Sehr geehrter Herr Doktor,
Als Student der Theologie fühle ich mich zur Nächstenliebe verpflichtet. Doch wohnt in unserem Mietshaus auch eine Dame, die mich jedesmal anschreit, wenn sie mir mit ihrem Hund (einer äußerst kleinen, aber aggressiven Züchtung) im Stiegenhaus begegnet; anscheinend meint sie, ich würde dem Tier aus Unachtsamkeit nicht rechtzeitig ausweichen. Ich bete jeden Abend für ihre Seele, doch es hilft nicht. Können Sie mir einen Rat geben?
Mit lieben Grüßen,
Joseph Wagner
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Dr. Seicherl antwortet:
Sehr geehrter Herr Wagner,
Versuchen Sie es doch einmal mit dem Satz:
"Heans lossns mi in kraut, ina futschlecka is so schiach, do wü ma ned amoi draufsteign."
Achten Sie beim Sprechen darauf, die Worte mit geziemender Emphase vorzutragen - denken Sie dabei etwa an Mose, als er dem Pharao entgegentrat.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. S
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Translation / Gebrauchshinweise:
"heans": Anredefloskel (dt.: "Hören Sie, ...")
in kraut lossn: in Ruhe lassen
futschlecka: Schoßhund (wörtl.: "Scheidenlecker")
schiach: häßlich (adj.); Angst (subst.)
Die Wendung, etwas "im Kraut" zu belassen, wird erst unter Berücksichtigung des agrikulturellen Hintergrundes unserer Gesellschaftsformen verständlich: Wer nicht stets das Unkraut auf seinen Feldern entfernt, kümmert sich wenig um diese, läßt sie also gewissermaßen "in Frieden".
Der mögliche Einsatzzweck besonders kleinwüchsiger Hunde wiederum ist seit langer Zeit bekannt; auch Wilhelm Busch wußte: "Der Mops ist alter Damen Freude."
Interessant ist letztlich, daß Häßlichkeit hierzulande geradezu furchterregend sein kann: vgl. do ged ma da schiach an.
Dr. Seicherl
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