Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 75
7,5 One-Hit- Wonders
Aus dem gewaltigen Ozean der Erfolgseinbrüche hat Manfred Prescher für dieses Jubiläums-Miststück einen weniger als einst Fellini herausgesucht: genau siebeneinhalb. Doch die stehen exemplarisch für viele andere.
09.04.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
"One more forgotten hero", genau darum geht es. Um Künstler, die für einen mehr oder minder kurzen Moment ganz oben waren und dann in der Versenkung verschwunden sind. Beispiele dafür gibt es genug, aus allen Bereichen und allen Epochen. Einer davon ist der Mann, von dem die Zeile "For one more forgotten hero ..." stammt. Er ist selbst ein vergessener Held, und das schon seit mehr als 30 Jahren: Trotzdem ist Ralph McTell noch heute mit der Klampfe unterwegs und gibt mindestens 200 Konzerte im Jahr; vielleicht läßt er auch irgendwo den Hut herumgehen. Überall wollen sie seinen einzigen Hit "Streets Of London" hören - eine folkige Schilderung des gesellschaftlichen Bodensatzes der britischen Hauptstadt, die er schätzungsweise hundertmal veröffentlicht hat. Das fing Ende 1968 mit einer ebenso kargen wie genialen Version auf dem Album "Transatlantic" an und setzte sich "with a little help from my friends of the choir" 1974 in den Charts fort.
Dort blieb der gesungene Stadtplan der Londoner Elendsquartiere leider Ralph McTells einziger Erfolg. Dabei klingt die damalige Nachfolge-Single wesentlich spannender: "Red Apple Juice" ist die Adaption eines Folk-Traditionals und ein vielschichtiges, vergleichsweise rockiges Stück, das so überhaupt nichts vom Sozialkitsch des Über-Hits hat. Mit Bitterkeit und Zynismus singt McTell darin vom Ende der Liebe: "All I could do/To try and live with you/Send you back to your mama some old day". Dieses Lied hätte vielen Menschen aus der Seele sprechen können - wenn sie denn von seiner Existenz gewußt hätten.
Aber Ralph McTell war immerhin so mutig, es mit etwas anderem zu versuchen. Viel häufiger wird das, was sich einmal als erfolgreich erwiesen hat, solange kopiert, bis der letzte Cent aus den Geldbeuteln herausgepreßt ist und sich auch der letzte Vollidiot gelangweilt abwendet.
So hat es etwa Sheb Wooley gemacht. Als Songwriter und als Schauspieler war er halbwegs erfolgreich; er schrieb für Hank Snow und spielte an der Seite von Errol Flynn. Der große Durchbruch gelang Sheb aber erst 1958 mit einem Faschings-Gassenhauer, der die Alien-Hysterie der Amerikaner aufgriff und ein pinkfarbenes Monster vorstellte, dem man nicht mal böse sein konnte, wenn es nebenbei die Zeitgenossen auffraß.
"The Purple People Eater" ist ein Novelty-Gag, der auch musikalisch funktioniert: Die Mischung aus Rockabilly, Country und aberwitzigen Geräuschen wirkt noch heute irre komisch und mitreißend. Und weil das mit dem farbenfrohen Ungeheuer so gut geklappt hatte, schickte der Mann aus Oklahoma es gleich mit mehreren Nachfolge-Singles - und schrumpfenden Erlösen - in die Plattenläden. Weihnachten 1958 durfte der Purple People Eater sogar zu Santa Claus in den Schlitten.
Wooley riß sich danach wieder zusammen und gab an der Seite des taufrischen Clint Eastwood den Peter Nolan in der Westernserie "Rawhide" ("1000 Meilen Staub"). Vom Cowboy zum Country-Sänger ist es bekanntlich nur ein kleiner Schritt, also spielte der gute Sheb in den Sechzigern eine ganze Reihe hervorragender Genre-Songs ein, darunter die Klassiker "That´s My Pa" und "Are You Satisfied". Als Ben Colder verband er schließlich Comedy und Country: Er nahm eine ganze Reihe von Persiflagen erfolgreicher Songs auf, unter anderem von Bobby Bares "Detroit City" und Johnny Cashs "Folsom Prison Blues". Damit schaffte er es, Mißerfolgs-Valley zu durchschreiten.
