Mumford & Sons - Babel
Kolumnen_Miststück der Woche III/3
Mumford & Sons: "I Will Wait"
Der Mensch hat das Bedürfnis nach einer heilen Welt, vor allem, wenn um ihn herum alles in Trümmern liegt. Die eigene Geldbörse leer, der Euro wertlos und die Zukunft düster - da muß wenigstens die Musik die alten Werte hochhalten, glaubt Manfred Prescher. 01.10.2012
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Wir wollen alle eine Familie, oder? Eine Gemeinschaft, in der wir uns geborgen fühlen und in der man dank traditioneller Werte aneinander haften bleibt. Später kann man dann den Nachgeborenen - falls die Enkelkinder aus der Idylle herausfallen und das Paradies verlassen müssen - erzählen, wie schön das alles mal war. Die Sonntagsschule, das gemeinsame Gebet und die Schafkopfabende beim Brunnenwirt drunten. Damals, als die CSU noch die Stellvertretung Gottes und Machiavellis auf Erden war und in Österreich noch Bruno regierte, da war doch alles irgendwie netter. Die Zukunft sah zwar nicht unbedingt rosa aus, aber sie war so vorbestimmt, daß stets klar war, wie die Lebensbahn verlaufen würde.
Nun sind die Zeiten ganz anders. Der Mensch kämpft um seinen Job, seine emotionale Intelligenz, gegen Karikaturen, die den Bart des Propheten abbilden, oder auch gegen die Zerstörung des Planeten. Der ist freilich bei Sonnenlicht (Vorsicht, Krebsrisiko!) eh schon mausetot; mit allem, was auf ihm noch in Agonie vor sich hin zuckt. Gut, das war jetzt sehr defätistisch, und so schlimm ist das alles gar nicht, aber eine gewisse Ratlosigkeit macht sich allenthalben breit. Zur "Wesenheit" (Konstantin Wecker) des Menschen gehört nun aber seit den Tagen von Barney Geröllheimer, daß er keine Unsicherheit mag, daß er sich lieber in einer Barbie-Welt häuslich einnistet als jeden Tag direkt in den Schlund der Vernichtung blicken zu müssen. Heulen und Zähneklappern sind auf Dauer eher schlecht fürs private Feng Shui.
Deshalb wollen alle glauben - an das Gute, daran, daß sich das Blatt nicht nur beim Kartenspiel zum Besseren wenden möge, und an jemanden, der die Geschicke so lenkt, daß Glückseligkeit eintritt. So wie bei den Zeugen Jehovas. Wo auf der Wiese - gemeint ist natürlich nicht die Oktoberfestwiesn - Harmonie herrscht ... allerdings nur für die auserwählten Zehntausend. Und hier kommt die Musik von Mumpitz und Sons, die natürlich eigentlich Mumford & Sons heißen, ins Spiel. Altmodisch ist das, was das Quartett aus London da spielt. Mit Banjo, Dobro, Akkordeon und weiteren Instrumenten, die selbst bei den Amish-Mennoniten in der Holzbalkenhütte stehen, ist das wie ein traditionsreiches Familienunternehmen benannte Konglomerat sehr erfolgreich. Das Debütalbum "Sigh No More" hält sich seit drei Jahren in den amerikanischen Charts und kam dort bis auf Platz 2.
Auch das aktuelle Werk "Babel" wird wieder turmhoch über dem Rest der Veröffentlichungen stehen, da Mumford und Söhne Glücksgefühle und Heilsmomente von fast biblischem Ausmaß liefern. Daß die religiösen Bezüge bei Maurice Mumford und seinen Mitstreitern für das Gute allgegenwärtig sind und mehr an Carter Family als an moderne Popmusik erinnern, ergibt einen gewissen Sinn. Mittlerweile hat sich ja herausgestellt, daß der Mensch in zügellosen und oberflächlichen Zeiten irgendwo Halt braucht. Mit Mumford & Sons wird das eigene Wohnzimmer zum Kirchentagslagerfeuer, Folk für das Volk, das bieten die Briten.
Ich will das gar nicht schlechter reden als unbedingt nötig, man kann "Babel" gut hören und darin schwelgen. Die Musik ist handgemacht, die Noten für die aktuelle Single "I Will Wait" wurden noch einzeln aus Buchenholz gesägt und mit einer sehr alten Technik in mühevoller Kleinarbeit auf Pergament aufgetragen. Der Song wirkt, als sei er schon immer da gewesen. Genau wie die Band, zeitlos oder aus der Zeit geworfen - irgendwie sowas halt. "I Will Wait" ist schmissig und eingängig, man hat das schon mal gehört. Vielleicht nicht so schön gespielt, aber doch ähnlich inbrünstig. Ich selbst warte zwar nicht gern, weil ich gern mächtig und auch stinkreich wäre, aber irgendwie müssen oder sollen wir alle immer irgendwie und irgendwo warten. Auf den Bus, die Trambahn nach Ankara (Ludwig Hirsch), den Sensenmann, die erste Nacht mit der/dem Liebsten oder ein Zeichen von Gottes Existenz. Der schickt uns deshalb wahrscheinlich hin und wieder seine Seraphime, auf daß sie uns kräftig aufspielen. Alles Mumpitz? Eher Mumford, würde ich sagen, aber was Genaues weiß man nicht.
Im direkten Vergleich zur altmodisch dahingroovenden Platte von Mumford & Sons wirkt Bob Dylans natürlich auch irgendwie folkiges Album "Tempest" tatsächlich viel moderner. Trotz des ebenso beschränkten wie traditionellen Instrumentariums röchelt und raubauzt der böse Onkel Robert nämlich so, als sei die Welt grad am Kaputtgehen. Das klingt nicht nur unfreundlich, unbehaglich und unbequem, das ist es auch. Wenn in der Nacht der Dylan dreimal schreit, ist der Teufel nimmer weit - und daher hören die Menschen lieber Mumford & Sons. In Ewigkeit Amen.
Nächste Woche wird es an dieser Stelle übrigens um Seeed gehen. Ja, die Reggaedingensbigband ist wieder da. Darauf, mein lieber Leser und Freund, schon mal einen dicken Joint!
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Kommentare_
sehr interessant und gut geschrieben, leider geht das Video in Detuschalnd nciht auf, schade. Ffreu mich schon auf die nächste Folge