James Blake: "Overgrown"
Enthalten auf der gleichnamigen CD (Polydor/Universal)
Manchmal hör´ ich Dinge, die andere nicht hören. Wie das gemeint ist? Bevor ihr jetzt denkt, der Typ hat ein Rad ab, laßt mich doch erst einmal erklären ... Ich lausche gleichzeitig einem hochmodernen, elektronischen Popsong und einem feinen A-cappella-Lied. 29.04.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Bevor ich loslege mit der aktuellen Kolumne, muß ich doch eine Frage beantworten, die von verschiedenen Seiten an mich herangetragen wurde. Nachdem ich das vorangegangene "Miststück" meinem hochwohlgeborenen Stellvertreter zugedacht hatte, zeigte sich entschieden, daß wir doch in einer Neidgesellschaft leben. Der Grundtenor: "Wie schaffe ich es, daß du auch über mich und mein Lieblingslied schreibst?" Nun, abgesehen davon, daß ihr euch das besser nicht wünschen solltet, zumindest nicht, wenn ich wieder auf gut Fränkisch - für Nordlichter auch gern auf gut Bayrisch, ist von dort aus gesehen eh Jacke wie Bux - herumgrantle, ist es einfach: Nervt mich, so gut ihr könnt, dann klappt das auch mit "eurer Kolumne". Außerdem gebe ich an dieser Stelle unumwunden zu, daß in dieser Kolumne alles drinsteckt, was mich irgendwie beschäftigt. Wenn ihr also nicht drin vorkommt ...
Ich hoffe natürlich, ihr lest jetzt weiter, denn es heißt "Vorhang auf" für einen jungen Engländer namens Jake und vier Hannoveraner, von denen einer standesgemäß Jan heißt. Wir Süddeutschen und Österreicher denken natürlich, daß die Männer "da oben" alle so genannt werden. Aber weit gefehlt, viele heißen auch Sven-Erik, Henning bzw. Lars-Sören - oder eben Lukas, Olli und Sebastian wie der Rest der Formation Maybebop. Mei, die können singen! Wie die Engel und dann auch wieder wie Rammstein, deren Hit "Engel" sie gecovert haben. Und ihre Version von Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" ist so schön, daß selbst Kurt Cobain selig seine Freude daran hätte. "Shoot your brain like Kurt Cobain?" Hätte er den Oberstimmen und einem Baß, der nach eigener Sichtweise gesanglich "20.000 Meilen unter den Kammerton" kommt, gelauscht, würde der Kurtl garantiert mit "Nevermind" antworten.
Die eigenen Stücke von Maybebop sind allerdings oft noch besser - und das Songschreiben ist auch die eine Schnittstelle zum knapp 25jährigen Londoner Wunderknaben James Blake. Die andere ist das Instrumentarium. Denn sowohl Maybebop als auch Blake kommen ohne das übliche Brimborium, also "Guitarren", Schlagzeug, Baß, Saxophon etc. aus. James Blake spielt vermutlich alles auf einer frisierten Playstation 3, während die vier Niedersachsen wirklich alles mit dem Mund machen, also auch das Blasen, Trommeln oder so. Auf den ersten Ton klingen die Welten recht unterschiedlich, doch schon auf den zweiten ist zu hören, daß emotionale Wärme, Dichte und bezaubernde Melodien nichts mit dem zu tun haben müssen, was einem an Equipment zur Verfügung steht. Es ist einfach so etwas wie Magie, die sich sowohl bei Blake als auch bei Maybebop mit großem Können paart.
Während die deutschen Sängerknaben schon Männer im besten Alter sind und uns seit 2003 mit ihrem Sound beglücken, hat der hochmusikalische britische IT-Spezialist mit "Overgrown" gerade erst seinen zweiten Geniestreich in Albumlänge veröffentlicht. Und ehe ich es vergesse: Blakes Stimme ist ebenfalls sehr angenehm, auch wenn es am Volumen ein wenig hapert. Aber dafür hat er seine Playstation. Im Text erzählt er, daß er keinen Ruhm braucht, weil dieser seine Kreativität "überwuchert". Auf meinem iPod geht das Lied nahtlos in "Kuscheln, Sex und Händchenhalten" von Maybebop über, denn musikalisch paßt das tatsächlich zusammen und schmeichelt im Doppelpack meinen Ohren.
Nebenbei lerne ich von den Urenkeln der Comedian Harmonists: Die Jungs kommen mir im Text mit den Philosophen Descartes, Kant, Rousseau, mit Marx, Donald Duck, dem Fußballtrainer Trapattoni oder Figuren aus Disneys "König der Löwen" - nur um den Sinn des Lebens so darzustellen: "Es geht um Kuscheln, Sex und Händchenhalten". Es wäre natürlich gut möglich, daß James Blake aus diesem Grund Musik macht, getreu dem Motto "Man müßte Playstation spiel´n können, denn wer Playstation spielt, hat Glück bei den Frau´n ..."
Leider bringt einem das Schreiben von Kolumnen zwischengeschlechtlich gesehen rein gar nichts. Trotzdem wird es nächste Woche garantiert ein neues "Miststück" geben. Und zwar eines, das sich mit der Frage beschäftigt, wer eher in Würde gealtert ist: Deep Purple oder Reinhard Mey? Beide kommen nämlich gerade mit neuen CDs auf uns zu. Oder einer von euch nervt mich so, daß ich (siehe oben) über etwas ganz anderes blitzgescheit daherschreiben werde.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
James Blake: "Overgrown"
Enthalten auf der gleichnamigen CD (Polydor/Universal)
Maybebop: "Kuscheln, Sex und Händchenhalten"
Enthalten auf der CD "Wie Neu" (raumton/Indigo)
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