Kolumnen_Miststück der Woche III/85

Marc Almond: "Love Is Not On Trial"

Letzte Woche stellte Manfred Prescher zwei noch richtig junge Künstlerinnen vor - heute geht es hier um alte Säcke. Daß die Herren im fortgeschrittenen Alter noch allerhand zuwege bringen, ist erstaunlich, kann der Jugend aber Mut hinsichtlich der eigenen Zukunft machen.    14.07.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Aus wirklich gutem Anlaß habe ich für meinen Schatz das Wort "Herzensschöne" gewählt. Es paßte einfach. Aber ich mußte zugeben, daß ich mit dem Begriff zwar bis dato keine anderen Damen geadelt, ihn jedoch nicht selbst erfunden habe. Die älteren und damit humanistisch gebildeteren unter uns wissen sicher, daß es seinerzeit Martin Luther war, der es in seinem "Abendsegen" zu Gehör und in die kollektiven Gedächtnisse brachte.

Doch gut geklaut bzw. richtig zitiert ist halt der Anfang einer jeden ordentlichen Coverversion. Wir alten Säcke wissen das. Wir haben ja so viel in den Denkmurmeln abgespeichert, daß es dicke für komplette Alben langt. Wie bei Bob Dylan, der dem Vernehmen nach eine CD lang eher seltene Songs von Frank Sinatra durckrächzt. Das paßt schon, zumal Sinatra selbst ja Kompositionen anderer Menschen aufgriff und sie sich untertan machte. Dylans "Full Moon And Empty Arms" ist jedenfalls sehr nett geworden. Ob es das Lied braucht, weiß ich natürlich nicht, der Mann hat schließlich selber schon genug auf dem musikalischen Kerbholz. Andrerseits: Was soll er denn machen? Er kann nichts anderes als Dylan sein. Nobody sings Dylan like Dylan. Und deshalb macht er es selbst.

Genau wie Monty Python sich selber noch einmal hochleben lassen: Mit dem Motto "One down, five to go" schieben immerhin noch fünf von ursprünglich sechs Witzbolden die Rollatoren auf die Bühne, geben nochmal den "Lumberjack Song" zum noch verfügbaren besten. Es kann ja bald vorbei sein. Im Werbevideo zu den Londoner Auftritten von Monty Python witzelt immerhin Mick Jagger über den Sinn oder eher Unsinn, sich faltige Tattergreise auf der Bühne anzuschauen. Wer will, merkt schon, daß es Cleese und Co. immer noch drauf haben. Das Witzeln hat der Engländer doch mehr im Blut als das Fußballspielen, aber ich schweife ab. Nur eines noch: Wie ich gerade gelesen habe, nehmen Pink Floyd - one down, three to go - gerade ein neues Album auf. Es ist das erste in der hinterbliebenen Originalbesetzung und das erste seit den Tagen von Martin Luther selig. Mindestens.

 

Während Bob Dylan grad Sinatra, Andy Williams Gott und die Welt und ich Martin Luther beklauen, wühlen andere alte Säcke einfach in der privaten Schatzkammer herum, stauben das eine oder andere Liedchen ab, verändern die eine oder andere Note sowie den Text - und fertig sind neue Stücke von Brian Setzer, Willie Nelson, Don Williams, Morrissey oder Marc Almond. Und alle klingen irgendwie kregler, talentierter und damit besser als die aktuell heillos überschätzte Lana del Rey mit ihrem an düstere Zeiten erinnernden Schwanengesang "Ultraviolence". Weil die Seniorenriege tatsächlich noch ihr Mundwerk und oft zusätzlich diverse Instrumente beherrscht, sich außerdem zumindest innerhalb des - Bildung stärkt nun mal den Menschen - eigenen Werkkontexts gut auskennt, kommt dabei nichts bahnbrechend Neues heraus. Aber doch unterhaltsam Altes, das gar nicht mal unmodern wirkt. "Love Is Not On Trial" von Marc Almond zum Beispiel fängt mit der typischen Klavierphrase an, die wir Troglodyten schon von "In My Room" oder "What Makes A Man A Man" und anderen Stücken des selbsternannten "Sex Dwarf" kennen. Aber wen schert es?