Den wahrscheinlich größten Flop der Musikgeschichte fabrizierten der New Yorker Terence Trent D´Arby und seine Plattenfirma Sony. 1987 wurde das Album "Introducing The Hardline According To Terence Trent D´Arby" veröffentlicht. Es verkaufte sich in Windeseile über zwölf Millionen Mal und warf Riesen-Hits wie "Sign Your Name" oder "Wishing Well" ab. Das führt aber leider dazu, daß D´Arby schon als neuer Stevie Wonder oder Nachfolger des allmählich immer schwurbeliger werdenden Prinzen gefeiert wurde. So viel Lob stieg dem Manne zu Kopf, und er versuchte sein eigenes "Sign O´The Times" oder "Songs In The Key Of Life" zu schaffen. In etwa so ambitioniert war "Neither Fish Nor Flesh", der Nachfolger der Erfolgs-LP - und nahm das Scheitern schon im Titel vorweg.
Schon die erste Single "This Side Of Love", die wesentlich rockiger war als alle D´Arby-Songs zuvor, floppte. Das Album lag wie Blei in den Regalen und wurde schließlich verramscht; einige 100.000 Exemplare mußte Sony England sogar einstampfen. Wahrscheinlich wundert man sich dort noch heute darüber, warum es nicht gelang, die Platte zu vermarkten. Man sollte meinen, daß sich der Nachfolger einer Hit-LP vom Format von "Introducing ..." von selbst ein, zwei Millionen Mal verkaufen würde. Aber das geschah nicht. Verissen von der Kritik und geschmäht vom Publikum, zog sich D´Arby zurück und läßt seither immer wieder mal mit durchaus okayen Werken von sich hören. Mittlerweile nennt er sich Sananda Maitreya, als wollte er den Fluch verbannen. "Neither Fish Nor Flesh" und seine Stilvielfalt wird man, da bin ich sicher, dennoch irgendwann als das erkennen, was es ist: ein überraschendes, betörend-verstörendes Meisterwerk.
Eine echte Eintagsfliege war die vom Who-Boß Pete Townshend 1969 gegründete Band um den Jazz-Pianisten Andy "Thunderclap" Newman und den damals erst 15jährigen Gitarristen Jimmy McCulloch. Townshend nannte sich Bijou Drains und spielte in der Formation den Baß. Ein einziger Hit kam dabei heraus: das verquere "Something In The Air" aus dem Film "The Magic Christian". Auch "Wilhelmina" - die B-Seite der Hit-Single - zeigte, daß Newman & Co. ein enormes Potential gehabt hätten. Das gilt erst recht für ihr einziges Album "Hollywood Dream", das unterschiedliche Hardrock-, Jazz- und Pop-Elemente miteinander verbindet. Die Suche nach diesem musikalischen Kleinod lohnt sich wirklich. In dieser Platte ist alles angelegt, was aus der Band hätte werden können. Ob man sich nun zerstritten oder mangels Erfolg aufgegeben hat - Thunderclap Newman waren nur eine kurze Episode in der Musikgeschichte. McCulloch spielte später bei den Wings, Newman nahm ein paar exaltierte Platten (darunter 1971 das ebenfalls suchenswerte "Rainbow") auf, Townshend kreierte Rockopern mit den Who. Und "Something In The Air" wird alle Jubeljahre wieder in einem Film eingesetzt ...
David Garrick ist eigentlich kein echter Loser - obwohl auch er nur einen Superhit hatte: 1966 stand sein schwungvoller Schlager "Dear Mrs. Applebee" weltweit an der Spitze der Charts. Die lustig swingende, aber doch tragische Bitte an die Mutter der angebeteten Marie, sie möge ihm die Tochter trotz seiner Verbrecherkarriere anvertrauen, blieb seine einzige Nummer eins. Heute gilt Garrick daher als echtes One-Hit-Wonder; dabei hatte der als Phillip Darryl Core geborene Liverpooler eine Reihe von mittleren Erfolgen mit gelungenen Interpretationen etwa von "Unchained Melody" (The Righteous Brothers) oder "Lady Jane" (The Rolling Stones) und eleganten Popsongs wie "Poor Little Me" oder "Please Mr. Moving Man". Er sang auch "Let´s Get Somewhere" von R. Dean Taylor, dem weißen Songwriter in Motown-Diensten, oder Jacques Brels "Le Moribond", besser bekannt als "Seasons In The Sun". Garrick ist ein kühner und begabter Künstler, der nicht nur Popsongs interpretierte, sondern auch als Opernsänger beachtliche Erfolge feierte. Daß er sich in den späten 60er Jahren an deutschem Klamauk wie "Rüdesheim liegt nicht an der Themse" versuchte, sollte man vielleicht lieber verschweigen. Seine britischen Singles sind allerdings viel zu gut, um von Mrs. Applebee unter den Teppich des Vergessens gekehrt zu werden. Garricks Begleitband wurde übrigens von Paul McCartney unter die Fittiche genommen und landete unter dem Namen Badfinger einige Hits.
