Robbie Williams - Rudebox
EMI (GB 2006)
Schwiegermamas Liebling oder Bürgerschreck? Robbie Williams will beides sein, schafft es aber nur zur Mischung aus Litfaßsäule und Muttersöhnchen - findet Manfred Prescher. 04.09.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Ich gebe es ja zu, mein Lieblingskalauer, den ich immer einsetze, wenn es um Robbie geht, ist irgendwie fad. Er läuft darauf hinaus, daß ich behaupte, daß er mir in "Mork vom Ork" nicht gefallen hat, daß er aber als Standup-Comedian recht Ordentliches zuwegebringt und in "One Hour Photo" richtig gut ist.
Natürlich ist mir klar, daß der amerikanische Komiker und Schauspieler nichts, aber rein gar nichts mit dem Ex-Nimm-Das aus Manchester zu schaffen hat, was eher für Robin spricht. Trotzdem birgt der Nonsens auch eine nicht zu übersehende Spur Wahrheit in sich. Robbie gibt sich ja bekanntlich den Anschein unübertrefflicher Vielseitigkeit - und beinahe wäre der einzig echte paneuropäische Popstar tatsächlich James Bond geworden. Wie beinahe das wirklich war, weiß keiner, aber eines ist sicher: Der Mann würde es gern nach Hollywood schaffen.
Mehr Tattoos als Captain Jack Sparrow hat er allemal - aber leider nehmen die Amis überhaupt keine Notiz von ihm. Robbie Williams wird nie einen Hit in den "Billboard"-Charts landen, und für den jugendlich-sportiven Springinsfeld, den er gerne mimt, ist er sowieso bald zu alt bzw. zu zugekokst. Da hilft es ihm auch nichts, daß er sich an uramerikanischer Musik versucht. Erst macht er einen auf Westentaschen-Sinatra, was zwar für Nachgeborene durchaus seinen Reiz hatte, denn so übel hat er das gar nicht hingekriegt, aber Ol´ Blue Eyes, Dino und Sammy hätten ihn für seine modischen Stillosigkeiten aus den braunen Slippern gesprengt. Und jetzt verdingt er sich mit "Rudebox" als Rapper. Nicht auszudenken, wenn Williams aus unserem Sprachraum wäre und irgendwann auf Wildecker Herzbuben, Roy Black oder Fendrich umsteigen würde.
"Rudebox" wird von vielen englischen Fans lautstark als mieseste Robbie-Single aller Zeiten bezeichnet. Auch die Kritiken der Musikjournaille gehen in dieselbe Richtung: Nicht wenige gibt es, die halten das Ding sogar für das übelste Machwerk, das jemals auf 7-Inch oder Maxi-CD verwurstet wurde - noch schlimmer als "Ernie (The Fastest Milkman In The West)". Was durchaus in Ordnung geht, denn letzterer Song war wenigstens noch witzig. Aber in Zeiten, in denen Ice Cube oder Jurassic 5 mit neuen und guten Alben beweisen, wie gut Sprechgesang sein kann, wirkt "Rudebox" wie das peinliche Gestammel eines orientierungslosen Mannes, der auf einen Zug aufspringen möchte. Allerdings ist der schon lange abgefahren. Man braucht gar nicht auf den Fahrplan zu schauen - ein paar Intro-Töne genügen, und schon stellt sich heraus, daß das spätestens 1984 gewesen sein muß.
Robbie Williams versucht nämlich, allen Vergleichen mit dem zeitgenössischen HipHop aus dem Weg zu gehen, weil er genau weiß, daß es da einige gibt, die das besser können - und nur wenige, die unter seinem Level agieren, damit aber noch Erfolg haben. Deshalb klackert der Roland TR-808, und der Korg X-3 pluckert wie seinerzeit bei Africa Bambaataa oder Chris "The Glove" Taylor. Das erinnert - wie das Graffiti-Kunstwerk auf dem Einleger - an die uralte Ghetto-Doku "Wild Style".
Daß Robbie nicht aus der South Bronx stammt und sich nicht mit preisgünstigen Mitteln entfalten muß, spielt heutzutage keine Rolle mehr. Rap-Kultur ist längst Teil des Big Busineß. Und den sparsamen Elektrofunk aus der Rap-Steinzeit kennt sowieso keiner mehr. Das hat bei "Swing When You´re Winning" noch gut funktioniert: Man nehme etwas, das sich nicht mehr im kollektiven Gedächtnis befindet, aber doch nicht so ungewohnt klingt, daß es aus der Schublade und von da direkt dem Vergessen anheimfällt.
Bei "Rudebox" klappt das aber schon deshalb nicht, weil die Bambaataa-Zutaten in den 80ern zum Allgemeingut in der Popmusik wurden und der simple Synthesizer bei vielen Produktionen von Cyndie Lauper bis New Order eingesetzt und eben nicht vergessen und verdrängt wurde. Im Gegenteil: Er ist Inbegriff für die popmusikalischen Schattenseiten eines insgesamt sowieso eher mediokren Jahrzehnts und wird heute meist für billiges Blendwerk gehalten, das selbst gute Songs aus den 80ern zerstört - "Blue Monday" mal ausgenommen.
Ich vermute, daß Robbie Williams mit diesem Abfallprodukt einer Über-30-Party keine neuen Fan-Kreise erschließen und eine ganze Menge alte verprellen wird, denn die wollen sicher Songs wie "Advertising Space" hören, was man durchaus verstehen kann. Schließlich verfügt dieses Lied wenigstens über eine Melodie, die durchaus nett ist, sich ins Ohr schleicht und erst dann Brechreiz verursacht, wenn sie von Ö3 oder Radio St. Öd für Monate auf die A-Playlist gesetzt wurde. Da befindet es sich tatsächlich immer noch, obwohl es bereits im Dezember 2005 veröffentlicht wurde. Glücklicherweise wird "Rudebox" nicht so oft im Dudelfunk gespielt werden, denn selbst dazu ist es zu schlecht. Diese Single ist für Robbie W. das, was für Robin W. "Patch Adams" war: künstlerische Flatulenz.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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