Kolumnen_Rez gscheid!

Wasser und Öl

Wer Handwerkern zuhört, versteht oft wenig. Daß diese babylonische Sprachverwirrung nicht immer am fernen Herkunftsland liegen muß, beweist die aktuelle Zuschrift an unseren Sprachexperten.    04.06.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

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Lieber Herr Dr Seicherl,
ich komme aus Kärnten und arbeite, seit ich in Wien studiere, gelegentlich im Ausstellungsbau, also im Kunst- und Museumsbereich. Letztens stritten sich zwei Kollegen über eine gerade eben aufgestellte Holzkonstruktion, als Unterbau für eine Vitrinenwand. Und das hat so geklungen (ich gebe das jetzt auf Schriftdeutsch wieder):

 

A: "Bist im Öl, das ist ja nicht im Wasser."

B: "Hatz dich Schaßäugiger, das pfeift."

 

Sie können mich sicher darüber aufklären, wovon die zwei da geredet haben?!
mfg
Sigi

 

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Dr. Seicherl antwortet:

Sehr geehrter Herr Siegfried,

der von Ihnen zitierte Satz klingt mir in dieser Form etwas zu konstruiert; ich vermute, Sie haben dabei in der Erinnerung mehrere Äußerungen zusammengefaßt. Dennoch, der Dialog wäre wienerisch. Er müßte dann lauten:

 

Bist im öö? Des is jo ned im wossa!
Hoz di, schasaugata? Des pfeift!

 

(Übersetzt in die Hochsprache: "Bist du betrunken? Das ist doch nicht waagerecht!" - "Leidest du an Besessenheit, Kurzsichtiger? Das ist schnurgerade!")

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

 

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Erläuterungen/Gebrauchshinweise:

 

Weshalb der Wiener Alkohol mit Lipoiden in Verbindung bringt - chemisch gesehen antagonistischen Substanzen -, gilt bislang als ungeklärt, obgleich Wendungen wie voifet, blunznfet oder fet wiara radiera allgemein geläufig sind.
Ein interessanter Ansatz dazu findet sich in den Schriften von Justus Liebig. Er definierte im 19. Jhdt. den sogenannten "Respirationswerth" von Substanzen als deren "Fähigkeit ... durch ihre Verbindung mit dem Sauerstoff Wärme zu entwickeln" (grob gesagt also: beim Anzünden), und erläuterte in seinen Chemischen Briefen, diesbezüglich stünde "der Alkohol dem Fett am nächsten".
Zur Herleitung geeigneter ist jedoch meiner Ansicht nach der äquivalente Gebrauch von fet und im öö oder in da ölung. Hier dürfte ein Rückschluß auf den finalen Ritus zulässig sein, der einem Katholiken zuteil werden kann: der Krankensalbung (lat.: sacramentum morientium). Dieser letzten Ölung bedarf auch ein Gläubiger, der seinen Eingeweiden endgültig zuviel Äthanol zugemutet hat (vgl.: dodgsoffn).
[Anmerkung: Die Silbe "-ol" ist zur hier erörterten Deduktion übrigens nicht geeignet. Sie rührt nämlich nicht vom lateinischen oleum (= Öl) her, sondern vom arabischen khul - ägypt.: khol -, auch Galenit oder Bleiglanz genannt; vgl.: "Kajal".]

 

Einfacher zu erklären ist im wossa. Es bedeutet schlicht "nivelliert gemäß der Wasserwaage". In der sogenannten Libelle dieses Werkzeugs wird die Gasblase allerdings nicht von Wasser, sondern von Alkohol umschlossen. Eine echte Wasserwaage besteht aus einem beliebig langen, beiderseits offenen flüssigkeitsgefüllten Schlauch; so dessen Enden höher als der Rest liegen, gleichen sich die Pegelstände dort - nach dem Prinzip der "kommunizierenden Gefäße" - in Relation zum Erdmittelpunkt an.

 

Die rhetorische Frage hoz di (= hat es dich) reflektiert auf die seit Jahrtausenden ungebrochen gepflogene Tradition, Unverständliches einer - wie immer gearteten - höheren Instanz zuzuschreiben, die den Menschen komfortabel der Bürde eigenständigen Denkens enthebt (vgl.: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft). "Es" definiert vor allem im christlich-abendländischen Kulturkreis neben Schicksalshaftem oft das Böse (dessen postulierte Reichweite sich übrigens, ebenso wie jene des Guten, umgekehrt proportional zur mentalen Potenz des postulierenden Individuums verhält; vgl.: "Religion").

 

Als schas wird - neben der Flatulenz - allgemein Minderwertiges apostrophiert. Jedoch bezieht sich schasaugad nicht auf jede Fehlsichtigkeit, sondern insbesondere auf Myopie. Das liegt möglicherweise daran, daß Weitsichtigkeit zum einen häufig im Alter auftritt, und zum anderen meist erst beim Lesen auffällt: Senioren und Professoren (= Menschen, die Bücher studieren) bringt der Wiener gewissen Respekt entgegen.

 

Daß etwas pfeift, ist hingegen eine vornehmlich bei handwerklichen Berufen gängige Wendung. Es hat nichts mit dem bundesdeutschen "pfeif d´rauf" zu tun (vgl.: ii pfeif da wos), sondern beschreibt ein gelungen vollendetes Werk. Dies mag von dem bewundernden Pfiffe herrühren, welchen Kunstfertigkeit dem p. t. Bewunderer abnötigt; oder aber der abstrakteren Vorstellung, die Umrißlinien seien so perfekt, daß das Auge des Betrachters mühelos über sie hinzuschweifen vermag - so rasch, daß ein imaginiertes Objekt in dieser Blickgeschwindigkeit die Luft geschoßgleich zum Pfeifen bringen würde.
[Anmerkung: Unter Männern - etwa beim Militär - kennt man den Brauch, manch vernehmlichem Darmwind einen Pfiff folgen zu lassen (Frauen liegt derlei infantiles Gehabe fern, zumindest im spezifischen Falle); zu der eben erläuterten Sentenz besteht dabei keine linguistische Verbindung. Der schas mit seinen Ausformungen und Implikationen im Wienerischen wird Gegenstand einer der folgenden Ausgaben dieser Kolumne sein.]

blunzn: Wurstsorte (vgl. Dr. Seicherl zum Thema Hausmannskost.)
radiera: Radiergummi (ursprünglich aus Kautschuk und Pflanzenölen hergestellt)

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

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