Wenn man in den frühen 70er Jahren vor sich hinpubertierte, dann identifizierte man sich automatisch mit Kwai Chang Caine, dem halbchinesischen Mönch aus der Serie "Kung Fu". Gespielt von David Carradine, stand er nicht nur für moralische Integrität und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Als TV-tauglicher Bruce-Lee-Klon schlug er sich auch mit fernöstlichem Know-how und Präzision durch Bonanza-Land. Durch die Serie wurde ein wahrer "Kung Fu"-Boom ausgelöst. Davon profitierte auch der Jamaikaner Carl Douglas, der 1974 mit "Kung Fu Fighting" einen eingängigen Prä-Disco-Hit feierte. Fälschlicherweise wird Douglas für ein echtes One-Hit-Wonder gehalten, aber auch die Nachfolge-Single landete in den Top Ten: "Dance The Kung Fu". Das Ding war noch mehr Disco, sehr catchy eben. Man sollte den Kung Fu nicht kämpfen, sondern als Ausdruckstanz ansehen. Noch weiter ging Douglas ein paar Jahre später, als er auf Friede, Freude, Eierkuchen setzte: "Love, Peace And Happiness" hat alles, was ein Hit braucht. Nur der Erfolg blieb aus. Er wollte nichts mehr von fernöstlicher Akrobatik wissen - und die Fans nichts mehr von ihm.
Gleichzeitig mit Ralph McTell rangierte ein Boogie-Song mit der Zeile "It would sure do me good/To do you good/I can help" oben in den Hitlisten. Billy Swan, der Sänger und Autor dieses Songs, hatte da schon eine bewegte Vergangenheit am Rande des Musikbusineß hinter sich. Er wohnte eine Zeit lang beim Onkel von Elvis und arbeitete - wie Kris Kristofferson nach ihm - als Hausmeister bei der Plattenfirma Columbia. Und immer schrieb er Songs, unter anderem "Lover Please", mit dem Ex-Drifters-Sänger Clyde McPhatter einen mittelgroßen Erfolg hatte. Das Lied wurde unter anderem von Swans Freunden Kinky Friedman und Kris Kristofferson aufgenommen. Doch "I Can Help" blieb sein größter Erfolg.
Dabei hat Swan alles richtig gemacht: Die Nachfolge-Single "Don´t Be Cruel" war noch besser - eine düstere, sehr eigenständige Version des Presley-Gassenhauers; langsam, bedrohlich und mit einem ebenso eingängigen wie einfachen Schlagzeug-Groove. Flehentlicher wurde das Lied nie vorher und auch nie danach interpretiert. Ein Riesen-Hit war "Don´t Be Cruel" dennoch nicht, also versuchte es Swan mit einer "I Can Help"-Kopie, bei der schon der Titel Programm ist: "Everything´s The Same (And Nothing Changed)". Aber auch damit klappte es nicht mehr ...
Nein, gescheitert sind Monty Python sicher nicht. Auch nicht, weil "I Like Chinese", die Nachfolge-Single des 1991 mit einer geringen Verspätung von zwölf Jahren zum Top-Hit avancierten "Always Look On The Bright Side Of Life", floppte. Nein, Graham Chapman, John Cleese, Terry Gilliam, Eric Idle, Michael Palin und Terry Jones sind eine Institution für die Ewigkeit: der fliegende Zirkus und die dazu gehörigen Sketches ("Kommt ein Mann mit einem toten Papagei in die Zoohandlung"), die Filme ("Jeder nur ein Kreuz") und auch die Songs ("I´m so worried about what´s happening today/In the Middle East, you know/And I´m so worried about the baggage retrieval system they´ve got at Heathrow"). Ja, Monty Python waren echte Tausendsassas. Mit Songs, die ins Ohr gehen ("Decomposing Composers", "Sit On My Face", "Every Sperm Is Sacred"). Und dem Soundtrack zu der berühmtesten Kreuzigungsszene seit 2000 Jahren. Cheer up ya old buggas, c´mon give us a grin!
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Manfred Prescher
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