Kolumnen_ Linientreu #10
Helden von gestern
Raucher haben´s nicht leicht. Sie sterben früher und werden dafür noch verachtet. Sie sind die Hexen der Neuzeit, die Buhmänner aus den Alpträumen, sie werden abgestempelt und verbannt, sie dürfen nicht hinein, müssen draußen bleiben. Die Jagd ist eröffnet - auch in den Öffis. 17.06.2013
Straßenbahn, U-Bahn, Autobus - die öffentlichen Verkehrsmittel (im Wiener Werbefirmen-Dialekt "Öffis" genannt) sind social ohne network, die dringend nötige Pause zwischen Streß im Job und Streß zu Hause, der bekanntlich viel interessantere Weg zum ohnehin immer gleichen Ziel. Nirgendwo sonst liegen Freud und Neid, Tanzschule und unterste Schublade, Hoffnung und Verspätung so eng nebeneinander. Und die Wahrheit lauert stets irgendwo im Spalt zwischen U-Bahntür und Bahnsteig. Vorsicht beim Einsteigen!
Ja, ich rauche. Ich und alle anderen, deren Zahl ständig schrumpft, sind eine äußerst lästige Minderheit, denn wir treten zwar statistisch und medizinisch gesehen zeitig ab, aber leider nicht zeitig genug - ein paar Nichtraucher pofeln wir auf dem Weg zum Lungenkrebs auch noch ein. Das stinkt, macht einen schlechten Atem, und die geräucherte Kleidung kann man dann per Kneifzange in die Müllverbrennung befördern. Und uns am besten gleich hinterher, denn brennen sollen wir, nicht unsere Zigaretten. Und wenn wir schon nicht brennen, dann wenigstens ein Loch in unseren Geldbörsen.
In Bars gibt´s eine Halblösung, vor der selbst der stärkste Rauch zurückschreckt. Hier wird geteilt, was einst vereint war; hier schubladisiert man das Volk zu einer Zweiklassengesellschaft. Meistens sieht man die Nichtraucherabteile leer, weil der Spaß dort zu Hause ist, wo sich der blaue Dunst eng an die dichtbesiedelten Sitze kuschelt. In den Öffis ist das schon längst kein Thema: Hier atmen alle auf, die in den Lokalen zuviel einatmen. Wenn da jedoch ein Rauchfähnchen aufsteigt, ist der Teufel los.
Im gesamten U-Bahnbereich ist Rauchverbot. Am Bahnhof ist Rauchverbot, auch wenn er sich teilweise unter freiem Himmel befindet. An den Straßenbahnhaltestellen und Bushaltestellen kann´s niemand verbieten, da sich in der Stadt an jeder Ecke entweder das eine oder andere befindet. Ich erwarte zwar demnächst das städtische Freiluftrauchverbot, aber bis es soweit ist, zünde ich mir gern eine an, während ich warte.
Nun bin ich wirklich weit davon entfernt, direkt in den Kinderwagen reinzublasen. Prinzipiell bin ich weit entfernt, weil ich mich bei jedem Wetter so weit wegstelle, daß der Rauch Mütter und Kinder wenig betreffen kann. Außerdem stehe ich eh draußen; es ist ja nicht so, daß ich mit der Tschick in den Bus steige. Aber die Nasen sind sensibler geworden, der Mutterschutz stärker, die Gesellschaft banger, wenn es um ihre Gesundheit geht. Und schon geht es los.
"Können´s nicht woanders hinziehen mit Ihrem Rauch?" tönt es aus zehn Metern Entfernung. Ich höre es kaum, da gerade ein Zwanzigtonner mit zwei Metern Auspuff vorbeirauscht. Ich wedle die Abgase beiseite, um eine klare Sicht auf die Dinge zu gewinnen, aber da steht sie auch schon vor mir, hüftbreit und ganz Mutterinstinkt. Automatisch weiche ich zurück, damit ich ihr den Rauch eben nicht ins Gesicht blase, aber sie will es nicht anders. Wahrscheinlich eine Ex-Raucherin, das sind die militantesten. Aber auch die, die immer sehr nahe beim nächsten Aschenbecher stehen, um herumzumaunzen und dazwischen tief einzuatmen.
