Mutual Benefit: "Golden Wake"
Enthalten auf der CD "Love´s Crushing Diamond" (Pias UK/Fat Possum/rough trade)
Manfred Prescher läßt noch einmal das Jahr Revue passieren - und freut sich grundsätzlich über wunderbare Musik. Die gab es tatsächlich in überraschend großer Menge. 23.12.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Mutual Benefit könnte man auf schlecht neudeutsch mit "Win-win-Situation" übersetzen. Wer das Wort nicht kennt, hat nicht viel versäumt, höchstens ein wenig Busineß-Denglisch. Es bedeutet, soviel sei an dieser Stelle in den virtuellen Raum zwischen Flensburg und Klagenfurt gestreut, daß alle Beteiligten als Sieger aus der jeweiligen Chose herauskommen. Betrachtet man das nun weitgehend zurückliegende Jahr, dann wird deutlich, daß es zumindest musikalisch recht ordentlich war. Daß, um nicht nochmal das Bild vom Ozonloch in der Denkmurmel verwenden zu müssen, ansonsten die Polkappen der meisten Hirne dahinschmelzen wie "Ice In The Sunshine", ist leider auch zu konstatieren.
Aber davon wollte ich dieses Mal gar nicht reden. Schließlich steht das Fest der Liebe vor der Tür, und in dieser Situation bin ich traditionell milde und wohlmeinend - sogar den größten Armleuchtern und Fetzenschädeln gegenüber. Konzentrieren wir uns also auf die Musik: Ich stelle fest, daß Mutual Benefit entdeckt werden müssen. Was freilich nicht so ganz einfach geht, weil deren aktuelle CD "Love´s Crushing Diamond" hierzulande offiziell noch gar nicht erhältlich ist. Da aber das Projekt um den Texaner Jordan Lee seine bisherigen Werke nur digital und damit über das weltweite Netz an Mann und Frau Ottonichtganznormalhörer/-in gebracht haben, ist es nicht schwer, an die Songs heranzukommen - und sich erstmal vom Ohrwurm "Golden Wake" die Flötentöne beibringen zu lassen.
Ja, ihr habt richtig gelesen: Die Flöte ist wieder da - und dieses Mal nervt sie nicht mal. Man kann das seltsame Teil ja auch fernab von Kinder-Getröte, Jazz-Gebröte oder mitteleuropäisch verklärtem Anden-Kitsch verwenden. Ich gebe allerdings zu, daß ich das nie im Leben für möglich gehalten hätte. Nicht seit "El Condor Pasa", zu deutsch: "Flieg, schräger Vogel, sonst patscht´s."
Was für eine Melodie! Wirklich schön, da wird mir richtig warm ums Herz. Aber das gab es in diesem Jahr schon ein paarmal - etwa mit den elegisch-schönen Klängen von Goldfrapp, Darkside, Volcano Choir, Bonnie "Prince" Billy oder Nick Cave. Dessen "Push The Sky Away" ist aber auch das vielleicht schönste Stück Moll jenseits der leckeren "Pullmoll"-Pastillen, die ich schon als kleines Hustinetten-Bärchen so mochte. Ein echtes Meisterwerk war und ist auch die Rückkehr von David Bowie, wenn auch mehr in Marketing-technischer Hinsicht. Dafür durften wir erstaunlicherweise mit Elton John und noch viel überraschender mit Black Sabbath - jeweils in weitgehender Originalbesetzung, also mit Bernie Taupin und Ossie Ostbahn - echte Auferstehungsmomente biblischen Ausmaßes zelebrieren.
Dann hatten wir etwas Folk, die Ausläufer von Mumpitz und Söhnen zum Beispiel oder auch Joseph Arthur, der mit seiner Ballade vom "Boogie Christ" zu beweisen sucht, daß der Sohn Gottes nach unserem Ebenbild geschaffen wurde. Was freilich auch den - wenn man die Josefsehe mal außen vor läßt - recht gewöhnlichen pränatalen Werdegang erklären dürfte, aber das war ja so gewollt. Lest Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" und ihr versteht, was ich damit meine. Aber ich schweife ohnehin ab. Wir waren beim Folk stehengeblieben: Aktuell feiert er seine Blüte mit dem neuen Film der Coen-Brüder, "Inside Llewyn Davis". Die Coens können zwar immer noch keine Geschichten erzählen, aber das Ambiente ist sehr stimmig, der Soundtrack auch. Es geht um einen verschwurbelt-chaotischen Bänkelsänger, der im Greenwich Village der frühen 60er Jahre Fuß fassen will - und es nicht mal ansatzweise schafft. Nein, der Streifen erzählt nicht die Story vom jungen Bob Dylan, sondern die von Dave van Ronk. Der hätte Dylan werden können, scheiterte aber an sich selbst. Ein paar sehr schöne Lieder gibt´s von dem aber doch - etwa "Hang Me, Oh Hang Me", das Llewyn-Davis-Darsteller Oscar Isaac wunderbar interpretiert. Da half doch bestimmt Herr Mumford etwas nach ... Das verbuchen wir aber mal unter "Mutual Benefit".
Und wo ich schon bei den Gewinnern bin: Eminem und Kanye West heben den HipHop auf eine neue Stufe - und "Black Skinhead" ist ein Monster, das ebenso elegant wie schwergewichtig durch alle Rabatten zwischen Timbuktu ("Donald Duck") und Windisch-Krächz ("Fix & Foxi") stapft. So etwas braucht man, so wird man zu einem echten "Black Yeezus", einem "Rap God" eben. Und davon gab es nun mal anno Zwanzigdreizehn gleich zwei.
Den Mantel des barmherzigen Schweigens decke ich unter anderem über die früher hochverehrten Franz Ferdinand, über Kings Of Leon und über Daft Punk. Über letztere aber eigentlich nur deshalb, weil eh schon alles darüber rausgebouncet wurde. Arctic Monkeys waren OK, Babyshambles wurden vom Volk zu Unrecht ignoriert, den Kaiser Chiefs wird es 2014 genauso gehen. Schon die Single läßt düsteres erahnen. Ach - und auf die Comeback-Platten von Abba und Kraftwerk sollten wir uns erstmal nicht freuen. Dann erleben wir am Ende sogar ein überraschende Glücksmomente. Amen.
Im nächsten Jahr geht es hier natürlich wieder weiter - und zwar mit einem launigen kleinen Text zu den möglichen Oscar-Nominierungen in den Kategorien "Soundtrack" und "Sounddreck". Nachzulesen ist das drei Tage vor der offiziellen Bekanntgabe der Kandidaten durch die Academy, also am 13. Jänner.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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