Kolumnen_Rez gscheid!
Kulinarium II
Vom Affen bis zur Zichorie werden Fauna und Flora herbeizitiert, wenn Wiener ihre Getränke beschreiben. Mag es um manche davon auch nicht schade sein: An die Ausdrücke sollte man sich erinnern, meint unser Linguistikbeauftragter - und befaßt sich im zweiten Teil seines Kulinariums mit sprachlich gefährdeten Flüssigkeiten.
30.01.2009
"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.
Diese Kolumne erscheint erstmals mit Verspätung, wofür wir uns entschuldigen. Da Dr. Seicherl - wie stets im Dienste der Aufrichtigkeit - bis zuletzt mit vollem Körpereinsatz recherchierte, war es ihm bedauerlicherweise unmöglich, den Text zeitgerecht in lesbare Form zu bringen. Hier nun aber das Ergebnis seiner Studien.
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0 % Alkoholgehalt
Kaffee ist in Wien zum Glück alles andere denn gefährdet. Lediglich der vakerde ("Verkehrter": mehr Milch als Kaffee) wird oft durch die melausch substituiert (frz.: mélange = Mischung), die jedoch zu gleichen Teilen aus genannten Zutaten besteht. Der poldi nimmt ob des Zusatzes von Weinbrand eine Sonderstellung ein; und ziguriwossa wird meist nur in Filialen US-amerikanischer Konzerne verkauft (der Spottname reflektiert auf ein Ersatzgetränk der Nachkriegszeit).
Alkoholfreies bleibt ansonsten weitgehend Kindern vorbehalten (tschopperlwossa). Die schöne Bezeichnung kracherl leitet sich von dem Geräusch her, das ein Bügelverschluß beim Öffnen verursacht. Pures Wasser wird euphemistisch ganslwein genannt, und schlechte Limonade apostrophiert man als wischerlwossa; Coca-Cola als Spezialfall firmiert auch unter laus- bzw. beidlwossa.
(Anmerkung: woher der Ausdruck paludara - für schlechten Kaffee - stammt, gilt bislang als ungeklärt.)
ziguri: Zichorie, Wegwarte (lat.: cichorium)
tschopperl: Kind; unbedarfter, aber harmloser junger Mensch
wischerln: onomatopoetisch für "urinieren"
beidl: Penis (vgl.: Beitel)
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bis ca. 5 % Alkoholgehalt
Seit des Wieners zweitliebstes Getränk auch in Blechdosen verkauft wird, hat sich der Ausdruck hüsn etabliert (anachronistisch, von der Form im Krieg eingesetzter Granatenhülsen). Ansonsten legt aber, wer nicht gerade ein hansldipla ist, Wert auf Qualität: Schlechtes Bier wird gnadenlos abqualifiziert - sei es allgemein als gschloda, oder konkreter als fenstaschwiz bzw. offnbrunzlat.
(Anmerkung: Ostösterreichs Paradebarde Wolfgang Ambros brachte in einem lichten Moment gulasch und a seidl bier als "Lebenselixier" auf den Punkt.)
hansl: männlicher Vorname; schaler Bierrest
dipla: langsam, doch beständig trinkender Alkoholiker
schwiz: Kondenswasser
off: Affe
brunzlat: Urin
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ca. 5-10 % Alkoholgehalt
Von most über sturm und staubiga reift der Traubensaft zum wein. Mundet er dem Wiener, so preist er ihn als tröpferl bzw. schmekatn, oder er schwärmt von den Vorzügen eines grebltn. Findet der Vielbesungene jedoch keine Gnade vor hiesigen Gaumen, ist die Liste der möglichen Pejorativa lang. Das reicht von der rabiatperle über den sauaompfa bis zum kräza, wenn er nicht gar als hirnpröla oder heknklescha geschmäht wird (nach dessen Genuß es den Trinker "in die Hecke schlägt").
Dem Jahrgang 1450 unterstellte man gar, er zerfräße jene Stahlreifen, die die Faßdauben zusammenhalten. Dieser reifbeißa fand letztlich beim Bau des Stephansdoms Verwendung, wo er zum Anmischen des Fundamentmörtels eingesetzt wurde.
Verwässertem Wein wiederum attestiert man, auf da kölastiagn gwogsn zu sein ( = am Weg vom Weinkeller verdünnt).
(Anmerkung: Der umstrittene "Uhudler" ist amerikanischer Herkunft. Nachdem hierzulande Ende des 19. Jhdts die Reblaus gewütet hatte, erwiesen sich jene transatlantischen Wurzeln als resistent; die Stöcke wurden später mit heimischen Sorten veredelt. Nur Winzer, die sich solche Prozedur nicht leisten konnten, ließen die ursprünglichen Trauben darauf wachsen: eine Sorte mit hohem Säuregehalt, deren Gärprodukt wegen seines angeblichen Methanolgehalts lange Zeit verboten wurde - was auch an den Expertisen eines gewissen Dr. Fritz Zweigelt lag. Die Bezeichnung uhudla soll sich vom Erscheinungsbild der Konsumenten herleiten: ausschaun/dreischaun wiara uhu).
rebln: Weinbeeren (achtsam) mit der Hand lesen
kleschn: knallen; schlagen
gwogsn: gewachsen
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über 10 % Alkoholgehalt
Edle Brände gibt es in Wien noch nicht lange. Es wurde schlicht schnops geordert - auch brenowi genannt - als stamperl (2 cl) oder frakerl ( = kleine Karaffe, meist 125 cl). Allenfalls unterschied man zwischen undefiniert Vergorenem (oblachta: Ungebleichter) und Obstbränden (obstla); noch nähere Spezifikation erschöpfte sich bei trebanem (ital.: Grappa) und schli (Slivovitz). Ein kriacherl - ebenfalls aus Zwetschken gewonnen -, voglber oder kranawita waren schon etwas für Kenner.
Das gemeine Volk kehrte beim brantweina ein, wo auch inländarum und diverse andere bunte Destillate kredenzt wurden; bei Mischgetränken hatte man etwa die Wahl zwischen rüscherl (Cola mit Weinbrand) und baucherl (Weinbrand mit Cola).
(Anmerkung: Die Bezeichnung blindnwossa ist auf den Restgehalt von Methanol in unprofessionell hergestellten geistigen Getränken zurückzuführen. Jener im Gegensatz zu Äthanol hochtoxische Alkohol kann bereits in geringen Mengen zu stundenlangem Erbrechen, Lähmungserscheinungen, Blindheit oder Tod führen.)
owi: abwärts, hinunter
trebana: Tresterschnaps
brantweina: einfaches Lokal, in dem hauptsächlich billige Spirituosen ausgeschenkt werden
Dr. Seicherl
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