Nazareth: "Not Today"
Enthalten auf der CD "Rock´n´Roll Telephone" (Union Square Music/Soulfood)
Wieder einmal wollte Manfred Prescher eigentlich über etwas anderes schreiben - doch die "Wolln" hat wieder einmal nicht gereicht. Macht aber nichts, findet euer Lieblingskolumnist. 16.06.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Gestern fragte ich mich noch, ob es etwas von Lana del Rey sein dürfe, aber irgendwie durfte es dann doch nicht. Weil deren neue CD "Ultraviolence" mir gerade wie höchstsommerliche Schwüle auf das Gemüt schlägt. "Summertime Sadness" eben. Aber was soll es denn dann sein? Wie wäre es mit etwas "Wohfühlrock"? Diesen Begriff prägte das "Rolling Stone"-Magazin für die - geschätzt - siebeneinhalbmillionste Platte von Nazareth.
Nein, mit dem vermutlich sehr stillen Örtchen irgendwo in Galiläa, in dem seinerzeit ein kurz nach der Adoleszenz recht berühmter Bub aufgewachsen ist, hat die Band nichts zu tun ... wenn man mal von ihrem ziemlich alttestamentarischen Alter absieht. Das schottische Quartett wurde bereits 1966 - also kurz nachdem Moses seine Leute zum ersten "Rock am Ring" geführt hat - gegründet. Damals hieß die Band noch recht uncool The Shadettes, aber schon wenige Mondphasen später wurde das zugegeben nicht besonders geniale Markenzeichen Nazareth fest implementiert.
Aus dieser vorchristlichen Phase sind heute noch bzw. wieder Bassist Pete Agnew und Sänger Dan McCafferty dabei. Letzterer ist dem Vernehmen nach aber so krank, daß das aktuelle Werk "Rock´n´Roll Telephone" sein Vermächtnis sein soll. Aber was für eines! Der Haudegen ist gut bei rauchiger Stimme und klingt wie bei "This Flight Tonight" oder "Shot Me Down". Gut abgehangene Rockmucke, aber auch gut genug, um immer noch ordentlich mit den Jungspunden und taufrischen Metal-Rentnern mitzuhalten. "Just A Ride" klingt bedrohlich nach Black Sabbath, aber Nazareth waren immer schon auch gut im Kopieren der Konkurrenz. Und "Not Today" versichert uns, begleitet und gesteuert von einem Riff, das auch von Soundgarden oder Pearl Jam stammen könnte, daß die Welt, das Leben und der ganze Rest heute erst mal nicht untergehen werden. So lange es noch rockt und rollt, ist halt noch nicht Ruhe im Kuhstall.
Dan McCafferty röchelt, daß er heute noch nicht ans Ende denken wird - denn das kann er getrost morgen auch noch tun. Und was könnte dann nicht alles vorbei sein? Das Leben? Klar, das ist der Lauf der Welt, außer, man ist Hardrocker und röchelt ewig und drei Tage. Was praktisch und rechnerisch aber auch nur ewig ist. Das Glück? Keine Angst, das kommt nach jeder Auszeit wieder! Die Liebe? Möglich, denn schon als Mose und Dan McCafferty noch unter der antiken Sonne nach dem Gin des Lebens suchten und sich an simplen Gesetzmäßigkeiten "Expect No Mercy" bzw. "Du sollst nicht stehlen Deines Nächsten letztes Gummibärchen" oder so durchs Dasein hangelten, war die Liebe ein sehr fragiles, oft reichlich instabiles zwischenmenschliches Etwas. Ein Etwas, von dem Michael Foucault später behaupten sollte, daß es das gar nicht gibt, bzw. ein Etwas, von dem der eigentlich gar nicht so konfuse Konfuzius folgendes annahm (und damit eine gewisse Stabilität doch für möglich hielt): "Was du liebst, laß frei. Kommt es zurück, gehört es dir - für immer." Dan McCafferty glaubt irgendwie auch daran, daß Liebe möglich ist und zumindest diesen Tag überstehen kann. Das ist doch trostreich, denke ich.
Natürlich braucht es die Band Nazareth genauso wenig wie den gleichnamigen Marktflecken im heutigen Israel. Denn Jesus, das ist klar, hätte auch in Lüdenscheid, St. Veit an der Glan oder in Obereinherz auf die Welt kommen können. Dann hieße die schottische Band zwar "Lüdenscheid", "St. Veit" oder "Obereinherz", aber das würde auch keinen Unterschied machen.
Und heute bräuchte man die Gruppe natürlich auch nicht, was aber gar nicht mal gar so sehr an ihrer altmodischen Art des Rockens und Rollens, des Verschwitzt-Dampfens und kraftvoll Stampfens oder gar am Namen liegt. Eher schon daran, daß sie bereits in babylonischen Zeitalter unaufgeregt uninnovativ daherkamen. Was freilich heute nicht abseitiger und altmodischer tönt als annodunnemals. Deshalb sind aus der Zeit geworfene Menschen immer noch bereit, ihren letzten selbstverdienten Zehner in ein Konzertticket von Nazareth zu investieren. Man weiß ja, daß es der letzte Auftritt könnte. Das gilt zwar nicht für heute, aber ein Ende ist absehbar wie das sprichwörtliche Amen in der Kathedrale.
Euch, für die im Dome meines Herzens ein Kerzenleuchter vor sich hinlodert, sei gesagt, daß ich nächste Woche wieder etwas moderner werden möchte - und zwar mit Hamilton Leithauser. Wer jetzt "Hamilton wer?" fragt, greife bitte zu Google oder ins eigene Dachgebälk und recherchiere dorten nach. Ach, laßt gut sein, ich bin - wie der Psychologe sagt - mal wieder so co-abhängig, daß ich euch verrate, wo ihr den Leithauser herkennen könntet. Und zwar von den famosen Walkmen, die uns in den "Nuller-Jahren" unter anderem die großartigen Alben "You & Me" und "Lisbon" bescherten. Mehr zu Hamilton Dingenskirchen gibt es nächste Woche. Bis dahin macht es gut, treibt es nicht zu bunt und haltet eure Liebe fest. Es lohnt sich - das wußten schon Moses, Konfuzius, Dan McCafferty und euer Kolumnist. Amen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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