Was folgt, ist die übliche Tirade. Wissen´s nicht, wie schädlich. Wissen´s nicht, wie schädlich für Kinder. Wissen´s nicht, wieviele Tschickstummel. Wissen´s nicht, wie schädlich für die Umwelt. Und überhaupt: Hausverstand einsetzen.
Vermaledeite Billa-Werbung. Vernunft vor Abenteuer. Danke schön.
Und ich weiß noch immer nicht, warum sie sich die Mühe macht, zehn Meter zu überwinden, um mir das Offensichtliche ins Gesicht zu schleudern. Was glaubt sie denn? Hofft sie auf Erkenntnis? Auf einen Ausruf des Erstaunens?
Wirklich, ist Rauchen schädlich? Sind Sie da ganz sicher? Also, das hab ich nicht gewußt, tut mir leid, ich werde das Fünf-Euro-Packerl sofort im Sondermüll entsorgen. Ich bin geheilt! Danke! Ich war blind, aber jetzt kann ich endlich klar sehen (wenn nicht der Smog so tief hängen würde).
Aber sie will mich nicht bekehren. Sie will sich Luft machen, wo sie vorher nur schlechte hatte. Und es gibt keine Gegenargumente, die heutzutage noch sozial geduldet wären. Der Geschmack von Marlboro erinnert nicht mehr an Freiheit und Abenteuer. Wenn ich was vom milden, luftigen Bouquet einer Pall Mall erzähle, kann ich gleich im Kuckucksnest einchecken. Der reine Genuß, die unschlagbare Gemütlichkeit und das gesellige Beisammensein - alles einst Schlagwörter der Zigarettenindustrie, die nun zu den Weintrinkern abgewandert sind. Für uns bleiben die Schlagwörter Luftverpester, Kinderschänder, Krankenhaus.
Es gibt keine Gegenargumente. Also bleibt nur noch eines, das immer sprachlos macht: "Is mir so wurscht."
Liebe Nichtraucher: Ich verstehe euch. Wir sind faule Asoziale, die nichts Besseres zu tun haben, als euch umzubringen. Trotzdem müssen wir irgendwie miteinander auskommen. Wir sind uns unserer Schuld bewußt, wir stehen im Abseits neben der Bushaltestelle, wir stempeln uns gern selbst zum Paria. Wir frieren uns im Winter den Arsch ab und kriegen entweder Lungenkrebs oder Lungenentzündung. Habt´s ein bisserl Mitleid! Wir sind eine aussterbende Rasse, also sehen Sie uns als Tiger - und spenden Sie für uns. Die Tschick sind eh so teuer ...
Kommentare_
Rauchen ist einfach inkompetent und die Rücksichtslosigkeit den Mitmenschen gegenüber inakzeptabel.
Das sind genau die Sprüche, die zur neuen Gestapo passen. Und dem Namen nach zu schließen, kommt die neue Gestapo genau dorther, wo auch die alte herstammte.
Lieber Herr Volker!
Ja, Sie haben völlig recht: Rauchen ist inkompetent. Total. Mindestens so inkompetent wie ein Handy oder Schuhe aus Leder zu besitzen (Tierfabriken, Gehirntumor durch Strahlung), Fleisch zu essen (Darmkrebs, Belastung für das Gesundheitssystem), Abends ein Glas Wein oder Bier zu trinken (Leberzirrhose, Alkoholismus, Verfall, Belastung fürs Sozial- und Gesundheitswesen), eine Vagina oder einen Penis oral zu befriedigen (Ansteckungsgefahr für Sexualpartner und -Innen, Zungenkrebs, Kehlkopfkrebs), mit dem Auto zu fahren (Abgase, Verbrauch von fossiler Energie), wo dagegenzuknallen (Blechschaden, Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer), zu sterben (Wer bezahlt den Aufenthalt in der Intensivstation?) und anschließend in der Grube zu liegen (Akute Gefahr für das Grundwasser, finanzielle Belastung für die Erben, die die Grabkosten bezahlen müssen).
Darf ich sie also bitten, mit gutem Beispiel voranzugehen – so im Sinne ihrer implizit postulierten sozialen Kompetenz – und sich ein bisserl in Luft aufzulösen?
Jim Beams Beitrag wäre eine eigene Kolumne wert!