Wer nie sein Brot mit Tränen aß und nie gelernt hat, auf die "bright side" des Lebens zu schauen, weil es eh alles umsonst bzw. ohne Aufwand gibt, kann ja darauf warten, daß Google per Armbanduhr sein Konsumverhalten steuert und derweil Calvin Harris hören und Ed Sheeran für neue Folkmusik halten. Aber ich will nicht ungerecht sein. Wie schon in der vorigen Kolumne erläutert, können auch manche intelligente, junge Menschen gut zitieren und haben einen herzensschönen Zugang hinein in den Dungeon der musikalischen Vergangenheit. Ein wenig Entdeckergeist, eine Kerze auf dem Kopf und eine Prise Mut genügen völlig. Marc Almond hat es etwas leichter, er kann wahrscheinlich einfach im eigenen Oberstübchen wühlen, weil er "Tears Run Rings" oder "Mother Fist" immer im körpereigenen Tornister mit sich herumschleppt. Oder nehmen wir Morrissey: Der weiß, worüber er seit Urzeiten mit Schmackes singt - über das Töten und Verzehren von Bruder und Schwester Tier, über irgendjemanden, dem man nicht vergeben darf, oder darüber, daß die Erde der einsamste Planet überhaupt ist. Weil sich ja im Sinne von Johnny Cash - ´til things are brighter - ohnedies wenig ändert, funktioniert der Morrisseysche Textbaukasten immer noch hervorragend. Daß ihm Johnny Marr an der Seite fehlt, wie meine Herzensschöne betont, kann man so stehenlassen. Auch Almond könnte übrigens ab und zu die Unterstützung seiner Co-Weichzelle David Ball brauchen. 

 

Nächste Woche wird es hier an dieser Stelle um ein interessantes Phänomen gehen: Irgendwelche DJs fischen bis dato unbekannte Lieder aus dem musikalischen Strom - und plötzlich werden Hits wie "Prayer In C" oder "She Moves (Far Away)" draus. Irgendwie ist diese Vorgehensweise so clever wie die von IKEA. Immerhin haben die Schweden 1978 von ihrem Designer Gillis Lundgren ein eher schnödes Bücherregal in "Billy" verwandeln lassen. Ihr dürft euch also schon mal freuen. Bis dahin könnt ihr euch ja besondere Kosenamen für eure Liebste oder euren Liebsten ausdenken. Ich hab´ das während des Schreibens auch getan und beschlossen, meiner Liebsten statt der "Herzensschönen" von Martin Luther ein ganz liebevolles, hoffentlich wirklich neuartiges "Abendtautröpfchen", ein noch liebevolleres "Seelenjuwel" und ein ganz besonders einzigartiges vorzuschlagen, das ich ihr aber dieser Tage ins Ohr zu flüstern gedenke. Geht euch schließlich nix an.

  

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Marc Almond: "Love Is Not On Trial"

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Enthalten auf der CD "The Dancing Marquis" (Cherry Red/Rough Trade)

Links:

Grantler und Poet

Bob Dylan - 10 Gründe


Manfred Prescher und Peter Hiess liefern jeweils zehn Gründe, warum man den Lockenkopf einfach lieben oder eben hassen muß: The answer, my friend ...

Links:

Kommentare_

Dr. Trash - 12.07.2014 : 17.26
Werter Musikexperte! Ich habe immer geglaubt, daß Almond das Lied und die Bezeichnung "Sex Dwarf" Genesis P. Orridge (vor dessen Verwandlung in ein Genderbender-Monster) widmete. Was stimmt den nun?
Manfred Prescher - 15.07.2014 : 15.14
Hallo Dr. Trash,

ich hatte Marc Almond anno 93 im Radiostudio. Das Ganze verhält sich so: Der Song "Sex Dwarf" ist tatsächlich eine Abrechnung mit Orridge, der ja für Soft Cell einiges beigetragen hat. Er ist ein Freund von Dave Ball, wenn ich mich recht erinnere. Marc Almond selbst hat den Begriff aber später (unter anderem auch in meinem Interview) auf sich angewendet. Er ist 1,68 und kokettierte früher auch bei Konzerten mit dem "Sex Dwarf".

hoffe, es hat zur Klärung beigetragen

Manfred
Dr. Trash - 16.07.2014 : 08.14
Also stimmt beides - hervorragend! So sollte es doch immer sein ... Grüße: der Doc

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