Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 22

Snoop Dogg: "My Medicine"

Wie nah liegen eigentlich HipHop und Country beieinander? Man sollte meinen, daß diese Genres Lichtjahre trennen. Verhält es sich aber am Ende doch ganz anders? Sind beide gar Brüder im Geiste? Manfred Prescher beantwortet alle Fragen.    21.04.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Eines vorweg: Die Frage, ob Country und HipHop wenigstens thematisch verwandt sind, hat eigentlich noch keiner ernsthaft gestellt - obwohl mancher Nashville-Star durchaus auch mit Goldkettchen und Insignien des Reichtums zu protzen versteht. Statt uns aber auf einfache Klischeeformeln einzulassen, sollten wir das Thema doch ein wenig tiefergehend beleuchten. Nicht allerdings, ohne die Kleiderordnung aufzustellen: Country-Stars tragen meist die schöneren Hemden, Rapper wählen oft die edelsten Designer-Anzüge. Punkt. Musikalisch haben die Genres nicht viel gemeinsam, auch wenn es im Cowboy-Style ebenfalls erfolgreichen Sprechgesang gab. Erinnert sei hier an Lorne "Ben Cartwright" Greenes gebrummtes "Ringo", das auch auf einem trefflich "White Men Can´t Rap" betitelten Sampler zu finden ist. Aber mit den rhythmisch vertrackten Sprachspielereien eines Snoop Dogg haben die Country-Redner rein gar nix am Stetson.

 

Daß viele Afroamerikaner eine Affinität zum ländlichen Stil des weißen Amerika haben, ist bekannt. Ebenso weiß man, daß es sich dabei natürlich vor allem um die Künstler handelt, die im Süden der USA aufwuchsen und über Radiosendungen wie "Louisiana Hayride" oder die Grand Ole Opry sozialisiert wurden.

Das rührige Münchner Label Trikont legt mit zwei sehr guten, nach einem Song von Curtis Mayfield benannten Compilations Zeugnis über diese Nähe ab: "Dirty Laundry" und "More Dirty Laundry" zeigen eine enorme Bandbreite an "schwarzen" Interpretationen der "weißen" Vorgaben; herausragend sind aber die auf vier Alben verteilten Country-Aufnahmen von Ray Charles, der damit sogar - als erster Afroamerikaner - in den Genre-Charts auf Platz 1 rangierte. Ray stammte aus der Cowboy-Hochburg Georgia, das er ja immer "on his mind" trug. Calvin Cordozar Broadus Jr., besser bekannt als Snoop Dogg, wurde hingegen in Long Beach, Kalifornien geboren. Und dort gibt es, wenn wir dem langhaarigen Redneck-Songwriter David Allen Coe glauben wollen, seit dem Run auf die Goldvorkommen keine Country-Szene mehr, sondern höchstens "god damn hippies" - und Rapper.

Snoops Song "My Medicine" beginnt trotzdem mit den Zeilen "Yeah, I like to dedicate this record to my main man/Johnny Cash, a real American gangster/I got my nephew Whitey Ford on the guitar/Young Trev´ on the drums/Grand Ole Opry, here we com, uhh."

Cash, der Mann, der angeblich einen kompletten Nationalpark in Schutt und Asche legte, noch angeblicher selber in St. Quentin einsaß und eigentlich doch eher wegen kleinerer Vergehen oder Problemen beim Umgang mit den Betäubungsmittelgesetzen verschiedener Bundesstaaten auffiel, war alles in allem gar kein "O.G." ("Original Gangster"). Wenn man aber eher vom Gesamtwerk als von der realen Person des "Man in Black" ausgeht, kann man schon verstehen, warum ihn Schurken-Rapper Snoop schätzt. Allzu tief muß man dazu nicht mal ins Cash-Œuvre vordringen; es genügt, den allgemein bekannten "Folsom Prison Blues" anzuhören: "I shot a man in Reno/Just to watch him die" ...

Abgesehen davon, daß ein echter Ghetto Gangsta nie nach Reno kommt - oder wenn, dann nur, um die Einnahmen der ersten Platin-CD zu verzocken -, könnte die von Johnny erstmals 1956 gesungene Zeile durchaus auch von Ice-T, 2Pac oder eben von Snoop stammen. Sogar die öffentliche Resonanz auf die rüde erste Strophe paßt: Anfänglich sind sowohl Cash als auch die ersten Gangsta-Rapper wegen Gewaltverherrlichung in den Medien und bei klerikalen Alt- und Jung-Greisen angeeckt. Mittlerweile kräht kein krankes Huhn mehr danach. Schließlich gewähnt sich auch der konservativste Mensch irgendwann an alles.

 

Der Unterschied zwischen den HipHop-Bösewichtern und Cash offenbart sich allerdings ebenfalls im "Folsom Prison Blues": Cashs Figur ermordet jemanden einfach so, geht aber deshalb durch ein irdisches Fegefeuer. Es ist nicht so, daß die Tat bereut wird, die läßt sich sowieso nicht ungeschehen machen; es sind die unweigerlichen Konsequenzen, die dem mehr als 50 Jahre alten Song eine fatale, immerwährende Größe verleihen. Bitterkeit, Verzweiflung und der nicht mehr umkehrbare Handlungsverlauf machen die Dramen aus, die nichts mit der Prahlerei von Möchtegern-Paten gemein haben. Man höre nur Cashs "25 Minutes To Go" ... dagegen wirkt der beste Snoop-Track wie Kinderkram. Also keine Angst vor dem Dogg-Man, der will nur spielen. Johnny Cash hingegen konnte aus dem tiefsten Seelengrund heraus böse sein.

Also sind Country und HipHop nicht wirklich Brüder im Geiste? Eher nicht. Johnny Cash wäre sicher nie ein Rapper geworden, aber es läßt sich schon erahnen, daß seine sinistre Morbidität, das Beschreiben der menschlichen Abgründe auch einen durchaus intelligenten Künstler wie Snoop Dogg faszinieren.

In "My Medicine" stellt Tha Dogg aber eine weitere vermeintliche Nähe zu Cash her: Es sind die Pillen, die den Country-Star beinahe umgebracht hätten. Der Unterschied ist aber auch hier evident. JC hat in seinen wilden Jahren über alles gesungen, nur eben nicht über seine eigene Sucht. Texte darüber ließen sich erst nach Bewältigung der Lebenskrise schreiben - und da fand er dann einen Zugang zum Thema, der rein gar nix mehr mit Gangsterromantik zu tun hat.

"My Medicine" ist aber trotzdem ein schöner Track, bei dem der Übergang zwischen Rap und Gesang fließend ist. Damit tendiert Snoop Dogg stilistisch ganz eindeutig in Richtung Nashville, für die Opry wird´s aber natürlich trotzdem nicht reichen ...

Das gilt auch für Sam Sparro, aber der schafft es in diese Kolumne - und zwar nächste Woche.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Snoop Dogg - Ego Trippin

(Photos © Estevan Oriol)

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Universal (USA 2008)

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